Welterbe aus dem 3-D-Drucker
8. Oktober 2016Was wohl die fanatischen Anhänger des sogenannten Islamischen Staates denken würden, wenn sie ihn sähen: den geflügelten Löwen mit Menschenkopf. Er steht in Rom im Kolosseum, als hätten die Dschihadisten ihn nie pulverisiert. Auferstanden aus dem Nichts, rekonstruiert aus Fotos, Filmaufnahmen und Zeichnungen im originalen Maßstab, gefertigt von 3-D-Druckern, mit Marmorstaub auf alt getrimmt. Eigentlich hütete er in Nimrud den Thronraum von König Assurnasirpal II..
In der Schau "Wiedererstehen aus Zerstörung" sind neben der Löwenfigur bis zum 11. Dezember noch weitere Kulturschätze zu sehen, die vom IS zerstört wurden oder Kämpfen zum Opfer fielen: etwa beschriebene Steintafeln und die Grundmauern des Archivs von Ebla aus dem nördlichen Syrien oder ein kunstvolles Deckenrelief aus dem Baaltempel in Palmyra. "Wir wollen zeigen, dass alles, was zerstört wurde, wieder aufgebaut werden kann", sagte der Initiator, Francesco Rutelli, der Deutschen Presseagentur. Doch wem helfen solche Rekonstruktionen?
Mehr als eine Touristenattraktion
Eine wilde Zusammenstellung von kulturellem Erbe – präsentiert im Weltkulturerbe Kolosseum. Dabei liegt der Verdacht nahe, dass das Ganze nur eine Touristenattraktion ist. Die UNESCO hat bei dem Projekt die Schirmherrschaft übernommen. Doch es sei nicht im Sinne der UNESCO, Plastikkulissen wie für einen Freizeitpark zu schaffen, so Mechthild Rössler. Es gehe darum, ein Bewusstsein für zerstörtes Kulturerbe zu schaffen. Die Nachbildungen sollen daran erinnern, was man verlieren kann - oder bereits verloren hat.
Rössler ist Direktorin der Abteilung für das Kulturerbe und das Welterbezentrum am UNESCO-Hauptsitz in Paris. Sie war im April, nach der Vertreibung des IS, selbst in Palmyra und hat sich ein Bild davon gemacht, in welchem Zustand sich die archäologische Stätte und das Museum befinden. Der IS hatte Palmyra im Mai 2015 besetzt und war im März dieses Jahres von der syrischen Armee mit russischer Hilfe vertrieben worden.
Plastik-Nachbildung statt Welterbe
Die Nachbildungen, die in Rom zu sehen sind, haben 160.000 Euro gekostet – Geld, das ausschließlich aus privaten Quellen stamme, so Initiator Rutelli. Die Ausstellung zeigt auch zwei Originale: zwei Büsten, die im zweiten oder dritten Jahrhundert entstanden, als Palmyra noch zum römischen Weltreich gehörte. IS-Kämpfer haben ihre Gesichter zerstört. Nachdem der IS vertrieben war, wurden sie in Zusammenarbeit mit syrischen und libanesischen Behörden legal nach Italien gebracht. Hier sollen sie nun rekonstruiert werden, danach wollen die Römer sie nach Palmyra zurückbringen.
Will man auch die Nachbildungen nach dem Ende der Schau dorthin verfrachten? Das gehe nicht, so Rössler: "Dann ist es ja kein Welterbe mehr." Denn es gibt eine internationale Richtlinie, die vorschreibt, wie mit historischer Bausubstanz umzugehen ist. In der Charta von Venedig von 1964 steht: Für archäologische Stätten sind Rekonstruktionen untersagt – es dürfen lediglich vorhandene alte Teile wieder zusammengefügt werden.
Palmyra ist noch vermint
Syrien besitzt sechs Welterbestätten – alle davon stehen als gefährdet auf der Roten Liste der UNESCO. Im April war lange Zeit nicht klar, ob die Sicherheitslage Mechthild Rössler einen Besuch in Palmyra überhaupt erlauben würde. Immer noch herrsche dort Lebensgefahr, so Rössler. Die russische Armee habe dort bereits über 3000 Minen entfernt – dennoch sei das Entschärfen von Sprengfallen noch nicht beendet.
Zunächst habe man deshalb mit Arbeiten im Museum in Palmyra begonnen und dokumentiere dort, was in welchem Maße beschädigt sei. Das Gebäude müsse stabilisiert werden, eine Bombe habe dort zwei Etagen durchdrungen. An eine Bestandsaufnahme der archäologischen Stätte sei noch nicht zu denken: "Die Leute dort schlafen im Moment im Museum auf dem Boden. Die Konditionen für normale, archäologische Arbeit sind noch gar nicht gegeben."
Laut dem Deutschen Roten Kreuz sind zurzeit 12,2 Millionen Menschen in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen. Angesichts der aktuellen Lage zweifelt Rössler daran, dass man sich zuerst um die archäologische Stätte in Palmyra kümmern sollte: "Was ist mit Aleppo? Das ist eine Stadt auf der Welterbeliste, in der Menschen leben wollen. Und da sind die Fragen, was man macht, viel brennender als in Palmyra. Palmyra ist natürlich weltweit ein Symbol, weil viele Touristen dort hingefahren sind."
Palmyra zwischen den politischen Fronten
Seine Bekanntheit macht Palmyra auch politisch zu einem Spielball: Nicht erst als das Orchester des Petersburger Mariinski-Theaters unter Leitung von Valery Gergiev auf den Trümmern Palmyras erklang, war klar: Palmyra ist ein politisches Symbol. Der Plan, es innerhalb von fünf Jahren nach der Rückeroberung vom IS wieder aufzubauen, wie es die syrische Regierung verbreitete, soll auch ein Zeichen der scheinbaren Stärke des syrischen Regimes und seiner russischen Unterstützer sein.
Welterbe zwischen den Fronten des Syrien-Kriegs zu retten, ist keine leichte Aufgabe. Aber es gibt Fortschritte: "Wir sind als UNESCO die einzige Organisation weltweit im Kulturbereich, die sowohl die syrische Antikenverwaltung, den DGAM, als auch Oppositions-Experten in einen Raum bringen kann und das haben wir gemacht", sagt Rössler. Im vergangenen Juni haben die Teilnehmer der UNESCO-Syrien-Konferenz in Berlin einen Aktionsplan ausgearbeitet, der kurz-, mittel- und langfristige Handlungsmaßnahmen festhält, um das syrische Kulturerbe zu bewahren.
Fünf Jahre, um Palmyra wieder im alten Glanz erstrahlen zu lassen, hält Mechthild Rössler dennoch für zu optimistisch: "Das ist natürlich eine kurze Zeitspanne, wenn man die momentanen Bedingungen bedenkt. Wenn es Frieden gäbe, wäre es in fünf Jahren möglich. Den Triumphbogen könnte man morgen bereits wieder aufrichten. Man müsste allerdings das Equipment haben, und momentan könnte man vermutlich über die Straße nach Palmyra noch nicht einmal die Ausrüstung transportieren."
Zerstörung von Weltkulturerbe ist Kriegsverbrechen
Die Zerstörung von Weltkulturerbe ist ein Kriegsverbrechen: Das urteilte das Weltstrafgericht in Den Haag am 27.09.2016 – ein historisches Urteil. Neun Jahre Haft warten nun auf einen Mann, der mit anderen Dschihadisten 2012 historische Mausoleen und eine Moschee in der Oasenstadt Timbuktu in Mali verwüstete. Die Mausoleen stehen heute wieder: Sie wurden von der UNESCO, auch mit finanzieller Hilfe der EU, wieder aufgebaut.
Ob sich irgendwann auch die Terroristen, die in Syrien gewütet und 2000 Jahre steingewordene Menschheitsgeschichte einfach weggesprengt haben, in Den Haag verantworten müssen, zeichnet sich noch nicht ab.