Eine neue Art: Cappuccino-Bären
27. Dezember 2013Ein sonniger, aber knackig kalter Tag im Osnabrücker Zoo. Viel ist im Bärengehege nicht los als Thorsten Vaupel seine beiden Bären präsentieren möchte. Um die Geschwister Tips und Taps kümmert er sich seit deren Geburt vor knapp zehn Jahren.
"Das da vorn am Baumstamm, das ist Taps." Der Tierpfleger zeigt auf einen etwa 50 Meter entfernten Koloss. Das träge Bärenmännchen denkt in diesem Moment gar nicht daran, seinen Pfleger zu begrüßen, geschweige denn sich vom Fleck zu bewegen. Gemütlich sitzt es auf seinem Hinterteil und beobachtet die Silberfüchse, die auf und ab rennen und für etwas Leben im Gehege sorgen.
Seine Schwester Tips ist ebenso wenig aktiv und schon auf Winterruhe eingestellt. Sie döst geschützt in einer kleinen Höhle. "Sie nimmt schon so gut wie kein Futter mehr zu sich. Dagegen ist ihr Bruder noch richtig aktiv. Tips wird dafür aber auch zum Sommer hin meist schneller wach", sagt Vaupel.
Er kennt seine Bären in- und auswendig. Sie sind aber nicht nur für ihn etwas ganz Besonderes. Auch den Zoobesuchern fällt sofort etwas auf. Denn der Pelz von Tips und Taps ist nicht braun wie der eines Braunbären, genauso wenig aber eisbärweiß. Er ist vielmehr karamellfarben und das Fell hat einen leichten Schimmer, nur die Tatzen sind ein ganzes Stück dunkler. Die beiden Geschwister zählen zu einer neuen Bärenmarke, die im Osnabrücker Zoo durch einen kleinen Unfall entstanden ist.
Liaison zwischen Eis- und Braunbär
Vor vielen Jahren war die Mischbärenhaltung in einigen Zoos noch üblich. In Osnabrück beispielsweise wurden seit Anfang der 1980er Kragenbären, Schwarzbären, Braunbären und Eisbären alle in einer großen Gruppe gehalten. "Das funktioniert, wenn man die Tiere sehr jung aneinander gewöhnt", erklärt Vaupel. Der Plan, die mittlerweile betagten Bärenfreunde ihren Lebensabend noch miteinander verbringen zu lassen, bevor die gemischte Haltung abgeschafft werden sollte, wurde dann 2004 allerdings von einem kleinen Fauxpas durchkreuzt: "Nachdem der Braunbär-Mann gestorben war, hat der Eisbär seine Chance genutzt und ist unbemerkt mit Braunbärin Susi in die Honeymoon-Suite gezogen." Das Resultat? Die beiden Mischbären Tips und Taps.
Anfangs musste der Zoo für seine Mischbären Kritik einstecken. Denn die Geburt der beiden Hybriden, wie Kreuzungen aus zwei Arten genannt werden, war für Tierschützer ein willkommener Anlass, die ohnehin in der Öffentlichkeit als nicht artgerecht verrufene Mischbärenhaltung erneut ins Gespräch zu bringen.
Das Gerede über den Bärenunfall ließ jedoch schnell nach. Denn solche Pizzlys - oder auch Grolar-Bären (Kreuzungen zwischen Grizzly und Eisbär) - gibt es auch in der freien Wildbahn: Zwei Jahre nach der Geburt von Tips und Taps schoss der Amerikaner Nelson Head 2006 einen vermeintlichen Eisbären. Der entpuppte sich nach einer DNA-Analyse als erster Pizzly in freier Wildbahn. Im Jahr 2010 folgte ein zweiter, der sogar schon ein Hybridbär der zweiten Generation gewesen zu sein schien - also der Nachwuchs eines Pizzlys.
Klimawandel, Mensch oder Wanderlust als Ursache?
Die Gründe für diese neue Partnervorliebe von Grizzlys und Eisbären in der Arktis sind allerdings weniger romantisch als bei der Liebschaft von Tips und Taps Eltern. Wissenschaftler können sich verschiedene Gründe für die Begegnung der Bären vorstellen. Professor Michael Böer ist der Zoodirektor in Osnabrück. Er hat sich mit dem Phänomen der Mischbären genauer beschäftigt. Seiner Meinung nach überschneiden sich die Reviere der beiden Bärenarten immer mehr.
"Das Schmelzen der Eisschollen wird die Eisbären in Zukunft immer öfter an Land zwingen", sagt er. Denn sollte das Schelfeis im Sommer weiter schmelzen und die Entfernung zum Polareis größer werden, schaffen die Eisbären es nicht mehr, die riesige Distanz zu überwinden, um dort Robben zu jagen. "Die meisten werden dann an der Festlandküste bleiben - und da treffen sie dann natürlich auch auf Grizzlybären", so Böer.
Nicht nur Bären sind betroffen
Mit den Auswirkungen, die schmelzendes Eis auf tierische Arktis-Bewohner hätte, beschäftigt sich auch eine Studie von 2010, die Wissenschaftler und Brendan Kelly von der US-Behörde für Ozeane und Atmosphäre in der britischen Fachzeitschrift "Nature" veröffentlicht haben. Zum damaligen Zeitpunkt waren insgesamt 34 Arten in der Gefahr, sich zu vermischen, die bislang durchs Eis getrennt wurden.
In der Barentsee, zwischen Alaska und Russland, soll zum Beispiel eine Kreuzung aus Grönlandwal und dem Pazifischen Nordkaper fotografiert worden sein. Belugas mit Narwalen oder Largha-Robben mit Seehunden seien weitere Beispiele, die für die Hybridbildung in Frage kämen.
Es ist aber nicht nur das schmelzende Eis, das die Vermischung vorantreibt. Denn auch die hungrigen Grizzlys treibt es mit der Zeit immer weiter aus ihren natürlichen Gefilden in Kanadas Norden. Hier trägt der Mensch die Schuld, indem er durch sein Vordringen in den natürlichen Lebensraum der Bären die Tiere immer weiter vertreibt.
Und auch Schutzmaßnahmen tragen möglicherweise ihren Teil dazu bei, denn die Eisbärenpopulationen haben nach Ansicht einzelner Wissenschaftler in den letzten Jahrzehnten nicht ab-, sondern zugenommen. Dadurch würde die Tiere größere Reviere beanspruchen.
Hybridisierung gehört zur Evolution
Böer sieht die Hybridisierung an und für sich jedoch nicht als etwas Schlechtes. "In der Natur ist das etwas ganz Normales, das einfach durch bestimmte Umweltveränderungen stattfinden kann."
Solche Vorgänge gebe es auch bei anderen Tierarten, beispielsweise in weiten Teilen des östlichen Nordamerikas bei Coyoten und Wölfen. "In einer Wolfs-Population kann durchaus zehn bis 15 Prozent Coyotenblut sein und umgekehrt", so der Zoodirektor. "Das liegt einfach daran, dass der Mensch inzwischen so weit nach Westen vorangeschritten ist und viele Gebiete, in denen vorher der Wolf verbreitet war, nun so hoch zivilisiert sind, dass sich dort der Coyote breitgemacht hat." So kommt es zwischen den beiden Arten immer wieder zum Genaustausch.
Kelly betont in dem "Nature"-Artikel, dass das Phänomen der Hybridbildung die Evolution maßgeblich vorangetrieben habe. Bei den Eisbären könnte das allerdings den Genpool grundlegend verändern.
Völlige Vermischung nicht ausgeschlossen
Langfristig gesehen könnte diese Vermischung für den Eisbären tatsächlich gefährlich werden, sagt Böer. "Sollten die Polarkappen einmal komplett abschmelzen, könnten wir in erdgeschichtlich sehr kurzer Zeit gar keine Eisbären mehr haben." Das passiert, falls der Lebensraum der Eisbären und der Grizzlybären immer mehr verschmilzt. "Damit stehen wir am Anfang eines Prozesses, bei dem das genetische Material des Eisbären im Verlaufe von mehreren Hunderten oder Tausenden von Jahren wieder in das genetische Erbgut des Braunbären zurückkehrt."
Denn der Eisbär ist erdgeschichtlich gesehen der jüngste Bär - eine Spezialentwicklung des Braunbären, die sich angepasst hat, an das Leben im Eis. Ob die Mischbären besser an ihre Umwelt angepasst sind, lasse sich schwer sagen, "weil man bisher diese Hybrid-Bären in ihrer Ökologie und ihrem Verhalten im natürlichen Lebensraum noch nicht beobachtet und untersucht hat", sagt Böer.
Etwas Eisbär, ein bisschen Braunbär
Im Osnabrücker Zoo jedoch hat Thorsten Vaupel die Verhaltensweisen von Tips und Taps zu Genüge studiert. "Das ist so eine 50:50-Geschichte", sagt er, "Mal hat man den Eindruck, Tips bewegt oder benimmt sich mehr als Braunbär und Taps mehr als Eisbär, aber dann ändert sich das auch wieder. Also, das ist völliger Mischmasch." Mittlerweile gebe es sogar erste Diplomarbeiten, die das Verhalten genau untersuchen - allerdings ebenso wenig zu einem genauen Ergebnis kommen.
Das beste Beispiel für Eisbären könne man jetzt im Winter sehen - wenn die Teichanlage zugefroren sei. "Tips und Taps gehen ohne Furcht aufs Eis, haben auch keine Angst durchzubrechen", erklärt Vaupel. Und auch ihre Bewegungen seien typisch Eisbär: Die beiden Mischbären machen eine Art Herzrhythmus-Massage auf dem Eis, um es aufzubrechen. "So versuchen sie an die Robben darunter zu kommen, oder hier bei uns eben an ein Stück eingefrorenes Fleisch." Mischbären seien im Vergleich zu den echten Eisbären aber weniger gute Schwimmer, bemerkt Kelly noch in dem "Nature"-Bericht. Zugute kommen ihnen jedoch Fertigkeiten, die Braunbären bei der Nahungsbeschaffung helfen - zum Beispiel das Talent fürs Klettern.
Mischbären haben es allein schwer
Im Zoogehege machen die Schwächen den Bären weniger zu schaffen als in der freien Wildbahn. Zum Beispiel, wenn es mal wieder Fische regnet, die die Pfleger von einem Vorsprung aus in den Teich werfen. Dann ist Taps ganz Eisbär - mit kleinen Einschränkungen: Postwendend begibt er sich auf die Jagd und springt mit einem lauten Platsch ins Wasser.
Nach dem Auftauchen schaut er etwas suchend ins Wasser und fuchtelt mit seinen Pranken nach der Beute. Danach tauchen, das möchte er wohl nicht - das scheint dem Braunbären in ihm nun doch zu kalt zu sein.