Weichen - damit die Züge rollen
28. Juli 2015Knapp 34.000 Kilometer misst das Eisenbahn-Streckennetz in Deutschland. Doch der Verkehr auf der Schiene ist keine eingleisige Angelegenheit. Züge wechseln bei Gegenverkehr die "Fahrspur" oder beim Rangieren die Fahrtrichtung. Die dafür notwendigen Verbindungen zwischen den starren Schienensträngen bilden Weichen, die aus der Produktion des Werks Oberbaustoffe in Witten an der Ruhr stammen. Das traditionsreiche Werk, das zur Deutschen Bahn gehört, fertigt pro Jahr rund 1500 auf den Zehntelmillimeter genau zugeschnittene Exemplare und erwirtschaftet damit einen Umsatz von 200 Millionen Euro.
Das 1863 als "Central-Werkstätte" der Bergisch-Märkischen Eisenbahn gegründete Weichenwerk versorgt seit langem insbesondere einen Großkunden: die Konzernmutter Deutsche Bahn, die mit über 70.000 Weichen das komplexeste Schienennetz in Europa betreibt.
Entsprechend groß ist der Bedarf an neuen Weichen. "Das kann man nur mit einem Eigenbetrieb sicherstellen, der rund um die Uhr, an 365 Tagen im Drei-Schicht-Betrieb arbeitet", sagt Werksleiter Hubertus Willeke. "Wenn mal ein Unfall passiert oder ein unvorhergesehener Bruch durch Materialermüdung, brauchen sie ja schnell Ersatz. Und das können sie am Drittmarkt nicht einkaufen."
Ersatz innerhalb von 24 Stunden
In der Regel weiß die Bahn ein Jahr im voraus, wo in Deutschland eine Weiche gewechselt werden soll. Das Werk kann sich in der Produktion darauf einstellen. Bei Notfällen muss es natürlich schneller gehen. "Dann liefern wir", betont Hubertus Willeke, "innerhalb von 24 Stunden das Material."
Auch wenn das Weichenwerk zur Deutschen Bahn gehört, muss sich Werksleiter Willeke bei der Kalkulation von Angeboten streng an die Spielregeln der Marktwirtschaft halten. Denn gegenüber dem Eisenbahnbundesamt müsse man nachweisen, dass man jede einzelne Weiche zum günstigsten Preis am Markt anbiete. "Nur dann dürfen wir auch liefern."
Kleinere Weichen schlagen mit rund 20.000 Euro zu Buche. Die Kosten für größere doppelte Kreuzungsweichen mit besonderen Anforderungen, etwa für Hochgeschwindigkeitsstrecken, liegen bei 100.000 Euro.
Pro Jahr verarbeitet das Unternehmen über 40.000 Tonnen Stahl. Allerdings keinen x-beliebigen, sondern Bainit-Stahl, der besonders widerstandsfähig und langlebig ist. An der Entwicklung von Bainit-Stahl war das Werk in Witten maßgeblich beteiligt, so Willeke. Denn Weichen müssen einer hohen Belastung standhalten. Auf vielbefahrenen Strecken beträgt sie täglich bis zu 100.000 Tonnen.
450 Mitarbeiter sind im Drei-Schichten-Betrieb rund um die Uhr mit der Bearbeitung des angelieferten Rohmaterials beschäftigt. In unterschiedlichen Arbeitsschritten werden gerade Schienenstränge durch Fräsen, Bohren und Schweißen zu Weichen geformt. An deren Konstruktion, sagt Willeke, hat sich im Prinzip bis heute nichts geändert. "Es gibt ein Herzstück, das ist der höchstbelastete Teil. Es gibt Zungenvorrichtungen, das sind die beweglichen Teile. Und es gibt die Stellvorrichtung."
Sicherheit auf der Schiene im Vordergrund
Bei der Herstellung der einzelnen Weichen kommt es darauf an, die Details der Anforderungen auf dem entsprechenden Streckenabschnitt exakt zu berücksichtigen. Bei normalen Weichen, erklärt Willeke, wechselt das Rad über die Herzstückspitze auf den anderen Schienenbereich. Solche Weichen sind für Geschwindigkeiten bis zu 200 Stundenkilometer ausgelegt. Für Strecken mit höherem Tempo werden Weichen mit einer federbeweglichen Herzstückspitze gebaut, die je nach Fahrtrichtung umgestellt werden können.
Kleinere Weichen messen um die 40 Meter, Weichen für Hochgeschwindigkeitsstrecken bringen es auf bis zu 250 Meter Länge. Jedes einzelne Teil muss in die vorgegebene Form gebracht werden.
An einer Biegemaschine ist es die Aufgabe von Muhammed Aksoy, die Herzstücke in einen exakten Radius zu bringen. Ein Arbeitsgang, bei dem Aksoy den spröden Stahl ganz behutsam bearbeiten muss. "Wenn man ein bisschen zu viel macht", sagt der Metallfacharbeiter, "gehen die Dinger auch schon mal kaputt."
In einem weiteren Arbeitsschritt werden die Teile auf einer Art mehrflammigem Gasgrill vorgeglüht, um dann zusammengeschweißt zu werden. "Bei 400 Grad holen wir die Herzstücke aus dem Ofen raus", erklärt Manfred Klohs vom Schweißerteam. "Wir haben dann nur wenig Zeit, bis die Teile auf 300 Grad abgekühlt sind. Bis dahin müssen wir sie verschweißt haben." Schließlich geht es um Sicherheit auf der Schiene. Und dazu gehört auch die Materialgüte einer Weiche, deren durchschnittliche Lebensdauer 25 Jahre beträgt.