Weltweite Bestürzung
22. November 2006Die Ermordung des anti-syrischen Industrieministers Pierre Gemayel am Dienstag (21.11.2006) hat weltweite Bestürzung hervorgerufen. UN-Generalsekretär Kofi Annan sprach von einem "kaltblütigen Mord". Der UN-Sicherheitsrat verurteilte den Mordanschlag und sprach sich zugleich für die Einsetzung eines Tribunals aus, vor dem die Verantwortlichen für den Mord an dem libanesischen Ex-Regierungschef Rafik Hariri vom Februar 2005 zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Der Mord an Gemayel löste im Libanon am Vorabend des 63. Jahrestages der Unabhängigkeit des Landes erste Unruhen aus. Gemayel war von Unbekannten in seinem Auto in einem Vorort von Beirut erschossen worden.
Gemayel sei ein Patriot gewesen, hieß es in einer von Frankreich verfassten Erklärung, die der peruanische Botschafter, Jorge Voto-Bernales, als amtierender Vorsitzender in der Sitzung des Sicherheitsrats verlas. Der Sicherheitsrat rief "alle Parteien im Libanon und der Region dazu auf, Zurückhaltung zu üben und sich verantwortungsvoll zu verhalten".
US-Vorwürfe gegen Syrien
"Heute haben wir wieder die böse Fratze derer gesehen, die die Freiheit verachten", sagte George W. Bush im US-Bundesstaat Hawaii. Der US-Präsident warf dem Iran und Syrien vor, im Libanon "Instabilität" zu schaffen. Nach Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist das Attentat "ein weiterer Versuch, die Entwicklung des Libanon auf dem Weg zur nationalen Einheit und zu einem unabhängigen und souveränen Staat zu behindern". Die EU erklärte, es werde alles unternommen, die derzeitige Regierung zu unterstützen. Moskau sprach von einer "enormen Beunruhigung".
Papst Benedikt XVI. verurteilte den Mord und rief die Menschen im Libanon zur Besonnenheit auf. "Ich verurteile solche brutalen Angriffe auf das Entschiedenste", sagte der Papst am Mittwoch vor Pilgern auf dem Petersplatz im Rom. Er appelliere an das libanesische Volk, sich vor den "dunklen Kräften" in Acht zu nehmen, die das Land zerstören wollten.
Für die Tat ist nach Ansicht des libanesischen Drusenführers Walid Dschumblatt die syrische Regierung verantwortlich. Der Anschlag solle dem libanesischen Volk Angst einjagen, sagte Dschumblatt am Mittwoch im deutschen Rundfunk.
Stimmung gegen pro-syrische Politiker
Die libanesische Regierung begrüßte die Einsetzung des Hariri-Tribunals. Das Parlament muss jedoch noch zustimmen. Hariri war im Februar 2005 bei einem Bombenanschlag in Beirut getötet worden. Einer internationalen Untersuchung unter UN-Aufsicht zufolge weisen die Spuren der Täter ins Nachbarland Syrien. Die Regierung in Damaskus weist dies zurück.
Im Heimatort des 34-Jährigen Gemayel östlich von Beirut zerstörten Anhänger am Dienstagabend die Autos von pro-syrischen Politikern. Ähnliche Vorfälle wurden auch aus der Hauptstadt gemeldet. Der Sohn des ermordeten libanesischen Ex-Ministerpräsidenten Hariri, Saad Hariri, beschuldigte Libanons Nachbarland Syrien, hinter der Tat zu stecken. "Sie tun das, was sie geschworen haben zu tun, sie wollen alle freien Menschen im Libanon töten", sagte er in Beirut. Dem US-Nachrichtensender CNN sagte er: "Wir glauben, dass Syrien da überall seine Finger im Spiel hat." Syrien wies diese Anschuldigung vehement zurück. Damaskus sei "empört über diese furchtbare Tat", erklärte die syrische Botschaft in Washington.
"Keine Auswirkungen" auf deutschen Libanon-Einsatz
Der Anschlag hat nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums vom Mittwoch zunächst keine Konsequenzen für den Einsatz der deutschen Marine vor der libanesischen Küste. Die Bundeswehr führt den internationalen Marineverband Unifil, der vor der libanesischen Küste den Waffenschmuggel an die radikal-islamische Hisbollah unterbinden soll.
Die Bundesregierung setzt auch nach dem Mord auf eine Friedenslösung im Nahen Osten unter Beteiligung Syriens. "Es ist ja verschiedentlich deutlich gemacht worden,... dass eine langfristig tragfähige Lösung nur unter Einbindung auch Syriens gelingen wird", sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am Mittwoch in Berlin. Es gehe dabei um eine Lösung für einen souveränen unabhängigen Libanon, der mit seinen staatlichen Institutionen eine effektive Kontrolle über alle Teile seines Landes ausüben könne.
Regierungsschef ruft zu Ruhe auf
Führende libanesische Politiker riefen die Bevölkerung zur Ruhe auf. Amine Gemayel, der von 1982 bis 1988 Präsident war, appellierte an die Anhänger, sich nicht zu unbedachten Taten hinreißen zu lassen. Regierungschef Fuad Siniora sagte: "Wir werden nicht zulassen, dass die Mörder über das Schicksal des Libanon bestimmen." Der pro-syrische Präsident Emile Lahoud rief die gespaltene Bevölkerung zum Dialog auf.
Gemayel war maronitischer Christ und gehörte dem anti-syrischen Lager im Libanon an. Der 34-Jährige war der Sohn des ehemaligen Präsidenten Amine Gemayel und der Neffe des 1982 ermordeten Staatschefs Beschir Gemayel. Die Beerdigung von Gemayel soll am Donnerstag stattfinden. Die Feierlichkeiten für den 63. Jahrestag der Unabhängigkeit wurden abgesagt. (rri)