Weltsynode im Vatikan: Experiment mit Explosionsgefahr
3. Oktober 2023Vielleicht steht diese kleine römische Szene symbolisch für das, was gerade in der katholischen Kirche passiert. Lächelnd, ja strahlend kurvt die Mittfünfzigerin auf ihrem zu kleinen Fahrrad von der Engelsburg Richtung Petersplatz und Vatikan. Mal weicht sie einer Gruppe Touristen aus, mal erkennt sie jemanden und winkt. Und stets lacht sie.
Die Radlerin ist Nathalie Becquart, eine französische Ordensfrau im Vatikan. Und seit Papst Franziskus die nun 54-Jährige Anfang 2021 zur Untersekretärin der Bischofssynode ernannte und sie die erste Frau mit Stimmrecht bei solchen Bischofs-, also Männer-Treffen wurde, ist Becquart wohl die bekannteste Frau im Vatikan.Auch in diesen Tagen vor der am 4. Oktober beginnenden Weltsynode, begegnet sie jedem, der sie anspricht, mit Herzlichkeit. Das Treffen in Rom, bei dem rund 450 Delegierten im Vatikan über Reformen und über ein neues Miteinander in der katholischen Kirche beraten, dauert bis zum 29. Oktober. Im Oktober 2024 soll es fortgesetzt werden.
Anderer Stil in Vatikan
Die Vorbereiter von Bischofssynoden, diesen alle paar Jahre im Vatikan tagenden Beratungsrunden zu Grundsatzthemen, waren lange Zeit stets schwarz gekleidete Priester, die mit ernstem Blick und Aktentasche den Vatikan verließen und zu Mittagessen und Siesta entschwanden. Und nun eine strahlende Ordensfrau auf einem Velo. Irgendetwas ist anders im Vatikan.
Aber was? Das ist eine lange Geschichte.
Im März 2013 wählten die Kardinäle im Konklave den Argentinier Jorge Mario Bergoglio zum Papst. Unter dem Namen Papst Franziskus macht er seitdem vieles anders als seine Vorgänger, oft symbolisch und bildstark. Zuletzt stellte er die Struktur des vatikanischen Apparats, der Kurie neu auf. Die Kurie ist die Gesamtheit aller Behörden und Einrichtungen, die dem Papst bei der Ausübung seines Amtes helfen.
Aber spürbare Änderungen in den lehramtlichen Vorgaben blieben weitgehend aus. Als im Herbst 2019 eine dreiwöchige Synode zur Lage der Kirche am Amazonas dem Papst mit Zweidrittel-Mehrheit empfahl, verheiratete Diakone zu Priestern zu weihen (und also von der Zölibatsverpflichtung für Priester abzusehen) und damit mehr Eucharistiefeiern in der weiten Region zu ermöglichen, änderte sich – nichts.
Die Moderne und die Machtfrage
Seit Jahren wirkt es so, als steuere alles auf die nun beginnende Weltsynode zu. Wird sich die katholische Kirche - ein wenig oder ein wenig mehr - in Richtung Moderne bewegen? Den Ausschluss der Frauen von jedem Weiheamt überdenken? Anders mit sexuellen Lebensgemeinschaften umgehen? Die Macht der Kleriker begrenzen und den patriarchalen Stil irgendwie überdenken? Die Debatten in der Kirche sind scharf.
Und eigentlich geht es um eine Abkehr von der absoluten Machtfülle, die das Erste Vatikanische Konzil (1869/70) dem Papst zubilligt. Knapp 100 Jahre später hob das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) die Kirche in vielen Bereichen in die Gegenwart, etwa bei der Anerkennung von Menschenrechten und Religionsfreiheit oder der Einführung der Volkssprache in der Liturgie, dem Ablauf eines Gottesdienstes. Aber es zementierte letztlich die klerikale Machtstruktur.
Nun also Franziskus, der mit knapp 87 Jahren zur Weltsynode über das Miteinander der Gläubigen und die Zukunft der Kirche ruft. Da geht es um einen anderen Beratungs- und Entscheidungsstil. Erstmals sind Laien mitbeteiligt und stimmberechtigt. Wenn auch in weit kleinerer Zahl als Bischöfe. Ein Siebentel aller Stimmen kommt von Frauen. Es soll wirklich ein Gespräch, ein gemeinsames Suchen geben. Manche sagen "Supersynode". Und viele sprechen jetzt schon von einer historischen Bedeutung dieses Prozesses. Zugleich bezweifeln durchaus prominente Theologen wie der international bekannte Kirchenhistoriker Hubert Wolf die Aussichten der Veranstaltung. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sprach er von einem "weiteren Debattierclub ohne rechtliche Vollmachten".
Synode - "kein Parlament"
Der Heilige Geist, sagte Papst Franziskus an Pfingsten 2023, müsse zum Prinzip und zur Mitte der synodalen Arbeit werden. "Nicht ein Parlament, in dem es darum geht, Rechte und Bedürfnisse nach der Agenda der Welt einzufordern, (…) sondern eine Gelegenheit, um dem Wehen des Geistes zu folgen."
Dabei liegen die harten Themen auf dem Tisch. Der Ausschluss der Frauen von jedem Weiheamt in der katholischen Kirche, der Pflichtzölibat, der Umgang der Kirche mit Homosexuellen und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften, mehr Hinwendung zu Menschen am Rande der Gesellschaft. Und seit der Aufdeckung massenhaften sexuellen Missbrauchs durch Priester an Minderjährigen, den nicht wenige Bischöfe vertuschten, geht es auch um die Macht der Männer in der Amtskirche. Sie ist verbunden mit den "systemischen Ursachen" der Missbrauchskrise.
Viele Themen entsprechen dem, was der "Synodale Weg", von 2019 bis 2023 in Deutschland an Reformen erörterte. Der reformorientierte Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, will, dass die Weltsynode den nationalen Bischofskonferenzen mehr Freiräume gewährt. "Teilkirchen gehen ganz unterschiedliche Wege in einem Geist." Das würde unterschiedliche Geschwindigkeiten bei Veränderungen ermöglichen, ohne den Zusammenhalt aufzukündigen. Sein Mitbruder in Augsburg, Bischof Bertram Meier, vergleicht die kommenden Wochen mit einem Experiment im schulischen Chemieunterricht. Diese könnten "zu ganz neuen Lösungen, aber auch zu Explosionen führen". Beide, Bätzing und Meier, sind in Rom dabei. Zwei von fünf deutschen Bischöfen.
Weltweit Bewegung
Ganz ungewöhnlich: Seit gut zwei Jahren wurden weltweit zunächst auf nationaler, dann auf kontinentaler Ebene die Synoden-Themen beraten. Klar ist zumindest, dass die reformorientierte deutsche Kirche nicht allein steht. Aus vielen europäischen Ländern, aus Lateinamerika, auch aus Teilen Asiens kommen ähnliche Aussagen. In Afrika ist die Kirche eher konservativ geprägt, in den USA scheint sie fast gespalten, viele Konservative agieren offen gegen den amtierenden Papst.
Aber noch in den letzten Wochen plädierten einzelne Bischöfe in ganz unterschiedlichen Ländern wie Australien, Belgien und der Dominikanischen Republik für ein Ende der Zölibatspflicht. Vor 20, 30 Jahren hätte ein Oberhirte dafür scharfe Zurückweisungen aus Rom erwarten dürfen.
Ein weiteres wichtiges Thema: die Teilhabe von Frauen. Die Frage nach mehr Beteiligung von ihnen in der Kirche werde weltweit erhoben, sagte die Ordensfrau Nathalie Becquart zuletzt in Interviews. Sie sei ein "Megathema", aber nicht immer gehe es um die Weihe von Frauen für ein kirchliches Amt. Die Französin, von der britischen BBC 2022 als eine der 100 wichtigsten Frauen weltweit benannt, betont immer mal wieder: "Dialog hilft, die Zeichen der Zeit zu erkennen." Dazu trägt sie bei mit ihrer Aufbruchsmentalität.
Indes - einige teilen diese Stimmung gar nicht. In diesen Tagen sind auch – ehemalige oder aktive - Katholiken und Katholikinnen aus 26 Ländern nach Rom gekommen, die als Heranwachsende Opfer von sexuellem Missbrauch durch Männer der Kirche wurden. Aus 26 Ländern auf fünf Kontinenten: Neuseeland und Mexiko, Kanada und Kongo, Slowenien und Spanien. Zur Erinnerung: Den Anstoß zu Beratungsprozessen und nationalen Synoden gab der massenhafte Missbrauch von Minderjährigen durch Kirchenleute.
Geschichten des Leids
Wenn sie erzählen, schildern sie schreckliche Geschichten. Und eigentlich immer beklagen sie, dass der Vatikan nicht genug unternimmt, immer noch nicht. Und sie fordern, dass das Dikasterium (Zentralbehörde) für die Glaubenskongregation ihnen Einsicht in Akten gewährt, die ihre Täter und deren Verbrechen erfasst haben.
Weltweit bekannt ist die Forderung nach "Zero Tolerance", "Null Toleranz" in der Aufklärung dieser Verbrechen, die Papst Franziskus einige Male betonte. Das klang medienwirksam stark. Aber es mehren sich die Zeichen dafür, dass es der Vatikan, vielleicht auch der Papst selbst nicht ganz so konsequent nimmt. Die Missbrauchsopfer sind empört, dass Franziskus nun als obersten Glaubenswächter einen argentinischen Erzbischof nach Rom berufen und mit der Kardinalswürde ausgezeichnet hat. Erzbischof Victor Fernandez hat nach Aussage von Missbrauchsopfer-Vertretern sexuelle Gewalt von Priestern vertuscht und Täter geschützt.
Wenigstens einen Appell hatten die Opfer-Sprecher noch. Papst Franziskus solle noch vor der Eröffnung der Synode ein "verbindliches und universelles Null-Toleranz-Mandat in der Kirche einführen".
Es wäre mehr als eine Überraschung.