Weihnachten und Corona: Kirchen werden kreativ
24. November 2020Eigentlich klagen die Kirchen in Deutschland immer über sinkende Besucherzahlen. Aber wenigstens an einem Tag des Jahres sind viele christliche Gotteshäuser überfüllt: im Osten und Westen, im Süden und Norden. Heiligabend, das Fest der Geburt Jesu am 24. Dezember, bedeutet Jahr für Jahr Besucherandrang. Mancherorts sichern sich Gläubige über 60 Minuten vor Beginn des Gottesdienstes einen Sitzplatz. Doch auch dieses fromme Miteinander wird in diesem Jahr überschattet von der Corona-Pandemie. Es ist Weihnachten, wie jedes Jahr. Es ist aber auch ein Weihnachten wie wohl nie zuvor.
Wie am Berliner Dom, der evangelischen Hauptkirche der Stadt. "Sonst haben wir an Heiligabend in sechs Vesper-Gottesdiensten ab Mittag rund 10000 Besucher. Jetzt werden es knapp 400 sein", sagt Domprediger Michael Kösling der Deutschen Welle. Der 44-jährige Theologe kennt dieses wohlige Gefühl des übervollen Gotteshauses mit gut 1400 Feiernden, seitdem er einmal eine solche Feier im Dom als Besucher selbst verfolgte.
"Im Gedrängel", sagt er. "Dicht an dicht, bis auf die Altarstufen. Da sitzen auch Menschen mit verschränkten Armen, sie singen nicht mit. Aber man spürt förmlich ihre Sehnsucht, an der Botschaft von Weihnachten teilzuhaben, mit dabei zu sein im Stall von Bethlehem. Die alte Geschichte wird doch immer neu in das Leben der Menschen hineinerzählt."
"Fürchtet euch nicht"
Aber auch der Berliner Dom stellt sich, wie so viele Kirchen in Deutschland, um. Nun wird es an Heiligabend am Nachmittag eine Vesper geben, in der der evangelische Bischof Christian Stäblein predigen wird, und die der Sender "bibel.tv" überträgt. "Dadurch erreichen wir viel mehr Menschen", sagt Kösling. Er berichtet von einer längeren Kooperation mit dem Sender, durch die während der Corona-Zeiten schon mehr als 500.000 Menschen die Feiern im Berliner Dom verfolgt hätten. Am späten Abend wird es eine weitere Vesper geben. Und derzeit meldet die Gemeinde bei den Behörden für den frühen Abend eine zweistündige Veranstaltung "Für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt" vor dem Dom und im angrenzenden Lustgarten an. Mit Ansprachen, Chormusik und Gesang unter einem großen, leuchtenden Stern. Dann könnten tausend Teilnehmer draußen in den – wie Kösling sagt – "Kern der Weihnachtsbotschaft", das "Fürchtet euch nicht" der Engel und deren "Frieden in der Welt", eintreten.
Generell, erläutert der Domprediger, gehe es darum, den Menschen am 24. Dezember "ein weihnachtliches Gefühl zu ermöglichen". So wie in der evangelischen Hauptkirche Berlins agieren viele Gemeinden in Deutschland. Klar, es gibt auch Akteure, deren Ideenreichtum sich darauf beschränkt, rechtzeitig vor dem geplanten Heiligabend-Gottesdienst die Heizung abzudrehen, um die Verteilung der gefährlichen Aerosole im Raum zu behindern. Bundesweit gibt es über 16.000 evangelische Gemeinden und knapp 10.000 katholische Gemeinden. Die Kirchenleitungen stellen Arbeitshilfen oder Konzepte für die Feier des Heiligabends vor. Die Ideen sind vor Ort vielfältig. Aber klar ist: Weit weniger Menschen als üblich werden an Heiligabend Platz in einer Kirche finden. Und wer irgendwo zur Krippe strebt, sollte den Mund-Nase-Schutz tragen. Dort wird statt Gold, Weihrauch und Myrrhe vielerorts eher Desinfektionsmittel beschworen werden.
"Festlich und verantwortungsvoll"
So wie der Berliner Dom vielfach als evangelische Hauptkirche Deutschlands gilt, so steht der Kölner Dom für die katholische Kirche in Deutschland. Dort sollen am 24. Dezember statt der sonst üblichen einen Mitternachtsfeier vier Christmetten nacheinander gefeiert werden, um 18, 20, 22 und 24 Uhr – mit jeweils bis zu 250 statt mehrerer tausend Gläubigen. "Die Maske wird immer dabei sein", sagt Kölns Stadtdechant Robert Kleine der Deutschen Welle. Er hofft, dass die vielen Angebote kleinerer Kirchen in der Kölner Innenstadt auch in diesem Jahr es letztlich "jedem, der möchte, doch ermöglicht, einen Gottesdienst, eine Feier zu besuchen". Der Geistliche weiß, dass sich viele Gläubige, häufig Angehörige von Risikogruppen, auch scheuen, in eine der Kirchen zu gehen.
Und es gibt noch eine weitere Veränderung in diesem Jahr: Die weit über Köln hinaus bekannte große Krippe des Doms, in der sich auch Karnevalisten, Marktfrauen oder Müllmänner wiederfinden, verlässt das Gotteshaus. "Besucherandrang an ihrer üblichen Stelle - das wäre mit keinem Schutzkonzept vereinbar gewesen", sagt Kleine. So steht die Krippe in diesem Jahr im Schaufenster eines leerstehenden Ladenlokals in Dom-Nähe.
Draußen – dieses Motiv bestimmt viele Ideen. In Leipzig laden evangelische Kirche und katholische Kirche dazu ein, dass um 18 Uhr an Heiligabend alle Glocken der Stadt läuten. Dann sollen um 18:08 Uhr alle - egal, wo sie gerade sind - das weihnachtliche "Stille Nacht" singen. Motto: "18 Uhr 08 singt Leipzig Stille Nacht".
Vielerorts gibt es Überlegungen, angesichts möglicher Infektionsgefahren die kompletten Gottesdienste ins Freie zu verlagern. In Hannover plant die katholische Sankt-Joseph-Gemeinde ihre Feier mit bis zu 2000 Teilnehmenden im Fußballstadion von Hannover 96. In Nürnberg wollen Protestanten und Katholiken das Max-Morlock-Stadion des 1. FC Nürnberg für eine gemeinsame ökumenische Feier nutzen. In Hamburg bemüht sich eine evangelische Gemeinde um das Stadion am Millerntor des FC Sankt Pauli, in Köln um das Südstadion. Und wo sich keine Sportstätten anbieten, gibt es Überlegungen zu Weihnachtsfeiern, Krippenspielen oder kurzen weihnachtlichen Konzerten auf Marktplätzen, vor Altersheimen oder auf Schulhöfen. In Bremen bemüht sich die katholische Gemeinde St. Raphael, ein oder zwei kurze liturgische Feiern auf der Galopprennbahn zu gestalten. Die Gespräche mit dem Betreiber der Anlage laufen. Die pastorale Koordinatorin Andrea Grote betont, Leitgedanke sei die Frage, wie man das Fest für Familien gestalten könne, die sich auf ein klassisches Weihnachten freuen. Man sehe das Ganze "als Chance, nicht als Notlösung".
"Kalt erwischt"
Eins indes zeichnet sich angesichts der Schwere der Pandemie und der gesellschaftlichen Probleme ab. In diesem Jahr, heißt es immer wieder, sei nicht nur der Rahmen anders. Die Menschen hätten so viel mitmachen müssen - Sorgen, Ängste, vielleicht auch den Tod von Angehörigen oder Freunden, sagt Michael Kösling am Berliner Dom: "Die Krise hat uns vor Augen geführt, dass die Relevanz der Kirche doch geringer ist, als wir dachten. Da hat sie uns kalt erwischt, aber auch geweckt. Wir haben gemerkt, dass wir stärker in die Öffentlichkeit gehen müssen, und mal aus dem Dom hinaus." Auch Robert Kleine in Köln bewegt dieser Gedanke: "Das Draußen-Sein – das ist ja ein bisschen das, was Weihnachten auch bedeutet: Dass wir aus den Kirchen hinausgehen in die Öffentlichkeit."