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Geschichte der Volksentscheide in Deutschland

26. April 2011

Die künftige Regierung in Baden-Württemberg will die Bürger über das umstrittene Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 abstimmen lassen. Volksentscheide sind nicht neu, scheiterten mitunter aber an zu geringer Wahlbeteiligung.

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Eine Wählerin gibt ihren Stimmzettel zum Hamburger Volksentscheid ab. (Foto: dpa)
Auf Bundesebene gibt es Volksentscheide nur für eine Neugliederung der LänderBild: picture-alliance/dpa

Das Ziel eines Volksentscheids ist, das Volk unmittelbar selbst über eine bestimmte politische Frage entscheiden zu lassen. In Deutschland sieht das Grundgesetz den Volksentscheid auf Bundesebene allerdings nur bei einer Neugliederung von Bundesländern vor. In den einzelnen Bundesländern hingegen gibt es bei vielen Fragen die Möglichkeit des Volksentscheids. Auch in den Kommunen können die Bürger bei vielen politischen Fragen durch sogenannte Bürgerbegehren und Bürgerentscheide unmittelbar mitbestimmen. Bevor es überhaupt zu einem Volksentscheid kommt, kann es ein sogenanntes Volksbegehren geben. Dabei fordert eine bestimmte Anzahl an Wahlberechtigten mit ihrer Unterschrift, dass es zu einem Volksentscheid kommen soll. Erst danach kann es dann zu einem Volksentscheid (Plebiszit) kommen.

Reichsmarschall Hermann Göring muss sich bei den Nürnberger Prozessen verantworten. (Foto: ap)
Das Volk von Sachsen-Anhalt enteignete 1946 NS-Kriegsverbrecher per ReferendumBild: AP

Kriegsverbrecher werden enteignet

Der erste inoffizielle Volksentscheid in Deutschland fand am 30. Juni 1946 statt. Die Bundesrepublik Deutschland existierte noch nicht, Deutschland war von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Trotzdem waren die Bürger in Sachsen-Anhalt in der damaligen sowjetischen Besatzungszone aufgerufen, abzustimmen. Zur Abstimmung stand ein Gesetz über die entschädigungslose Enteignung von Kriegsverbrechern und aktiven Nationalsozialisten. Die Abstimmung war geschichtsträchtig, denn es waren die ersten freien Wahlen seit 1933. So war die Wahlbeteiligung auch ungewöhnlich hoch, 93 Prozent der Bevölkerung gaben ihre Stimme ab. Das Ergebnis war am Ende eindeutig, über 77 Prozent stimmten für die Enteignung, nur gut 16 Prozent dagegen. Eine breite Enteignungswelle der Unterstützer des Hitlerregimes war die Folge.

Wenn zu wenig Volk entscheidet

Touristen lassen sich vor dem Brandenburger Tor in Berlin vor einem 180 Grad Gemaelde der jungen Kuenstler Gruppe fotografieren. (Foto: ap)
Berlin blieb nach einem Plebiszit ein StadtstaatBild: AP

1996 fand in den Bundesländern Berlin und Brandenburg ein Plebiszit über eine Zusammenlegung der beiden Bundesländer statt. Zwar stimmte eine knappe Mehrheit der Berliner für, eine deutliche Mehrheit der Brandenburger aber gegen den Vorschlag. Die Zusammenlegung der Bundesländer war damit abgelehnt und konnte nicht vollzogen werden, obwohl sich die Politiker im Vorfeld dafür ausgesprochen hatten.

Auch bei einem Volksentscheid im April 2008, der gegen die geplante Schließung des Berliner Flughafens Tempelhof gerichtet war, erreichten die Verfechter des Flughafens die Mindestquote von 25 Prozent Wahlbeteiligung nicht:

Zwei auf Motorrollern montierte Plakate zum Volksentscheid über den Berliner Flughafen Tempelhof stehen am mit der Aufschrift "Ja für Tempelhof" vor dem Haupteingang des Flughafens in Berlin. (Foto: dpa)
Auch ein Volksentscheid konnte den Berliner Flughafen Tempelhof nicht rettenBild: picture-alliance / dpa

Zwar votierten über 60 Prozent der Abstimmenenden für einen Weiterbetrieb des denkmalgeschützten Flughafens am Rande der Innenstadt, aber nur gut 20 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab.

Im April 2009 forderte Berlin seine Bürger wieder zur Abstimmung auf. Es ging um die Einführung eines Wahlpflichtfachs Religion an den Schulen der Hauptstadt. Über 50 Prozent der Teilnehmer stimmen mit "Nein" und damit gegen ein Wahlpflichtfach Religion. Nur 48,5 Prozent stimmen mit "Ja". Sie machen aber nur 16 Prozent der Wahlbeteilung aus, also verfehlte auch dieser Volksentscheid die Mindestquote.

Auch anderswo hapert es an der Mindestquote

In Sachsen-Anhalt stand bei einem Referendum 2005 die Ganztagsbetreuung zur Wahl. Das Volk sollte über die Ausweitung der Kinderbetreuung entscheiden. Denn Arbeitslose hatten nur einen Anspruch darauf, ihre Kinder für maximal fünf Stunden pro Tag in den Kindergarten zu geben.

Die Regierung argumentierte mit Kostengründen: Ein armes Land wie Sachsen-Anhalt könne sich eine umfangreiche Kinderbetreuung nicht leisten. Zwar stimmten zwei Drittel der Wähler für die Ausweitung der Kinderbetreuung, doch machte eine zu geringe Wahlbeteiligung den Befürwortern einen Strich durch die Rechnung. Mit knapp unter 25 Prozent verfehlte die Wahlbeteiligung nämlich die Mindestquote.

Sichere Mehrheiten

Sebastian Frankenberger, Sprecher des Aktionsbündnisses für Nichtraucherschutz und stellv. Landesgeschäftsführer der ÖDP. (Foto: dpa)
Sebastian Frankenberger brachte 2010 den Volksentscheid für ein Rauchverbot in der Gastronomie auf den WegBild: picture-alliance/dpa

Die Bedingungen für einen erfolgreichen Volksentscheid sind in den Bundesländern unterschiedlich. So müssen sich beispielsweise in Berlin mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten beteiligen. Zusätzlich müssten mindestens 25 Prozent der Wähler mit "Ja" stimmen.

Im Jahr 2010 machten zwei Volksentscheide von sich reden. In Bayern ging es um ein Rauchverbot in der Gastronomie ohne Ausnahme. 61 Prozent der Wähler stimmten am Ende für das generelle Rauchverbot, das künftig sogar für die Bierzelte auf dem legendären Oktoberfest gelten wird.

Im gleichen Jahr kippten die Hamburger Bürger die geplante Einführung einer sechsjährigen Grundschule. Bei einem Volksentscheid setzten sich in dem Stadtstaat die Gegner des Vorhabens klar durch und brachten die Pläne des Senats damit zu Fall.

Autor: Arne Lichtenberg
Redaktion: Hartmut Lüning

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