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Glaube

Immer populärer wird ein Schwarz-Weiß-Denken.

17. März 2021

Immer populärer wird ein Schwarz-Weiß-Denken, das für Zwischentöne keinen Raum lässt. Schon Wilhelm Busch beschäftigte sich mit Schwarz und Weiß

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Witwe Boltes Haus als Simultanbühne
Bild: gemeinfrei

Ein ungleiches Paar ist es, das Wilhelm Busch in seiner Bildergeschichte „Der Müller und der Schornsteinfeger“ darstellt. Jedenfalls sind sie von außen sehr verschieden: Der Müller ganz in Weiß, der Schornsteinfeger ganz in Schwarz. Beide nähern sich denselben jungen Frauen, mal der einen, mal der anderen. Die ihrerseits sind den beiden jungen Männern zugetan – ein gar nicht fröhliches Quartett, das sich überkreuz liebt und küsst. Die Katastrophe bleibt nicht aus. Müller und Schornsteinfeger kämpfen für ihre Auserkorene mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln. Am Ende jedoch lichten sich die Streitereien, das Quartett löst sich auf und jeder Hans findet seine Grete. Doch eine Wandlung ist bei den Figuren eingetreten: Der Müller ist nicht mehr nur weiß, der Schornsteinfeger ist nicht mehr nur schwarz, sie haben beide graue Flecken, wie auch die beiden Mädchen. Aber Hand in Hand präsentieren sie sich dem Betrachter mit den Worten: „Zum Schluss ist Zank und Streit vorbei. Sie lieben sich zu zwei und zwei.“ Im wirklichen Leben mag so eine Konstellation nur selten eintreten. Was indes öfter geschieht, ist, dass Weißmaler und Schwarzmaler einander begegnen, das heißt, dass scheinbar unüberbrückbare Gegensätze sich zwischen zwei Menschen auftun. Der eine denkt und handelt links, der andere rechts. Der eine geht gern in Galerien, der andere schaut sich lieber Bilder seines Fußballvereins an. Der eine liebt klassische Musik, der andere Heavy Metal. Einen größeren Gegensatz kann es kaum geben. Wenn sich diese Gegensätze begegnen, gibt es oft Streit. Er geht manchmal mitten durch die Familien. Meistens verhärten sich dabei die Gegensätze: Der Weiße wird noch weißer und der Schwarze noch schwärzer. Bei Wilhelm Busch versöhnen sich der Müller und der Schornsteinfeger nach einem Kampf, bei dem sie im wahrsten Sinne Wortes Farbe lassen müssen – aber sie gewinnen eine neue Farbe hinzu. Der Weiße hat plötzlich schwarze Flecken, und der Schwarze hat plötzlich weiße. Und vor allem entdecken beide jetzt Grautöne, am eigenen Leib und an dem Gegenüber. Das Schwarz-Weiß-Denken wird überwunden. Um bei dem letzten Beispiel zu bleiben: Der Liebhaber klassischer Musik lernt Heavy-Metal-Stücke kennen, denen er sogar etwas abgewinnen kann. Und der Heavy-Metal-Fan hört sich doch einmal ein Stück von Mozart an und merkt dabei, dass es doch nicht nur langweilig ist. Gewiss, jeder bleibt bei seinen Vorlieben; aber jeder hat dadurch, dass er eine andere Musikfarbe kennengelernt hat, eine neue Farbe in sein Leben gebracht. Denn wenn Müller und Schornsteinfeger, statt sich zu bekämpfen sich umarmen, bleibt es nicht bei schwarzen und weißen Flecken und schon gar nicht bei einem undifferenzierten Grau. Zwischen ihnen spannt sich ein Regenbogen mit allen Farben, die darin enthalten sind. Wer das Leben liebt, liebt deswegen auch die Umarmung. So ist auch Gott ein großer „Liebhaber des Lebens“. Deshalb handeln wir in seinem, Sinn, wenn wir einander umarmen. Dass es körperlich zurzeit nicht leicht zu bewerkstelligen ist, ist ein unvermeidlicher Mangel. Aber jedem steht es frei, sich liebend mit den Gedanken, Gefühlen und Vorlieben des jeweils anderen zu beschäftigen. Denn Gott selbst ist es, der den Menschen umarmt mit seiner großen Liebe. Sie erscheint unüberholbar in Leben und Sterben Jesu Christi, seines Sohnes. Am Kreuz sind seine Arme weit ausgebreitet, um uns schließlich zu umarmen und die Farbe Gottes in unser Leben zu bringen. Gott hat bei dieser Umarmung Menschliches angenommen. Wir nehmen bei dieser Umarmung Gottes Göttliches an. Denn wir werden dabei zu Kindern Gottes.

Diederich Lücken