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PolitikIsrael

Wehrpflicht auch für ultraorthodoxe Juden in Israel

21. Juli 2024

Strenggläubige Juden waren in Israel bislang vom Militärdienst befreit. Nach einem Entscheid des Obersten Gerichtshofs ändert sich das. Erste Ultraorthodoxe werden nun einberufen. Wird es neue Proteste geben?

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Ultraorthodoxe jüdische Männer protestieren auf einer Autobahn gegen eine Einberufung ins Militär und halten Transparente hoch
Protest gegen die Wehrpflicht: Ultraorthodoxe Juden blockieren am 16. Juli 2024 eine Autobahn bei Bnei BrakBild: Itai Ron/Middle East Images/AFP/Getty Images

Nun wird es ernst für ultraorthodoxe junge Männer in Israel. Seit diesem Sonntag gehen erste Einberufungsbescheide an 1000 Ultraorthodoxe im Alter von 18 bis 26 Jahren, wie die israelische Armee ankündigte. Das wird Spannungen in der israelischen Regierung verschärfen.

Der Oberste Gerichtshof des Landes hatte Ende Juni in einem ungewöhnlichen Schritt entschieden, dass auch ultraorthodoxe Juden wehrpflichtig sind und zur Armee müssen. Das gilt als eine Entscheidung von historischer Bedeutung. Und es sorgte in den vergangenen Wochen für zum Teil auch gewalttätige Proteste.

Wer sich dem Militärdienst verweigert, soll nicht weiter durch staatliche Gelder unterstützt werden. Eine gesetzliche Ausnahmeregelung, die strenggläubige Juden vom Militärdienst befreite, war im März 2024 ausgelaufen.

Verschiedene Richtungen im Judentum

Ultraorthodoxe werden im Hebräischen als Charedim bezeichnet, im Englischen und Deutschen auch als Haredim. Der Begriff "fromme Juden" taucht gelegentlich auf, trifft es aber nicht genau.

Die jüdische Gemeinschaft kennt, anders als das Christentum, keine Konfessionen oder Denominationen. Aber sie unterscheidet zwischen säkularen und liberalen, konservativen, orthodoxen und ultraorthodoxen Jüdinnen und Juden. Gruppen und Milieus, die sich stark voneinander unterscheiden.

Ein orthodoxer Jude, der nicht ganz im Bild ist, hält ein jüdisches Gebetbuch, die Pessach-Hagada, in der Hand.
Ein orthodoxer Jude mit GebetbuchBild: Svet Jacqueline/Zumapress/picture alliance

Wer ist demnach überhaupt ultraorthodox? Maßgeblich sind der Umfang und die Konsequenz, mit der der oder die Einzelne die Vorschriften der schriftlichen und der mündlichen Überlieferung von Gottes Geboten auslegt. Der ultraorthodoxe Flügel bemüht sich um wortwörtliche Auslegung und will seinen Alltag konsequent daran ausrichten. Strikt im Mittelpunkt stehen das Gebet und das Leben nach den Geboten. Nicht selten sind prominente Rabbiner an der Spitze einzelner hierarchisch geprägter Bewegungen. 

Geschlechtertrennung im Bus 

Das berührt sehr viele Fragen des privaten und öffentlichen Lebens. So weigern sich zum Beispiel ultraorthodoxe Juden in Jerusalem, gemeinsam mit Frauen im gleichen Linienbus zu fahren. Entsprechend gibt es bei einer Busverbindung zwischen der Klagemauer und dem Wohngebiet vieler ultraorthodoxer Juden nach Geschlechtern getrennte Busse. 

Die Konflikte zwischen strengreligiösen und säkularen Juden werden schärfer. Zuletzt fanden Veranstaltungen wie die Pride Parade in Jerusalem nur unter massivem Polizeischutz statt.

Regenbogenfahnen und phantasievolle Kostüme auf der Straße in Jerusalem
Die Jerusalem Pride Parade 2024, bei der auch die Verbundenheit zu den Geiseln der Hamas betont wurdeBild: Menahem Kahana/AFP

Solche Auseinandersetzungen sind nicht neu. So starb 1966 der Künstler David Palombo mit 46 Jahren, als er mit seinem Motorrad in eine Metallkette fuhr. Ultraorthodoxe hatten sie über eine Straße gespannt, um am Schabbat jeden Verkehr in ihrer Nachbarschaft zu verhindern.

Geburtenrate der Ultraorthodoxen steigt an

Ultraorthodoxe Familien haben eine weitaus höhere Geburtenrate als andere Familien in Israel. So steigt der Anteil der Ultraorthodoxen an der Bevölkerung seit Jahrzehnten kontinuierlich an. Vor gut 40 Jahren betrug er nur rund vier Prozent, heute sind es etwa zwölf Prozent. In gut 25 Jahren soll ihr Anteil bei über 20 Prozent liegen.

Vor einigen Jahrzehnten waren nur einige Nachbarschaften von Jerusalem ultraorthodox geprägt. Touristen besuchten das Viertel Mea Shearim, in dem man ein wenig orthodoxen Alltag erleben konnte. Heute prägt ultraorthodoxer Lebensstil weite Teile der Stadt. Die zweitwichtigste Stadt mit ultraorthodoxer Bevölkerung in Israel ist Bnei Brak nordöstlich von Tel Aviv.

Eine Gruppe ultraorthodoxer Männer, im Vordergrund ein kleiner Junge
Ultraorthodoxe Juden im Stadtteil Mea Shearim in JerusalemBild: Oded Balilty/AP/picture alliance

International gibt es heute vor allem in den USA, im New Yorker Stadtteil Brooklyn und im benachbarten Bundesstaat New Jersey, Gemeinschaften von Haredim. Bis zur Schoah und zum millionenfachen Mord der Juden durch Nazi-Deutschland lebten vor allem in Osteuropa viele ultraorthodoxe Juden. Millionen von ihnen wurden in den deutschen Gaskammern ermordet. 

Wachsender Einfluss in der israelischen Politik  

In der heutigen israelischen Politik gibt es Parteien, die konsequent die Anliegen der Ultraorthodoxen vertreten und zum Beispiel in den vergangenen Jahrzehnten einen massiven Ausbau strengreligiöser Schulen durchgesetzt haben.

Benjamin Netanyahu im israelischen Parlament, der Knesset
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im Sommer 2023 im israelischen Parlament, der Knesset Bild: Maya Alleruzzo/AP/picture alliance

In der aktuellen Koalition von Benjamin Netanjahu, die zu Teilen rechtsextrem ist, sind das die ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Thora-Judentum. Sie drohen nun mit dem Rückzug aus der Regierung.

Oberstes Gericht für Ultraorthodoxe nur weltliche Instanz

Seit dem Terrorangriff der radikal-islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 wächst die Bedrohung für Israel und sein Militär, zuletzt vor allem an der Nordgrenze. Weil der Militäreinsatz im Gaza-Krieg andauert, will das Militär auch auf ultraorthodoxe Männer zurückgreifen. Über 320 Männer und Frauen in Uniform wurden nach Angaben des israelischen Militärs bereits getötet.

Nun will das Oberste Gericht Israels dafür sorgen, dass die Politik entsprechend handelt. Das verschärft einen gesellschaftlichen Konflikt. Denn Israel als Staat hat keine streng festgeschriebene Verfassung. Für ultraorthodoxe Juden hat das Oberste Gericht als weltliche Instanz letztlich keine große Bedeutung. 

Mehrfach gab es seit dem Spruch des Obersten Gerichtshofs friedliche und zum Teil auch gewalttätige Proteste von Ultraorthodoxen. So blockierten sie am Dienstag für mehrere Stunden eine Autobahn bei Bnei Brak (siehe Titelbild). Insgesamt will die Armee in diesem Jahr mehrere tausend ultraorthodoxe Soldaten einziehen.  

Dieser Beitrag wurde am 27.06.2024 erstmals veröffentlicht und am 21.07.2024 aktualisiert.