Welt-Wissen im Internet
16. April 2004Die Einträge kommen aus dem Volk. Jeder darf mitmachen und allein in Deutschland schreiben zur Zeit rund 2000 Freiwillige an dem Mammut-Lexikon. Viele Professoren, Studenten aber auch Rentner beteiligen sich an dem Projekt. Jeder Nutzer darf Artikel verändern oder ergänzen. Allerdings bleiben die alten Versionen eines Textes gespeichert, so dass bei fehlerhaften Korrekturen die alte Version wieder hergestellt werden kann. Wer zu oft negativ auffällt, kommt auf eine schwarze Liste und darf nicht mehr mitmachen. Anders als bei den meisten kommerziellen Online-Lexika können die Einträge bei "Wikipedia" kostenlos abgerufen werden. Trotzdem ist das Projekt nicht auf Werbung angewiesen. "Das Ziel von "Wikipedia" ist es, eine freie Enzyklopädie zu erstellen. Alles andere hat sich diesem Ziel unterzuordnen," erklärt Kurt Jansson, Pressesprecher von "Wikipedia". Deshalb habe "Wikipedia" auch kein Interesse an Werbepartnern.
Spenden für mehr Wissen
Jimbo Wales, Betreiber eines kleinen Softwareunternehmens, gründete das Projekt 2001. Der Amerikaner war es auch, der bis vor kurzem die Finanzierung von "Wikipedia" übernahm. Als ihm das Geld ausging, riefen die "Wikipedianer" Ende 2003 dann auf ihrer Website zu Spenden auf. Innerhalb von drei Tagen kamen so 35.000 US-Dollar zusammen. Spenden aus Deutschland waren auch dabei. Hier versucht "Wikipedia" sich jetzt als Verein eintragen zu lassen. Der Vorteil: Spenden könnten dann auch steuerlich abgesetzt werden.
Web-Anarchie
Von Vereinsmeierei ist "Wikipedia" aber weit entfernt. "Wir sind basisdemokratisch, fast anarchisch," sagt Kurt Jansson. Sucht man den Eintrag "Anarchie" bei "Wikipedia", hat diese Gesellschaftsform hier denn auch keinen staatsfeindlichen Beigeschmack. ("Der aus dem Griechischen stammende Begriff Anarchie bedeutet eigentlich Abwesenheit von Herrschaft…") Fünf Minuten später könnte der Eintrag schon wieder ganz anders aussehen, wenn sich ein "Wikipedianer" berufen fühlt, den Text zu überarbeiten oder zu ergänzen. "Zieh los, korrigiere den Rechtschreibfehler, füge jenen Aspekt hinzu, präzisiere die Sprache." So macht die deutsche Website Mut zum Mitmachen.
Der Vorteil gegenüber anderen Lexika: die vielen freiwilligen Mitarbeiter aktualisieren die Einträge ständig und machen "Wikipedia" damit zum schnellsten Nachschlagewerk der Welt. So standen nach dem Erdbeben im iranischen Bam schon Minuten später aktuelle Beiträge im Netz. Wie zuverlässig diese Auskünfte sind, ist eine andere Frage, aber durch das Korrektiv der vielen "Mitarbeiter" scheinen sachliche und fundierte Einträge zustande zu kommen. Regelmäßig tauchen "Wikipedia"-URLS mittlerweile in der "Links unten"-Rubrik der "Süddeutschen Zeitung" als Tipp zum Weiterlesen auf. Die Themen: Schnee, Diamanten und Muskeln.
Vögel als Lexikon-Enten?
Klaus Holoch, Pressesprecher der renommierten "Brockhaus-Enzyklopädie", hat Zweifel an der Zuverlässigkeit der Online-Einträge: "Ich stelle immer wieder fest, dass bei "Wikipedia" Sachen drin sind, die einfach nicht korrekt sind. Sie finden da auch hin und wieder eine Vogelart, die es gar nicht gibt. Das merkt niemand." Trotzdem fände er die Entwicklung bei "Wikipedia" interessant, sagt Holoch. Eine ernst zu nehmende Konkurrenz für den "Brockhaus" sei die Internet-Enzyklopädie aber nicht. "Immer wenn man sich auf Wissen tatsächlich verlassen will, muss man zu den Quellen gehen, die alles mehrfach prüfen und alles ordentlich einordnen."
Friedliche Koexistenz
Bei "Brockhaus" kümmern sich zwischen 40 und 45 Redakteure um die Einträge. Jeder Text wird mindestens drei Mal von Professoren, Wirtschaftsexperten und anderen Fachleuten geprüft. Die Personalkosten sind hoch. Deshalb werde "Brockhaus" seine Inhalt auch in Zukunft nicht kostenfrei anbieten können. Trotzdem macht sich Holoch keine Sorgen um das Internetangebot von "Brockhaus": "Ich denke, dass "Wikipedia" sich weiter entwickeln wird und seinen Platz findet. Aber ich bin auch ganz sicher, dass "Brockhaus.de" erfolgreich sein wird und dass wir uns dann schön nebeneinander bewegen."