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Wenn Tiere um ihre Toten trauern

Interview: Brigitte Osterath21. September 2016

Wale, Hunde, Gorillas - viele Tiere trauern um ihre verstorbenen Gefährten. Oder interpretieren wir da zu viel hinein? Begreifen Tiere das Konzept vom Tod? Fragen an den niederländischen Verhaltensforscher Frans de Waal.

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Gorilla-Mutter gibt totes Baby seit Tagen nicht her (Foto: picture alliance).
Bild: picture-alliance/dpa/F. Gentsch

Deutsche Welle: Herr De Waal, ich habe ein Aquarium mit Piranhas. Kürzlich ist ein Piranha gestorben - und die anderen sechs benahmen sich merkwürdig, waren ungewöhnlich ruhig und verweigerten ihr Essen. Haben sie um Ihren Gefährten getrauert?

Frans de Waal: Das glaube ich nicht. Piranhas knabbern sich auch schon mal gegenseitig an. Ich glaube nicht, dass sie sehr freundlich miteinander umgehen. Im Allgemeinen ist es selten, dass Fische trauern. Es sei denn, es sind individuell miteinander verbundene Fische - das kommt bei einigen Arten schon mal vor.

Warum haben meine Piranhas sich dann so eigenartig verhalten?

Rote Piranhas (Foto: Rainer Dückerhoff)
Piranhas spricht Frans de Waal die Fähigkeit zu trauern abBild: Rainer Dückerhoff

Fische schütten Substanzen namens Schreckstoffe aus, wenn sie verstört sind. Möglicherweise hat das, was dem anderen Fisch passiert ist, die Fische beeinflusst - auf eine eher physiologische Art.

Was ist der Unterschied zu 'richtigem' Trauern?

Typischerweise finden wir Trauer bei Säugetieren, etwa bei Müttern und ihrem Nachwuchs. Also immer dann, wenn Tiere individuelle Bindungen eingehen, Freunde haben - was über eine reine Schwarmbildung oder ähnliches hinausgeht. Alle Säugetiere haben so etwas zu einem gewissen Grad, auch Vögel. Die bilden oft Paare fürs Leben. Wenn der Partner stirbt, nimmt sie das sehr mit.

Was, wenn der Lebensgefährte einer anderen Art angehört? Man hört immer Geschichten von Hunden, die um ihr verstorbenes Herrchen trauern. Interpretieren wir da zuviel hinein?

Nein, das passiert wirklich. Ich denke da an diesen Hund in Tokio - Hachiko war sein Name. Nachdem sein Herr gestorben war, kam dieser Hund jeden Tag zu dem Zug, mit dem sein Herrchen normalerweise ankam - etwa zehn Jahr lang tat er das. Immer, wenn es persönliche Bindungen gibt - egal ob zwischen zwei Katzen, einem Hund und einem Menschen oder einer Katze und einem Menschen, ist Trauern möglich.

Der Hund Hachiko (Foto: Picture alliance/ CPA Media)
Hachiko kam in den 30er Jahren jeden Tag zum Bahnhof, um sein Herrchen abzuholen - dieses war allerdings längst totBild: picture-alliance/CPA Media

Trauern Tiere so wie Menschen?

'Trauern wie Menschen' ist ein gewaltiger Ausdruck. Ich würde sagen, sie sind verstört und unglücklich. Wenn bei Schimpansen einer aus der Gruppe stirbt, essen die anderen für gewöhnlich einige Tage lang nichts. Sie werden ganz still, starren den toten Körper lange Zeit an, versuchen, ihn wieder zum Leben zu erwecken. Das beispielsweise ist sehr menschlich - wir machen das zwar heutzutage nicht mehr, aber früher haben die Menschen versucht, ihre Toten wieder zu erwecken.

Dieser Zustand des Unglücklichseins dauert nur ein paar Tage?

Wenn ein sehr wichtiger Gefährte wie der beste Freund oder ein Nachkomme stirbt, kann es auch länger dauern, sogar jahrelang. Ich kannte ein Schimpansenweibchen, die ihr Junges verloren hat und noch monatelang darüber bekümmert war.

Woher aber wissen wir, dass diese Tiere im wirklichen Sinne trauern? Vielleicht ist nur ihr Verhaltensmuster durcheinander gebracht, weil etwas fehlt, das vorher da war?

Ich erinnere mich da an die Geschichte einer Pavianmutter, deren Baby von einem Raubtier getötet wurde. Wochen später kam das Weibchen an eben dieser Stelle vorbei, wo sie ihr Junges verloren hatte. Dort kletterte sie auf einen Baum und begann zu rufen. Das lässt vermuten, dass sie sich daran erinnerte, was an diesem Ort passierte und dass sie ihr Junges vermisste.

Frans de Waal (Foto: Frans de Waal)
Frans de Waal: 'Primaten verstehen, dass Tod für immer ist."Bild: privat

Glauben Sie, die Tiere realisieren, dass der Verstorbene nie wieder zurückkehren wird?

Eines, was Primaten mit Sicherheit über den Tod wissen, ist, dass er für immer ist. Dass, sobald jemand tot ist, er oder sie tatsächlich tot ist und sich nicht mehr bewegt - ich denke, das verstehen sie.

Woher wissen Sie das?

Ich kann dazu eine Anekdote von Bonobos erzählen, die eine sehr gefährliche Schlange im Wald gefunden hatten. Sie hatten große Angst und haben die Schlange mit Stöcken angestubst. Irgendwann kam das Alpha-Weibchen dazu, packte die Schlange am Schwanz, schlug sie auf den Boden und tötete sie so.

Daraufhin nahmen die jungen Bonobos der Gruppe die Schlange, hängten sie sich um den Hals und spielten damit. Das weist darauf hin, dass sie wissen, dass diese Schlange sehr gefährlich ist und man vorsichtig sein muss - aber wenn sie einmal tot ist, kann man ruhig damit spielen. Ich denke also, sie verstehen, dass Tod ein immerwährender Zustand ist.

Verstehen Menschenaffen, dass auch sie selbst eines Tages sterben werden?

Ich denke, nein. Es gibt keine Anzeichen, dass sie dieses Verständnis haben.

Bonobo-Mutter mit Jungtier (Foto: Holger Battefeld/dpa picture-alliance/dpa/H.Battefeld)
Menschenaffenmütter haben eine starke Bindung zu ihren BabysBild: picture-alliance/dpa/H.Battefeld

Welche Tiere trauern Ihrer Ansicht nach besonders eindrucksvoll?

Vermutlich die Elefanten. Sie gehen sogar zu den Knochen der Verstorbenen zurück. Wenn ein Elefant stirbt - und bei der Wilderei heutzutage ist das ja nicht ungewöhnlich - inspizieren die anderen Elefanten hinterher die Knochen des toten Elefanten - wenn sie sie finden können.

Ich weiß nicht, ob schon jemand untersucht hat, ob das irgendwelche Elefantenknochen sind oder die von dem Elefanten, den sie kannten - aber ich vermute Letzteres. Es ist ein bisschen so, wie wenn wir zum Friedhof gehen.

Beerdigen auch manche Tiere ihre Toten in einer Art Grab?

Nein, sie heben kein Grab aus. Es kann sein, dass sie den Toten mit irgendetwas abdecken. Das ist aber vermutlich eher ein Schutz gegen Raubtiere, denn ein verwesender Körper zieht Raubtiere und Aasfresser an.

Gräber sind also typisch menschlich?

Auf jeden Fall. Vor kurzem wurden Überreste von Homo naledi entdeckt, einem unserer Vorfahren. Das Forscherteam behauptete, dass diese Vorfahren ihre Toten beerdigt haben - ein typischer Hinweis auf Menschentum. Inzwischen gibt es an dieser Behauptung allerdings Zweifel.

Homo Naledi (Foto: Mark Thiessen/National Geographic/dpa)
Menschenart Homo NalediBild: picture-alliance/ National Geographic/ Mark Thiessen

Hilft es dem Tier- und Artenschutz, wenn wir wissen, dass Tiere trauern?

Alles, was wir über das Gefühlsleben von Tieren erfahren, hilft - denn es macht Tiere komplexer, menschlicher und anziehender für viele Leute. Dieses Wissen trägt dazu bei, dass wir Tiere anders betrachten und anders behandeln. Es hat sozusagen moralische Konsequenzen.

Frans de Waal ist ein niederländischer Primatologe und Verhaltensforscher. Er ist Professor für Primatenverhalten an der Emory University in Atlanta, USA und leitet das Living Links Center am Yerkes National Primate Research Center. Er arbeitet hauptsächlich mit Schimpansen und Bonobos und hat viele Bücher geschrieben, darunter 'Der Mensch, der Bonobo und die Zehn Gebote: Moral ist älter als Religion' und 'Der Affe in uns: Warum wir sind wie wir sind' .

Interview: Brigitte Osterath