Weichen stellen
4. Januar 2013Lakhdar Brahimi warnte Ende des gerade beendeten Jahres vor eine Herrschaft der Kriegsfürsten in Syrien - und bis zu 100.000 weiteren Toten. Die Lage verschlechtere sich von Tag zu Tag, so der Sondergesandte der Vereinten Nationen und Arabischer Liga. "Es gibt nur zwei Möglichkeiten: die Hölle oder eine politische Lösung."
"Die Kämpfe werden wohl leider andauern, da es keine Aussicht auf eine Ende der gewalttätigen Unterdrückung gibt", meint Bassma Kodmani. Die Geschäftsführerin der Arabischen Reforminitiative erklärte gegenüber der Deutschen Welle, die Opposition sei zu militärischen Handlungen gezwungen, um Druck auf das Regime sowie andere Regierungen - insbesondere die Russlands und des Iran - auszuüben. Das Regime habe keine Aussicht auf einen Sieg, daher müssten "die Bedingungen einer politischen Lösung für die Opposition akzeptabel sein".
Zukunftsaussichten
Jeffrey White vom Washington Institute sieht die Aufständischen ebenfalls als Gewinner des Konfliktes. "Die Vorstellung, es handele sich um ein paar Typen die ohne Panzer, Artillerie und Flugabwehrgeschütze herumlaufen, ist irrig", meint White im DW-Gespräch. "Diese Aufständischen verfügen zunehmend über schwere Waffen, die sie Regierungstruppen abnehmen."
Den Angriff auf den Flughafen von Aleppo wertet White als eine provinzübergreifende Strategie der Aufständischen im Norden des Landes, wo sie mittlerweile mehrere Flughäfen eingenommen haben. Der schwere Luftangriff der syrischen Luftwaffe auf eine Tankstelle nahe der Hauptstadt Damaskus dagegen sei ebenso gezielt wie töricht gewesen. "Tankstellen, Krankenhäuser und Bäckereien anzugreifen - das funktioniert nicht", ist sich White sicher. "So etwas hat die allermeisten Syrer ganz klar gegen sie gewendet." White erklärte weiter, er sehe nicht, dass Assad diesen Prozess überleben könne, und bestimmt nicht als Führer. Seiner Ansicht nach ist das Regime "zum Scheitern verurteilt".
Was kommt nach dem Bürgerkrieg?
Ob sich das Regime nun langsam auflöst, in einem Prozess den White als "provinzielle Demontage" bezeichnet, oder schnell als Teil eines "chaotischen Zusammenbruchs" - sowohl Jeffrey White als auch Bassma Kodmani sind der Meinung, es gebe schon jetzt viel zu tun. "Es gibt keine Erklärung dafür, dass die Internationale Gemeinschaft nicht vernünftig humanitäre Hilfe organisieren kann", meint Kodmani - und verweist auf die 500.000 syrischen Flüchtlinge, die zum größten Teil in Lagern in der Türkei, im Libanon und in Jordanien untergebracht sind. "Diese Menschen erhalten deutlich weniger Hilfe, als sie zum Überleben brauchen."
Politiker der syrischen Oppositionskoalition sollten jetzt zusammenarbeiten, meint White. Der Washingtoner Verteidigungsexperte fügt hinzu: "Bewaffnete Gruppen werden große Teile des Landes kontrollieren, wenn das hier vorbei ist." Die politische Führung sollte mit ihnen Kontakt halten - "ein Prozess, mit dem man jetzt beginnen sollte".
Beunruhigend sei auch die Tatsache, dass einige Rebelleneinheiten an der Hinrichtung Gefangener beteiligt waren. Syrien sei zwar kein "radikal islamisches" Land, dennoch seien die stärksten Rebellengruppen islamistisch, warnt White. Das gebe der Bewegung einen extremistischen Anstrich und könne Spannungen hervorrufen, die während der politischen Übergangsphase aufbrechen könnten.
Lakhdar Brahimi's Befürchtung, es könne bis zu 100.000 weitere Toten geben, teilen White und Kodsami nicht. Die Einschätzung des Sondergesandten sei ein übertriebenes, aber gut gemeintes Mittel, Aufmerksamkeit auf den syrischen Bürgerkrieg zu lenken. Ob Syrien "durch die Hölle gehen oder eine politische Lösung" erleben wird? Jeffrey White vom Washington Institute legt sich nicht fest: "Wahrscheinlich beides."