Weltweiter Widerstand gegen Kohle
12. Mai 2016"Widerstand ist vielfältig", erklärt Hannah Eichberger, Sprecherin vom Bündnis EndeGelände! vieldeutig. Ziviler Ungehorsam zählt für sie dazu, also die Freiheit, und das moralische Recht, aus Gewissensgründen gegen Gesetze und Normen zu verstoßen. "Keine Gewalt gegen Menschen und keine Sachbeschädigung sind erwünscht", so Eichberger, dennoch könnte es an diesem Wochenende zur Auseinandersetzung zwischen Klimaaktivisten und Einsatzkräften kommen - wie am 15. August 2015.
An dem Tag drangen mehrere hundert Umweltaktivisten in den Braunkohle-Tagebau im rheinischen Garzweiler ein. Einige der in weißen Overalls gekleideten Kohlegegner setzten sich auf die Ketten eines riesigen Baggers. Die Polizei konnte die Aktivisten nicht stoppen und setzte unter anderem Pfefferspray ein. Der Energieversorger RWE musste aber den Förderbetrieb stoppen. Die imposanten Bilder der Aktion gingen um die Welt.
Ein Konzert zur Ablenkung
Eine Woche später treffen sich als Musiker getarnte Umweltschützer am Tagebau Hambach zu einem klassischen Konzert. Unter dem Motto "Andante an der Kante" zogen sie friedlich und mit Polizeibegleitung zum Tagebau. Am späten Nachmittag ließen sie die Einsatzkräfte im Glauben, die Aktion sei beendet. Doch dann drangen einige Aktivisten in den Tagebau ein und setzten ihr Konzert dort fort. Für fünf Stunden musste RWE damals die Baggerarbeiten unterbrechen.
Welche Aktionen sich die kreativen Kohlegegner für das geplante Protestcamp zu Pfingsten in der brandenburgischen Lausitz einfallen lassen, darüber dürften Polizei und der Energiekonzern Vattenfall gleichermaßen spekulieren. Wirklich vorbereiten können sie sich darauf nicht.
Ein Klick auf die Internet-Seite von breakfree2016.org zeigt, dass es wohl Proteste gegen fossile Energieträger auf der ganzen Welt und über zwei Wochen geben wird. "Wir wollen ein weltweites Signal senden, um international mehr Aufmerksamkeit zu erregen", begründet Hannah Eichberger von EndeGelände! den deutschen Part an der globalen Kampagne. Denn die fossilen Brennstoffe Kohle, Öl und Gas setzen bei der Verstromung klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) frei. Gleichzeitig verhindert die fossile Energieerzeugung den Ausbau regenerativer Alternativen.
Breiter Protest auf den Philippinen
Das offenbart sich auch auf den Philippinen: Weil die Stromversorgung der Wirtschaftsentwicklung nicht standhält, setzen Regierung und Investoren dort auf einen Energiemix aus Kohle und Gas.
Das Archipel verfügt über eigene Reserven und bedient sich zusätzlich am internationalen Markt. Da die Industrieländer ihren Verbrauch an Kohle eingeschränkt haben, ist der Brennstoff dort günstig zu haben. Gegen diese Strategie und gegen den Bau von 27 weiteren Kohlekraftwerken haben 10.000 Aktivisten am 4. Mai 2016 in Batangas demonstriert.
Sie befürchten, dass die Asche nach der Verstromung Wasser und Fischgründe verseuchen könnte. Kraftwerk-Anwohner klagen über Atemwegserkrankungen, ausgelöst durch Feinstaub- und Schwefeldioxid-Emissionen. Und seit der Taifun Haiyan im November 2013 die Inselgruppe heimsuchte, regt sich dort breiter Widerstand. Denn die Umweltkatastrophen führen Klimaforscher auf den Klimawandel zurück. CO2 heize die Erdatmosphäre auf.
Abkehr von der Kohle, aber keine Förderung regenerativer Quellen
In Großbritannien sollen bis 2025 alle Kohlekraftwerke vom Netz gehen. Die Regierung in London war die erste in der EU, die sich auf den konkreten Ausstieg festlegte. Stattdessen setzt sie aber auf ebenfalls umstrittene Atom- und Gaskraftwerke und nicht, wie Umweltschützer hoffen, auf Wind, Wasser und Sonnenkraft. Ihren Unmut darüber haben gerade etwa 300 Aktivisten in einem Zeltlager unweit der größten Mine des Landes bei Ffos-y-fran in Wales kundtgetan. In roten Overalls sind sie auf das Tagebaugelände eingedrungen und blockierten mehrere Bagger. Auf Transparenten forderten sie: "Keep it in the ground" - lasst sie in der Erde.
Auch in Kanada, den USA, Brasilien, der Türkei, Nigeria, Südafrika, Indonesien, Australien und Neuseeland hat die "Break free from fossil fuels"-Initiative der US-Klimaschutzorganisation 350.org zur Unterstützung aufgerufen, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen: den raschen Übergang von den fossilen Brennstoffen zur Nutzung erneuerbarer Energien und zu mehr Klimagerechtigkeit.
Zweite Massenaktion gegen zivilen Ungehorsam
Vom Camp in der Lausitz aus will die Klimakampagne gegen den Energieriesen Vattenfall zu Felde ziehen. Der schwedische Staatskonzern hat angekündigt, seine unrentable Braunkohle-Sparte im Dreiländereck Deutschland, Tschechien und Polen an den Konkurrenten EPH zu verkaufen.
Was das tschechische Unternehmen mit den Anlagen vorhat, fragen sich nicht nur Energieexperten wie Karsten Schmid: "EPH muss klar sein, dass in der Lausitz alleine ein Auftrag zur Abwicklung einer überholten Energieerzeugung verkauft werden soll", sagte der Sprecher der Umweltorganisation Greenpeace dem Berliner Tagesspiegel. Mit dem Erwerb von drei Kraftwerken und vier Tagebauen seien unkalkulierbare Folgekosten verbunden.
Hannah Eichberger von EndeGelände! befürchtet, dass sich beide Versorger vor den Kosten der Renaturierungsmaßnahmen drücken wollen und die Behörden die Betriebsgenehmigung verlängern könnten. Das Bündnis fordert Vattenfall zu einem raschen und sozial- und umweltverträglichen Kohleausstieg auf. Daran gehe kein Weg vorbei, betont Aktivistensprecherin Eichberger. Dieser dürfe aber nicht auf dem Rücken der Menschen in der Braunkohleregion ausgetragen werden, die jahrzehntelang unter den gesundheitlichen und sozialen Folgen dieser zerstörerischen Technologie gelitten hätten.
Um ihren Forderungen Ausdruck zu verleihen, erwartet die Anti-Kohle-Bewegung 25 Busse mit zirka 2000 Unterstützern aus dem gesamten europäischen Ausland. Seit Wochen bereiten sich die Kohlegegner bei über hundert Mobilisierungsveranstaltungen und Aktionstrainings vor, um vor Ort zivilen Ungehorsam zu leisten. "Angesichts der drohenden Klimakatastrophe halten wir die Aktionen für ein legitimes Mittel", sagt Hannah Eichberger. Zwischen dem 13. und 16. Mai will die Widerstandsbewegung zum Tagebau Welzow ziehen. Mehr will Eichberger nicht verraten.