Wem gehört Tibet?
6. März 2009Für die chinesische Regierung ist Tibet eindeutig ein Teil Chinas. Peking rechtfertigt seinen Anspruch mit drei Begriffen: Geschichte, Befreiung und Leistung.
Argument 1: Die Geschichte
Im 13. Jahrhundert eroberten die Mongolen Tibet. Ihr Weltreich erstreckte sich von Peking bis ins heutige Polen. Chinesische Historiker ordnen die Mongolenherrschaft aber als Yuan-Dynastie in die chinesische Geschichte ein. Unter der chinesischen Ming-Dynastie schlief das Interesse an Tibet ein und erwachte erst wieder im 18. Jahrhundert. Da etablierten die Kaiser der mandschurischen Qing-Dynastie ihre Autorität über Tibet. Die Schwäche der chinesischen Argumentation: Yuan- und Qing-Dynastie waren Fremddynastien. "Und als solche werden sie auch in der chinesischen Geschichtsschreibung auch dargestellt", betont etwa der Hamburger Ostasienwissenschaftler Oskar Weggel.
1913 erklärte sich Tibet für unabhängig und existierte bis 1950 de facto als eigenständiger Staat. Für den Völkerrechtler Eckart Klein von der Universität Potsdam begründen diese knapp vier Jahrzehnte den tibetischen Anspruch auf Unabhängigkeit. Klein argumentiert, von da an hätte allein ein völkerrechtlicher Akt zum Verlust der staatlichen Unabhängigkeit führen können, "etwa ein freiwilliger Zusammenschluss mit China". Das aber behauptet noch nicht einmal die chinesische Seite.
Argument 2: Befreiung
Wohl auch, weil das historische Argument alleine nicht sticht, verweist die chinesische Propaganda zu Tibet gerne auf die dunklen Seiten des alten Tibet. Demnach hat die chinesische Volksbefreiungsarmee die Tibeter von einem feudalen Unterdrückersystem befreit. Der Tibetologe Dieter Schuh, erklärt, Tibet sei zwar tatsächlich eine Art mittelalterlicher Staat gewesen - mit Strafen wie öffentlichem Auspeitschen oder an den Pranger stellen. Doch habe die ganze Region damals an der Scheide zwischen Mittelalter und Neuzeit gestanden. "Mit diesem Argument hätte man auch Bhutan erobern können oder auch alle anderen Länder - meinetwegen sogar Afghanistan."
Argument 3: Wohlstand
Als drittes wird Peking nicht müde, seine Leistungen in Tibet aufzuzählen. Das jüngste Weißbuch der chinesischen Regierung zu Tibet betont erneut, die Tibeter würden historisch einmaligen Wohlstand genießen – natürlich Dank der Kommunistischen Partei. Allerdings: im Völkerrecht spielt es keine Rolle, was und wie viel eine Macht in einem anderen Gebiet investiert hat. Sonst könnte ja beispielsweise England unter Verweis auf den Eisenbahnbau und die effektive britische Verwaltung Indien noch immer für sich beanspruchen.
Gegenargument: Menschenrechte
Völkerrechtlich relevant ist schließlich auch ein viertes Argument: China beansprucht ja ausdrücklich die Verantwortung für alles, was in Tibet geschieht. China ist aber durch das Völkerrecht auch an verbindliche Menschenrechtsstandards gebunden und ist damit verpflichtet, sie auch in Tibet durchzusetzen. Wenn dann etwa aus dem Ausland Kritik laut wird, kann Peking das nicht einfach als Einmischung in die inneren Angelegenheiten abtun. Wer sich internationalen Verpflichtungen geöffnet hat, der muss auch ertragen, wenn sie von dritter Seite eingefordert werden.