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Organhandel boomt

Peter Hummel16. August 2012

Das System des Organhandels mit seinen teilweise mafiösen Strukturen ist nur schwer zu durchschauen. Sicher ist: Die Reichen profitieren davon, dass die Armen ihr Leben riskieren.

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Organhandel in Pakistan (Foto:Olivier Matthys/EPA dpa)
Organhandel in Pakistan - Arme verkaufen ihre NierenBild: picture-alliance/dpa

Wiru ist 12 Jahre alt und lebt in einem kleinen Dorf in Indien. Dort, drei Stunden südlich von Delhi, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man als Kind gekauft wird. 2500 Rupien hat Wiru gekostet, etwa 38 Euro, seither arbeitet er in einer Fabrik und klebt gefälschte Gucci-Taschen zusammen. 200 pro Tag muss er schaffen, sonst bekommt er Ärger mit seinem Besitzer. "Wenn ich groß bin, werde ich reich", sagt Wiru, "dann verkaufe ich eine meiner Nieren und muss nicht mehr hier arbeiten." Sein Vater, den er seit drei Jahren nicht mehr gesehen hat, habe das auch so gemacht.

Tatsächlich hat sich in den Slums der großen Städte in Indien herumgesprochen, dass es eine Möglichkeit gibt, der Armut zu entrinnen. Rund 55.000 Rupien, etwa 800 Euro, ist eine Niere auf dem Schwarzmarkt wert, für viele Inder ein Vermögen. Zwar hat das Land den Handel mit menschlichen Organen untersagt und vor einigen Jahren wurde das Strafmaß von zwei auf fünf Jahre Gefängnis erhöht, aber eine abschreckende Wirkung hat das kaum. Das Geschäft ist zu lukrativ und das Risiko, erwischt zu werden, nicht groß. Zumal sich der Spender nur als Freund des Empfängers ausgeben und das Geld, das bezahlt wird, als Geschenk deklarieren muss. Insofern ist die Befragung durch eine offizielle Regierungskommission zu den Motiven der Spende meist nur eine Farce.

Nieren sind in Indien besonders günstig

Schon im Jahr 2003 wies die Anthropologin Nancy Scheper-Hughes in der medizinischen Fachzeitschrift "The Lancet" darauf hin, dass sich der Transplantationstourismus in den armen Ländern zu einem regelrechten Wirtschaftsfaktor entwickle und immer und überall in die gleiche Richtung gehe: Von Süden nach Norden, von Osten nach Westen, von arm nach reich, von dunkler Hautfarbe zu heller.

Eine indische und afrikanische Niere kostet etwa 1000 Dollar, eine Niere aus Rumänien oder Moldawien etwa 2700 Dollar, eine türkische Niere bis zu 10.000 Dollar, in den USA können Nierenhändler 30.000 Dollar an einer Transaktion verdienen - manchmal auch das Zehnfache.

Spenderniere während der Transplantation. (Foto: Jan-Peter Kasper dpa - Bildfunk)
Eine Niere kostet in Indien und Afrika nur etwa 1000 Dollar.Bild: picture-alliance/dpa

Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gingen im Jahr 2007 davon aus, dass weltweit etwa fünf Prozent aller Transplantationen über den Schwarzmarkt versorgt würden und in manchen Ländern diese Praxis sogar vorherrschend sei. Das bedeutet bis zu 20.000 Nieren weltweit jährlich - bei steigender Nachfrage, weil die Menschen immer älter werden. Derzeit warten in Deutschland 8000 schwerkranke Menschen auf eine neue Niere,  40.000 in Europa. 2011 wurden in der Bundesrepublik 2850 Nieren auf offiziellem Weg transplantiert.

Organhandel-Mafia

In der aktuellen Ausgabe des Magazins "Der Spiegel" wird ein Fall dokumentiert, bei dem ein deutscher Fabrikant die Niere einer russischen Emigrantin bekam. Anders gesagt: die Geschichte darüber, wie reiche Kranke auf Kosten von Armen ihr Leben verlängern können. "Das sind mafiöse Strukturen", sagt der Spiegel-Redakteur Steffen Winter. "Der Arzt, der in unserem Fall die Operation durchgeführt hat, ist in mehreren Ländern der Welt aktiv, hat schon 4000 Nieren transplantiert und wird mit internationalem Haftbefehl gesucht."

Der Handel mit Organen, das skrupellose Ausnutzen von Hoffnung auf der einen und Ausweglosigkeit auf der anderen Seite, ist ein Milliardengeschäft. Die Organisation "Organs Watch" beschreibt den typischen Empfänger zum Beispiel in den USA, in Israel, Saudi Arabien oder Australien als 48,1 Jahre alt, männlich, Jahreseinkommen 53.000 Dollar. Der typische Spender kommt aus Indien, China, Moldavien oder Brasilien, ist 28,9 Jahre alt, männlich und hat ein Jahreseinkommen von 480 Dollar.

Ärzte jetten durch die Welt und verpflanzen überall dort Organe, wo dies ohne große Kontrolle möglich ist. Wenn schließlich, so die Ergebnisse der Spiegel-Recherche, ein Krankenhaus irgendwo in Südafrika oder Brasilien nach einigen Tagen auffliegt, weichen die Chirurgen in das nächste Land aus. Derzeit sind vor allem Kliniken auf Zypern und in Kasachstan beliebt.

Operation: Nierentransplantation (Foto: Jan-Peter Kasper dpa - Bildfunk)
Ärzte verpflanzen weltweit Organe aus dem Organhandel. Einige Ärzte werden bereits mit internationalem Haftbefehl gesucht.Bild: picture-alliance/dpa

Weltweit geächtet

Die WHO-Resolution SHA63.22 aus dem Jahr 2010 enthält elf Grundsätze über die Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit von Organspenden. Schon drei Jahre zuvor hatten 150 Experten und Regierungsvertreter aus der ganzen Welt die Istanbuler Erklärung gegen Organhandel und Transplantationstourismus verabschiedet. Auch der Europarat und der Weltärztebund ächtet den Handel mit Organen.

In Deutschland werden entsprechende Vergehen nach dem Transplantationsgesetz mit einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet, auch für den Empfänger. Dies gilt auch, wenn die Verpflanzung im Ausland stattgefunden hat. Lebendspenden sind nur erlaubt, wenn sie freiwillig sind und die betroffenen Personen in einem engen verwandtschaftlichen und/oder emotionalen Beziehung zueinander stehen, heißt es bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation.

"Eine schlimme Form der Ausbeutung"

Für viele Experten sind in Zukunft weltweit mehr Lebendspender unverzichtbar, denn selbst wenn sich jeder in Deutschland bereit erklären würde, nach seinem Tod seine Organe zur Verfügung zu stellen, gäbe es vermutlich immer noch eine Versorgungslücke. Friedrich Breyer, Gesundheitsökonom an der Universität Koblenz, forderte deshalb im "Handelsblatt" den Gesetzgeber dazu auf, einen regulierten Organmarkt zuzulassen. Nur so lasse sich das knappe Angebot an Spendernieren erhöhen.

"Der freie Markt schafft nicht nur Arbeitsplätze und Wohlstand", so Breyer, "er kann auch Leben retten." Er hält ein solchen System sogar für eine moralische Pflicht. Günter Kirste, medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation, sieht das anders: "Der Organhandel ist eine ganz schlimme Form der Ausbeutung von armen Menschen vor allem in der Dritten Welt. Es gibt tausende von Menschen, die in Pakistan oder den Philippinen ihre Nieren gespendet haben und denen es ganz miserabel geht."

Wiru, dem indischen Jungen, der gefälschte Gucci-Taschen klebt, ist das egal. Er sagt: "Ich möchte mir mit dem Geld, das sie mir geben, ein Haus bauen und nicht mehr arbeiten müssen." Er weiß noch nicht, dass dieser Traum unrealistisch ist. Und möglicherweise auch lebensbedrohend.