Welches Gericht soll IS-Kämpfer anklagen?
23. Februar 2019Deutschland diskutiert über den Umgang mit gefangenen IS-Anhängern in Lagern der kurdischen YPG in Nordsyrien. Nach Medieninformationen werden dort über 60 Erwachsene und mehr als 40 Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit festgehalten. Wahrscheinlich wird ihre Zahl weiter steigen, wenn die Kämpfe um den letzten Fluchtpunkt der Terrormiliz in Baghuz am Ufer des Euphrat beendet sind. In den YPG-Lagern bleiben können sie auf längere Sicht nicht. In ihrer deutschen Heimat will die Islamisten allerdings auch niemand haben. Umso weniger, als in diesem Jahr in Deutschland vier Landtagswahlen anstehen und eine Europawahl. Das Thema Sicherheit steht bei den Wählern hoch im Kurs. Für Politiker in Regierungsverantwortung ist mit Rückführungen wenig zu gewinnen und viel zu verlieren.
Vor Gericht in Den Haag?
In der Diskussion taucht immer wieder der Gedanke auf, die ausländischen Kämpfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anzuklagen. Von kurdischer Seite wurde die Einsetzung von UN-Sondertribunalen in Nordsyrien angeregt. Nikolaos Gazeas unterrichtet internationales Strafrecht an der Universität Köln. Aus seiner Sicht sind das keine geeigneten Instrumente: "Der Internationale Strafgerichtshof ist von seiner Idee her vor allem dafür da, um Machthaber vor Gericht zu stellen, die ihre Macht missbrauchen und schwerste Völkerstraftaten wie Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen," führt Gazeas im DW-Interview aus. "Er ist in erster Linie nicht für den kleinen Soldaten da und auch nicht für den einfachen Dschihadisten. Das kann nur über die allgemeine Strafjustiz gelöst werden." Dazu kommt: Fälle werden in der Regel vom UN-Sicherheitsrat nach Den Haag überwiesen. Eine Einigung der UN-Vetomächte USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien scheint zur Zeit aber ausgeschlossen.
Vor Gericht in Bagdad?
Eine andere Option könnte sein, deutsche Dschihadisten von den Kurden an die irakische Justiz überstellen zu lassen. Bagdad hat ein Interesse an der Verfolgung von IS-Straftaten. Im Irak sitzen bereits mindestens neun Deutsche wegen ihrer Mitgliedschaft bei der Terrormiliz ein. Für Nikolaos Gazeas wäre eine Überstellung theoretisch denkbar. Allerdings gibt es im Irak noch die Todesstrafe – die auch noch verhängt wird. "Das allein ist bereits mit unserer Werteordnung nicht zu vereinbaren. Der Anstoß für eine solche Übergabe an die Iraker darf deshalb nicht von der Bundesregierung erfolgen - aus verfassungsrechtlichen und aus rechtstaatlichen Gründen." Allerdings könnte man sich mit der irakischen Regierung über das Instrument der völkerrechtlichen Zusicherung darauf einigen, bestimmte Umstände der Behandlung und des Strafverfahrens sicherzustellen.
Vor Gericht in Damaskus?
Nicht undenkbar ist, dass sich die kurdische YPG angesichts eines drohenden türkischen Einmarsches in ihr jetziges Herrschaftsgebiet mit der syrischen Regierung verständigt. Gesprächskanäle gibt es und die werden angesichts des türkischen Säbelrasselns und des amerikanischen Truppenabzugs gerade intensiv genutzt. Am Ende könnte Damaskus seine Herrschaft über Nordsyrien wieder hergestellt haben. Und falls die ausländischen IS-Kämpfer dann noch in kurdischen Lagern wären, könnten sie vor syrische Gerichte gestellt werden. Das zu forcieren oder auch nur darauf zu spekulieren, verbieten das deutsche Rechtsstaatsprinzip und die Garantie der Menschenwürde. Weil in Syrien keine rechtsstaatlichen Standards gelten und die Gerichte in Rechtsstaats-widriger Art urteilen.
Vor deutschen Oberlandesgerichten?
Letztendlich die einzige wirklich rechtsstaatliche Option. Und eine, die bereits gut eingeübt ist. Einige Zahlen: Zwischen Anfang 2015 und Ende 2018 hat der Generalbundesanwalt insgesamt 2216 Ermittungsverfahren mit Bezug zum islamistischen Terrorismus eingeleitet - von denen rund die Hälfte wieder eingestellt wurde. In diesen vier Jahren wurden 141 Haftbefehle ausgestellt und 67 Angeklagte zu Haftstrafen verurteilt - meist wegen Unterstützung von oder Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Der Bonner Rechtsanwalt Mutlu Günal vertritt häufig Angeklagte aus dem islamistischen Spektrum und hat auch Kreshnik B. verteidigt, der 2014 als erster IS-Rückkehrer vor einem deutschen Gericht stand. Im DW-Interview wundert sich Günal über die Rückkehrer-Diskussion. Keiner der männlichen Kämpfer, der in den kurdischen Lagern einsitze, werde bei seiner Ankunft in Deutschland frei kommen, schätzt Günal. "Ich wette mit Ihnen, zu jedem, der dort festsitzt, gibt es mit Sicherheit einen Haftbefehl". Tatsächlich liegen nach Medieninformationen bereits mindestens 17 Haftbefehle gegen deutsche Islamisten in kurdischer Haft vor. Den Frauen Straftaten nachzuweisen ist meist schwieriger. Günal verweist auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs. Der habe es abgelehnt, es als Unterstützung des IS zu werten, wenn sich jemand in dessen Herrschaftsgebiet begeben hat, dort aber nur als Hausfrau und Mutter gelebt hat.
Staatsbürgerschaft aberkennen?
Der britische Innenminister hat gerade vorgemacht, was auch in Deutschland als Option beim Umgang mit IS-Dschihadisten diskutiert wird: Er hat der 19-jährigen Shamima Begum die britische Staatsbürgerschaft aberkannt. Diesen Weg ist auch die US-Regierung im Fall der 24-jährigen Hoda Muthana gegangen. In Deutschland allerdings ist der Entzug der Staatsbürgerschaft laut Verfassung verboten. Während des Nationalsozialismus war Juden die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt worden.
In einem Fall aber erlaubt das Staatsangehörigkeitsrecht den Entzug der Staatsangehörigkeit: Wenn sich jemand ohne Einverständnis des eigenen Staates dem Militär eines anderen Staates anschließt. Um diese Regel für die IS-Dschihadisten anzuwenden, müsste man aber den IS als Staat anerkennen – was ausgeschlossen ist.
Den deutschen Pass zu entziehen, wenn jemand eine doppelte Staatsangehörigkeit besitzt, ist nicht möglich. Denn das entsprechende Gesetz wird zwar diskutiert, ist aber noch nicht beschlossen.