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Nach den Parlamentswahlen

30. Dezember 2010

Über 600 Menschen wurden beim Protest am Wahltag in Minsk verhaftet. Symphatisanten in der Bevölkerung haben zu Solidaritätsaktionen für die Häftlinge aufgerufen. Auch aus der Provinz werden Wahlmanipulationen gemeldet.

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Proteste in Minsk gegen WahlfälschungBild: Bymedia

"Es lebe Belarus" und "Geh weg!" - so hatten es zehntausende Menschen skandiert, als sie unmittelbar nach den Wahlen durch die verschneiten Straßen der Hauptstadt Minsk zogen. Viele von ihnen wurden während oder nach der Demonstration von der Polizei brutal verprügelt. Der Oppositionelle Sjarschuk Semjanjuk hatte ursprünglich geplant ebenfalls an der Demonstration teilzunehmen, dann aber hielt den 25-Jährigen seine Funktion als Wahlbeobachter im Wahllokal 104 in Minsk zu lange auf. "Als wir um ein Uhr nachts erst mit der turbulenten Stimmauszählung fertig waren, war es zu spät. Die Demonstranten wurden bereits verjagt", erzählt Semjanjuk gegenüber der Deutschen Welle.

Breite Welle der Solidarität mit der Opposition

Hunderte Menschen spendeten für die Verhafteten (Foto: DW)
Zahlreiche Spenden für die InhaftiertenBild: DW

Am nächsten Tag erfuhr Semjanjuk, dass über 600 Demonstranten verhaftet wurden. Im staatlichen Fernsehen wurden sie als alkoholisiert und mit westlichem Geld angestachelte Rowdys bezeichnet. Ein Teil der Bevölkerung verurteilte die Proteste. Die Mehrheit schwieg. Semjanjuk wurde dagegen aktiv. Er und seine Freunde riefen in Blogs und Netzwerken dazu auf, Sachen und Geld für die Verhafteten zu spenden. Zwanzig Minuten später kam die erste Spende, erinnert sich Semjanjuk, dann kamen immer mehr, Hunderte brachten ihre Sachen in die Zentrale der Oppositionspartei BNF, die einen Raum zur Verfügung gestellt hat.

Kurz vor Neujahr lagen dort überall warme Kleidungsstücke, Schlafsäcke, Hygieneartikel, Lebensmittel und Bücher. Freiwillige Helfer sortierten die Sachen und packten sie ein. Danach fuhren sie zu den Gefängnissen und standen über Stunden Schlange, um die Pakete für die Gefangenen abzugeben. Um die Zustellung zu koordinieren, richteten die Freiwilligen eine eigene Internet-Seite ein. Die Hilfsaktion nannten sie "Schutzengel".

Freiwillige sortieren die Spenden in der Zentrale der Oppositionspartei BNF (Foto: DW)
Freiwillige sortieren die Spenden in der Zentrale der Oppositionspartei BNFBild: DW

"Die aus der Not entstandene Solidarität zeigt, dass die Weißrussen sehr gut zusammenhalten können", sagt Sjarschuk Semjanjuk. Er verbringt derzeit die Tage zusammen mit anderen Helfern vor den Gefängnissen. Am Mittwoch (29.12.) wurden etwa 300 der Verhafteten, die zu zehn Tagen Haft verurteilt worden waren, entlassen. Freiwillige Helfer gaben ihnen Süßigkeiten, Neujahrswünsche und Kontakte für Hilfestellungen.

Unterdessen sitzen noch immer hunderte von regierungskritischen Demonstranten hinter Gittern. Darunter auch sieben Oppositionskandidaten. Die Justiz hat gegen sie Anklage wegen Aufrufs zu nicht genehmigten Protest-Kundgebungen gegen Lukaschenkos Wiederwahl erhoben. Ihnen drohen Gefängnisstrafen von bis zu fünfzehn Jahren.

Eindeutige Fälschungen im Wahllokal 104

Unterdessen wird immer deutlicher, wie die Regierung Lukaschenko die Wahlen manipulierte. Zum Beispiel im Wahllokal 104 in Minsk, wo auch die 28-jährige Natallia Basylewitch als nicht regierungstreue Wahlbeobachterin dabei war. Die Politologin berichtet der Deutschen Welle von Manipulationen bei der Stimmauszählung. "Etwa 1300 Menschen haben Stimmzettel in dem Wahllokal bekommen, im offiziellen Protokoll stand aber die Zahl 1952. Also etwa 650 Stimmzettel sollten zusätzlich Lukaschenko zugeschrieben werden", sagt Basylewitch.

Basylewitch und Semjanjuk setzten im Beisein von einem OSZE Wahlbeobachter deshalb noch am Wahlabend eine erneute Stimmauszählung durch. Das Ergebnis unterschied sich dann deutlich von den Ergebnissen in den anderen Wahllokalen des Landes, wo nach offiziellen Angaben Lukaschenko 80% der Stimmen bekommen haben soll. Im Wahllokal 104 waren es nach der erneuten Stimmauszählung für Lukaschenko nur noch etwa 45 Prozent. Es gab solche Präzedenzfälle auch in anderen Wahllokalen, wo Vertreter der Opposition als Beobachter anwesend waren. Doch nur in jedem hundertsten Wahllokal waren die Oppositionellen überhaupt zugelassen. Etwa vierzig weitere Beispiele von konkreten Wahlfälschungen listet inzwischen die Internetseite www.electby.org auf. Das staatliche Fernsehen berichtete über diese Vorfällen nicht.

Stimmung in der Provinz

Wahlen in Weißrussland 2010 Dossierbild 3/3
Manipulationen bei der Wahl

Selbst in der weitgehend vom Internet abgeschotteten Provinz wird über die Wahlfälschung gesprochen, allerdings nur im Freundeskreis und hinter verschlossenen Türen. So berichtet eine junge Polizisten aus einer Kleinstadt im Osten des Landes der Deutschen Welle von ihren Beobachtungen als Wahlaufseherin. Demnach hätten die Mitarbeiterinnen der Wahlkommission Wahlzettel für den amtierenden Präsidenten hinzugefügt. Es habe einen Plan von oben gegeben, der vorschrieb, wie viel Prozent der Stimmen auf Lukaschenko entfallen sollten. Würde der Plan nicht erfüllt, so die Drohung, hätten die Mitarbeiterinnen mit Sanktionen und erheblichen Lohnabschlägen rechnen müssen.

Zuckerbrot und Peitsche

Um möglichst viele Wähler entsprechend zu beeinflussen, wurden aber auch andere Maßnahmen ergriffen. So erzählt die Polizistin Tatiana von einer Gehaltserhöhung im Monat vor der Wahl. Auch die Studienstipendien und Renten wurden im Dezember erhöht. Zudem ist seit Mitte Dezember die Benutzung der städtischen Verkehrsmittel für Schüler in Minsk kostenlos. Und die Polizisten, die an der gewaltsamen Auflösung der Demonstration am 19. Dezember beteiligt waren, wurden mit einer Zusatzprämie belohnt.

Autorin: Olga Kohl
Redaktion: Gero Rueter