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Politik

EU rechnet auch künftig mit Merkel

22. September 2017

Europa ohne "Mutti"? Für viele in Brüssel ist das kaum vorstellbar, selbst für die, die sich es wünschen. Nach der Wahl in Deutschland sollen Reformen angepackt werden. Bernd Riegert aus Brüssel.

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Belgien EU Angela Merkel und Jean-Claude Juncke
Bild: Getty Images/AFP/E. Dunand

Für Bruno Le Maire, den französischen Finanzminister, ist jetzt schon klar: Wenn der neue Bundestag gewählt sein wird und sich der Staub der nachfolgenden Koalitionsverhandlungen gelegt haben wird, heißt die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Frankreich habe mit Emmanuel Macron einen neuen, unverbrauchten Präsidenten gewählt. Deutschland behält seine Kanzlerin. Die deutsch-französische Lokomotive könne nun endlich die Europäische Union wieder ziehen. "Anfang Oktober werden die beiden wichtigsten Staaten in der Eurozone neue Mehrheiten haben. Dann gibt es die Möglichkeit, die Integration in der Eurozone voran zu treiben", sagte der französische Minister kürzlich in Tallinn beim Treffen der EU-Finanzminister.

Frankreich Migrationsgipfel in Paris
Neuer Schwung nach der Wahl? Große Erwartungen bei Präsident MacronBild: Reuters/C. Platiau

Frankreich erwartet Merkels Hilfe

"Ein Fenster der Gelegenheit" für neuen Schwung in der EU sieht nach der Wahl in Deutschland auch der Präsident der EU-Kommission Jean-Claude Juncker, wie er in einer Grundsatzrede in der vergangenen Woche dargelegt hat. Der französische Präsident will schon zwei Tage nach der Wahl in Deutschland seine weit reichenden Reformvorschläge für die EU präsentieren. Emmanuel Macron macht Tempo. Die beiden Spitzenkandidaten in Berlin haben angedeutet, dass sie Macrons Plänen positiv gegenüberstehen. Beide können sich einen europäischen Finanzminister und etwas mehr wirtschaftspolitische Flexibilität a la francaise zumindest vorstellen. Der Europakurs von Bundeskanzlerin Merkel scheint einigermaßen deckungsgleich mit dem ihres Herausforderers Martin Schulz, des ehemaligen Präsidenten des Europaparlaments.

"Wir werden verschiedene Ansichten von Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Macron und vom EU-Kommissionspräsidenten Juncker haben. In Europa ist das Wichtigste die Debatte über Ideen und Überzeugungen. Am Ende steht, glaube ich, ein Kompromiss, der Europa stärker machen wird", meint der französische Finanzminister Le Maire - ohne den Namen Martin Schulz überhaupt nur zu erwähnen.

Frankreich Schulz trifft Macron
Schöne Bilder für den Wahlkampf von Martin Schulz. Emmanuel Macron (li.) setzt aber auf MerkelBild: picture alliance/dpa/POOL Stern/M. Weiss

"Merkel ist ersetzbar, Deutschland ist wichtig"

Nach der Bundestagswahl werden Deutschland und Frankreich die Grundsätze der EU-Politik weiter bestimmen - ob mit oder ohne Merkel, das sei gar nicht so entscheidend, meint der EU-Experte Janis Emmanoulidis. Er leitet in Brüssel die Denkfabrik "European Policy Centre": "Man wird weitergehen in einer gemäßigten Weise. Man muss Kompromisse schließen, aber es gibt die Möglichkeit, Kompromisse zu schließen, die weitere Reformen beinhalten, ohne gleich den ganz großen Wurf anzugehen. Dazu besteht die Bereitschaft noch nicht." Die "Königin von Europa", wie Angela Merkel in manchen europäischen Medien genannt wird, sei durchaus ersetzbar, meint Emmanoulidis. Auch ein international erfahrener Politiker wie Martin Schulz könne in Brüssel deutsche Interessen vertreten. Merkel habe natürlich den Vorteil, dass sie nach 12 Jahren jedes Detail der Probleme und jeden Politiker am Tisch genau kenne. "Von daher gibt es einen Amtsbonus für die Amtsinhaberin, aber das bedeutet nicht, dass ein möglicher anderer Kanzler diese Rolle nicht auch wahrnehmen und entsprechend auf internationalem Parkett agieren könnte."

EU Griechenland MdEP Dimitrios Papadimoulis
Dimitrios Papadimoulis: "28 Staaten diskutieren und am Ende entscheidet Deutschland"Bild: DW/B. Riegert

"Europäisches Deutschland erwünscht"

Für viele Südeuropäer steht die konservative Angela Merkel für Sparpolitik und Finanzkrise. Der griechische Europaabgeordnete Dimitris Papadimoulis von der linken "Syriza" würde sich natürlich einen linken Bundeskanzler wünschen, der die deutschen Exportüberschüsse kappt und mehr Schulden zulässt. "Ich möchte lieber ein europäisches Deutschland sehen als ein deutsches Europa. Die wachsenden regionalen und sozialen Ungleichgewichte gefährden den europäischen Einigungsprozess", sagte Dimitris Papadimoulis der Deutschen Welle. Auch für die Deutschen wäre es besser, wenn mehr im Inland investiert würde und die Löhne stiegen. Bislang laufe EU-Politik nach dem Muster "28 Staaten diskutieren und am Ende entscheidet Deutschland," kritisiert er. "Das müsste anders werden."

Brüssel EU Gipfel Brexit Verhandlungen Merkel
Die Kanzlerin im Kollegenkreis: Angela Merkel im April 2017Bild: Getty Images/AFP/E. Dunand

Wenig Hoffnung auf einen Regierungswechsel hat auch der polnische Europaabgeordnete Kosma Zlotkowski von der nationalkonservativen "PiS". Zlowtkowski lehnt vor allem die deutsche Migrationspolitik ab, die Angela Merkel der EU aufgezwungen habe. Eigentlich sei es aber egal, wer in Berlin regieren werde. CDU/CSU und SPD seien sowieso nicht zu unterscheiden. "Merkel hat aus der CDU eine sozialdemokratische Partei gemacht. Sie räumt alle Themen der Sozialdemokraten ab. Es ist jetzt alles einerlei."

Spannend ist nur die Koalitionsfrage

In Brüssel gehen die allermeisten Akteure davon aus, dass Angela Merkel Kanzlerin des größten Mitgliedslandes bleibt. Nur mit wem sie regieren wird, ist auch Experten nicht klar. Wieder mit der SPD? Oder mit Grünen und Liberalen? Oder nur mit einer von beiden Parteien? "Es würde dann interessant zu sehen, wie die Kanzlerin in diesem neuen politischen Umfeld agieren würde. Es wäre anders als das, was wir in  den letzten Jahren gesehen haben", meint EU-Experte Janis Emmanoulidis im DW-Gespräch. "Es kommt also sehr darauf an, welche Koalition in Berlin regieren wird. Auch von außen blickt man da sehr gespannt drauf."

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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