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Politik

Ein polnischer Tag

1. September 2019

Die Erinnerung an den Beginn des Zweiten Weltkrieges in Polen in Wieluń und Warschau versöhnte mit starken Worten und Gesten. Es gab ergreifende, persönliche Momente, aber auch harte Politik.

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Polen Wielun Gedenken an den Beginn des 2. Weltkrieges
Bild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Zwei Gedenkfeiern erinnerten am Sonntag an den deutschen Überfall auf Polen - und waren doch ganz unterschiedlich. Am Nachmittag endete das Gedenken in Warschau mit 250 geladenen Gästen aus aller Welt und einer klaren politischen Botschaft des Gastgebers.

Begonnen hatte es zehn Stunden zuvor, eher bescheiden in einem kleinen Ort, zwei Autostunden Fahrt von der Hauptstadt entfernt. Dort, in Wieluń, dröhnten um 4.40 Uhr die Alarmsirenen. So gedenkt die Stadt seit einigen Jahren der eigenen Opfer. 1200 Menschen starben dort am 1. September 1939, als ohne jede Vorwarnung die Bomben fielen. "Es war ein Terrorangriff der deutschen Luftwaffe", sagte der deutsche Bundespräsident.

Erinnern an Terror im Morgengrauen

Frank-Walter Steinmeier war der erste ausländische Staatsmann, der Wieluń besuchte. Rund 2000 Menschen versammelten sich auf dem Platz der Legionen, dem zentralen Ort in Wieluń, deutlich mehr als sonst aus diesem Anlass.

Dass sich der Gast aus Deutschland an diesem Jahrestag vor die Einwohner stellte, würdigten sie. "Herzlich willkommen, Herr Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland Frank-Walter Steinmeier", so begrüßte ihn der Bürgermeister von Wieluń auf Deutsch. Der polnische Präsident Andrzej Duda sagte, dass 80 Jahre nach den Verbrechen der Deutschen der Bundespräsident in den Ort komme, sei "eine moralische Wiedergutmachung".

Gedenken an den Beginn des 2. Weltkrieges in Polen
Gedenken im Morgengrauen - Bundespräsident Steinmeier in WieluńBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Und dann sparte der Gastgeber bei der Erinnerung an die Ereignisse keine Details aus. Fast minutiös wurde der Tagesanbruch des 1. September 1939 nacherzählt. Es war ein Freitag, viele Händler aus der Umgebung eilten zum Markt in die 16.000-Seelen-Stadt, am Morgen sollte für die Kinder ein neues Schuljahr beginnen. Niemand ahnte, dass "die Vertreter dieses so zivilisierten Landes, einer großen europäischen Kultur hier etwas so Barbarisches tun würden", erklärte Duda.

Der ergreifendste Moment des Tages

Im Publikum bekannte Iwona, eine junge Frau, sie habe den deutschen Präsidenten "nicht beneidet", da er mit der historischen Wahrheit "einiges" aushalten müsste. Sie sei froh, dass Steinmeier nach Wieluń gekommen sei. "Darum erfährt die ganze Welt, was bei uns geschah", ergänzte die 72-jährige Bogumiła Parzonka. Sie habe den Wiederaufbau der Stadt miterlebt. "Es ist lange her, wir haben den Deutschen verziehen und die Jugend kann nichts dafür." Nicht alle auf dem Platz teilten diese Meinung, doch die versöhnlichen Kommentare überwogen.

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"Wir haben den Deutschen verziehen" - die 72-jährige Bogumiła Parzonka (l) in WieluńBild: DW/R. Romaniec

Dazu trug vor allem Steinmeier selbst bei. "Ich verneige mich vor den Opfern des Überfalls auf Wieluń. Ich verneige mich vor den polnischen Opfern der deutschen Gewaltherrschaft. Und ich bitte um Vergebung", sagte der Bundespräsident und wiederholte die drei Sätze auf Polnisch. Dieser Wechsel von der für polnische Ohren hart klingenden deutschen Sprache in das vertraute Polnisch, so dass alle auf dem Platz die Botschaft des Gastes verstanden - das war womöglich der ergreifendste Moment des Gedenktages.

Die Stunden in Wieluń endeten für die beiden Staatspräsidenten mit einer persönlichen Begegnung mit Zeitzeugen. Der deutsche Gast versprach ihnen, sein Land werde immer die Verantwortung tragen.

Ein anderes Gedenken in Warschau

Von Wieluń nach Warschau: Dort fand mittags die zentrale Gedenkfeier statt, zu der auch Bundeskanzlerin Angela Merkel anreiste. Anders als in der kleinen Stadt Wieluń waren in Warschau kaum Einwohner vor Ort. Vielleicht lag es an den Sicherheitsvorkehrungen oder an der brennenden Sonne.

Auch auf dem Pilsudski-Platz in Warschau ging es um Erinnerung und Opfer, um deutsche Schuld und Verantwortung, um das "lebendige Wunder der Versöhnung", wie der Bundespräsident "in Demut und Dankbarkeit" betonte. "Wir werden niemals vergessen", sagte er auch im Namen der Bundeskanzlerin.

Und doch war der Charakter der Gedenkfeier ganz anders als am Morgen. Duda nutzte die Chance, vor einem internationalen Publikum an die Heldenhaftigkeit seiner Landsleute zu erinnern ebenso wie an die oft vergessene Dimension der polnischen Opfer.

In diesem Sinn sprach auch der letzte Redner, US-Vizepräsident Mike Pence, der kurzfristig für Donald Trump eingesprungen war. Er betonte alles, was die Polen gerne über ihr Heldentum, ihren ungebrochenen Freiheitsgeist und ihre Verdienste bei der Befreiung Europas von den Diktaturen des 20. Jahrhunderts hören. Und doch fehlte etwas in seinem Auftritt. Er knüpfte kaum an die transatlantische Partnerschaft an, lieferte kaum neue Impulse und sprach sehr auf die Vergangenheit bezogen.

Polen Gedenken Zweiter Weltkrieg Warschau
US-Vizepräsident Pence (r), Polens Staatschef Duda (m) und Bundespräsident Steinmeier (l) in WarschauBild: picture-alliance/AP Photo/P. D. Josek

Zum Schluss die Politik

Um so klarere Signale sandte der polnische Staatschef Duda - an die eigenen Landsleute und an die internationalen Gäste. Er erwähnte Russland mit keinem Wort, doch alle wussten, wen er meinte, als er entschiedenes Handeln gegen militärische Aggressionen forderte. Er machte auch einen gewagten Vergleich: "Den deutschen Überfall auf Polen hätte es möglicherweise nicht gegeben, wenn sich die Westmächte dem Anschluss Österreichs entgegengestellt und scharf gegen die Verfolgung von Juden in Deutschland protestiert hätten." Dies sei eine große Lektion. "Man kann und darf nicht zur Tagesordnung übergehen bei solchem Vorgehen", forderte er im Hinblick auf die Annexion der Krim und den Konflikt im Osten der Ukraine. Aus Russland waren übrigens keine Gäste auf den Pilsudski-Platz geladen.

Das derzeit schwierigste Thema zwischen Deutschland und Polen klammerte Duda aus: die Forderung nach Reparationszahlungen. Schon im Vorfeld hatte es für Misstöne gesorgt. Nur eine kleine Gruppe Demonstranten rief nach dem Auftritt des Bundespräsidenten das Wort "Reparationen" - es verhallte schnell.

Morgens in Wieluń hatte die 72-jährige Bogumiła Parzonka gefragt, ob das Thema wohl angesprochen werde. Beide Länder müssten offen darüber reden, sagte sie und wünschte sich "zumindest etwas Symbolisches". Nur nicht heute - denn "dafür ist heute für uns ein viel zu wichtiger Tag".