Welcher US-Präsident wäre der beste für Europa?
16. November 2003Außenpolitik ist normalerweise kein herausragendes Thema in amerikanischen Wahlkämpfen. Im jetzt beginnenden Präsidentschaftswahlkampf, der am 2. November 2004 entschieden wird, scheint sich jedoch eine Ausnahme von dieser Regel anzudeuten. Die Irak-Politik der Regierung Bush rückt zunehmend ins Zentrum der innenpolitischen Auseinandersetzungen in den USA – und in ihrem Gefolge auch die gespannten transatlantischen Beziehungen. Führende Demokraten werfen der Regierung diplomatisches Versagen im Vorfeld des Krieges vor. Bush habe die engsten Verbündeten der USA vor den Kopf gestoßen und sei verantwortlich für die finanziellen Folgen des Alleingangs im Nahen Osten.
Das demokratische Szenario
Was also würde der Wahlsieg eines der demokratischen Kandidaten für die transatlantischen Beziehungen bedeuten? Ein demokratischer Wahlsieger würde die gegenwärtige Politik des Unilateralismus aufgeben und zumindest im Irak die UNO wieder ins Spiel bringen, sagt Dieter Dettke. Er ist seit 1985 Leiter des Washingtoner Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung und ein aufmerksamer Beobachter der US-europäischen Beziehungen. Für diesen multilateralen Ansatz gebe es auch eine Mehrheit in der Bevölkerung, meint er. Daniel Hamilton, Direktor des Center for Transatlantic Relations an der renommierten Johns Hopkins University in Washington, sieht dies ähnlich. Wenn es um Fragen der globalen Stabilität gehe, dann hätten die USA nur einen verlässlichen Partner – nämlich Europa. Im Gegensatz zur Bush-Regierung hätten die führenden Demokraten dies erkannt. Gleiches gelte für die Bevölkerung, die mehrheitlich eine größere internationale Rolle der Europäer befürworte.
Im Gegensatz zu Dettke und Hamilton bezweifelt Robin Niblett, Senior Fellow am Europaprogramm des angesehenen Center for Strategic and International Studies in Washington, dass ein demokratischer Präsident einen multilateralen Politikansatz verfolgen würde. Er würde sich allerdings um eine Verbesserung im Verhältnis zu den europäischen Staaten bemühen und die aggressive Rhetorik der gegenwärtigen amerikanischen Regierung vermeiden. Niblett geht allerdings davon aus, dass ein demokratischer Präsident eine protektionistische Handelspolitik betreiben würde. Dies könne dann zu ernsten Differenzen mit Europa im Bereich der Wirtschaftsbeziehungen führen.
Das Bush-Szenario
Und was wäre, wenn George Bush erneut siegt? Dann würde er ein neues Team aufstellen ist die übereinstimmende Meinung der drei Experten. Das entscheidende Problem aus europäischer Sicht sei die Frage, welchen Einfluss die konservativen "Ideologen" in einer zweiten Bush-Regierung haben würden, glaubt Dieter Dettke. Wenn deren Einfluss zurückgedrängt würde, sei auch eine Entspannung im europäisch-amerikanischen Verhältnis möglich. "Eine Aussöhnung mit Europa ist aber nicht das Ziel dieser Leute," meint Daniel Hamilton. Vielmehr gehe es George Bush und seinen Mitstreitern um die Durchsetzung amerikanischer Interessen in der Welt – sowohl im Nahen Osten als auch beim internationalen Handel.
Robin Niblett ist davon überzeugt, dass bei einem erneuten Wahlsieg von George Bush der Einfluss der so genannten Neokonservativen zurückgedrängt und die amerikanische Außenpolitik "entideologisiert" werde. Der mit Leuten wie Rumsfeld, Cheney und Rice verbundene machtpolitische Ansatz dagegen bliebe seiner Meinung nach fortbestehen. "In diesem Zusammenhang," so Niblett, "sehe ich keinen Raum für mehr als eine symbolische Verbesserung der amerikanischen Beziehungen zu Frankreich. Deutschland jedoch könnte der Nutznießer amerikanischer Bemühungen sein, den Einfluss Frankreichs auf diplomatischem Wege einzuschränken."
Der "optimale" Sieger
Wer also wäre aus europäischer Sicht der optimale Wahlsieger? "Das hängt zunächst davon ab, wen man mit Europa meint," erklärt Daniel Hamilton. Und auch Robin Niblett verweist auf die innere Spaltung Europas: "Jede Gruppe hat unterschiedliche Erwartungen und Wünsche in Bezug auf die Beziehungen zu Amerika." Viel wichtiger als zu fragen, wer der nächste amerikanische Präsident sein wird, erscheint es demnach, innereuropäische Bruchlinien zu überwinden und eine gemeinsame europäische Identität zu entwickeln. Und dies, sagt Dieter Dettke, "kann nur aus eigener Kraft und nicht in Abgrenzung zu Amerika geschehen." Wer immer auch in Washington regiert.