Wellness am Arbeitsplatz
19. Juli 2004Entspannung beim Arbeiten, das ist ein Widerspruch in sich. Meint man. Immer mehr Firmen setzen auf ein angenehmes Arbeitsklima. Das Wohlgefühl der Arbeitnehmerschaft wird zunehmend zum "strategischen Wettbewerbsfaktor" erklärt.
Jeder vierte europäische Arbeitnehmer leidet nach einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin unter Stress bei der Arbeit. In der Studie wurden Ergebnisse aus 15 EU-Ländern zu den Bereichen Angst, Depression und Stress von Arbeitnehmern zusammen getragen.
Neben Herzerkrankungen können "burnout"-Syndrome bis hin zur handfesten Depression auftreten. In erster Linie führt das zu einem massiven Verlust an Lebensqualität für die Betroffenen selbst. Die Firmen ihrerseits beklagen hohe Kosten durch Krankenstände und eingeschränkte Produktivität.
Gesundheit als Wettbewerbsfaktor
Die Unternehmen müssten umdenken und psychische Gesundheit als Wettbewerbsfaktor wahrnehmen, fordert die Bundesanstalt. Manager sollten psychischen Belastungen in Unternehmen vorbeugen. Initiativen wie die des Volkswagen-Personalchefs Peter Hartz, eine tariflich bindende "Gesundheitszeit" für die Pflege der Fitness und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter einzuführen, gehen genauso in diese Richtung wie der Versuch vieler Firmen, das Gesundheitsmanagement über das Gehalt zu steuern. Demnach werden etwa mit Führungskräften Ziele vereinbart, in denen die Höhe des Bonus auch vom Krankenstand in ihren Abteilungen abhängt. Beratung brauchen offenbar auch Führungskräfte, wie eine Studie des Karlsruher Instituts für Arbeits- und Sozialhygiene ermittelte: Nur 36 Prozent der Manager treiben Sport, dagegen klagen 85 Prozent über Beschwerden wie Schlaflosigkeit, Verdauungsstörungen und Herzprobleme.
Kundendienst - ganz entspannt
Eine Lösung ganz eigener Art entwickelte der "Presseservice Bonn", der die Kundenbetreuung für verschiedene Verlage übernimmt. Hier richtete man für das Team des telefonischen Kundendienstes einen Ruheraum ein - zunächst zur Probe. "Wir wollten unseren Leuten etwas zum Ausgleich für die beengten Räumlichkeiten bieten", sagt Stephan Klein, der Teamleiter. Der Job bedeutet Dauerstress für seine Leute. Außer einer hohen Konzentration und Aufmerksamkeit für die anrufenden Kunden gibt es weitere Belastungen: "Folgen viele Negativgespräche hintereinander, so muss man den Kopf wieder frei bekommen", so Klein. Denn das oberste Gebot für Kundendienste lautet "Freundlichkeit" - egal, wie sich der Kunde am anderen Ende der Leitung verhält.
Das Herz des neuen Raumes ist ein Massagesessel, umgeben von mediterran-gelber Kulisse mit Blumenposter, Designerlampe, Pflanzen und einem Zimmerbrunnen. Zusätzlich kann der Nutzer Klänge und Düfte wählen, die gerade zur Stimmung passen.
Das Modell kommt gut an
Das Angebot wird sehr gut angenommen, jeder Mitarbeiter hat theoretisch zehn zusätzliche Minuten Pausenzeit für die Entspannung. Allerdings fehlt bei der hohen Arbeitsbelastung dann doch häufig die Gelassenheit für die Entspannung. "In der Mittagspause und nach der Arbeit ist der Raum häufig ausgebucht", sagt Klein. Auf alle Fälle würde es schwer werden, sich am Ende der Probezeit doch noch gegen das Modell "Wellness am Arbeitsplatz" zu entscheiden. "Wir alle haben uns an den Raum schon dermaßen gewöhnt, dass wohl keiner mehr darauf verzichten will", ist sich Stephan Klein sicher.