Wer droht, muss bereit sein zu handeln
12. September 2002Von Sachthemen war der deutsche Wahlkampf bis vor einigen Wochen ja nicht gerade beherrscht. Abgesehen vom Dauerbrenner "Arbeitslosigkeit" - über den man sich zwar die Köpfe heiß redete, zu dem aber bisher keine Seite wirklich überzeugende Rezepte anzubieten hatte. Über die Hilfe nach der Flutkatastrophe machte man dann einen Ansatz zur Thematisierung, stellte aber bald fest, dass sich diese Frage kaum eignet, politisches Kapital zu machen.
Und nun der drohende Irak-Krieg: Endlich ein Thema, das die Massen zu bewegen scheint. Denn würde man es sonst im Wahlkampf vortragen? Sind die Deutschen wirklich ein Volk von Super-Pazifisten, die mit ihrem Kanzler entschieden und unumstößlich jeden amerikanischen Angriff auf den Irak ablehnen? Vor allem aber: jede deutsche Beteiligung daran? Nicht nur der Kanzler ist gegen solch einen Krieg, auch die Opposition befürwortet ihn nicht und hat - einmal mehr - ihre Not, sich hier von der Regierungsposition abzuheben.
Deswegen bemüht die Opposition nun das deutsch-amerikanische Verhältnis und beschuldigt den Kanzler, die traditionell guten Beziehungen auf das Schwerste belastet zu haben. Die Reaktion des Gescholtenen: Unter Freunden werde man doch wohl Kritik üben können. Mit einer solchen Reaktion wird vermutlich bei gewissen Teilen der Bevölkerung Verständnis und Zustimmung ausgelöst. Natürlich haben die Deutschen den USA viel zu verdanken - selbst wenn man ihren Sieg über den Nationalsozialismus in Deutschland immer noch nicht als "Befreiung" versteht - nun soll damit aber auch genug sein. Besonders seit der Wiedervereinigung "sind wir wieder wer" in der Welt. Und da dürfen die USA doch nicht mit uns Deutschen umgehen wie früher, als wir zu - fast - allem Ja und Amen sagten, was aus Washington kam. Wir wollen nicht nur am "wie" eines Krieges beteiligt werden, sondern auch an der Frage nach dem "ob", meint der Kanzler - und viele pflichten ihm bei. Ohne zu fühlen, dass sie damit genau so in die Falle tappen: Wenn man an der Entscheidung über den Krieg beteiligt wird, dann trägt man bei einer Zustimmung zumindest einen Teil der Verantwortung mit. Bei Ablehnung ergibt sich dieselbe Lage wie jetzt.
Dieses Dilemma scheint sich weder den Politikern zu erschließen noch den Wählern. Besonders letztere genießen jetzt das wohlige Gefühl, der "bessere Mensch" zu sein, weil man so frommen Slogans anhängt wie "Krieg ist kein Weg" oder "Krieg ist Terror". Und weil man fordert, mit friedlichen Mitteln gegen Regime wie das von Saddam Hussein vorzugehen. Man tut so, als hätten friedliche Mittel den Irak aus Kuwait vertrieben, als hätten friedliche Mittel die Taliban und Osama Bin Laden zur Aufgabe überredet. Oder als hätten
friedliche Mittel irgendwo anders ein Ende des Terrors gebracht. Hier soll sicher nicht den Bushs, Cheneys und Rumsfelds zugestimmt werden, die zu einem Krieg um jeden Preis entschlossen zu sein scheinen. Aber ist die bloße Ablehnung denn schon eine vernünftige Alternative? Muss Europa - und hier besonders Deutschland - nicht vernünftige und überzeugende Alternativen anbieten? Was auch immer diese sein werden: Sie tragen das Risiko in sich, dass sie in Krieg enden. Weil der Gegner so ist, dass er nur Gewalt zu verstehen scheint. Saddam Hussein müssen klare Forderungen gestellt werden - etwa die Zulassung neuer Waffeninspektionen - und man muss ihm im Weigerungsfall Gegenmaßnahmen androhen. Nur: wer droht, muss letztlich auch bereit sein zu handeln.
Das aber scheinen viele Deutsche nicht zu sein. Man möchte gerne die zentrale Rolle in Europa und als Verbündeter der USA weiterspielen, wenn es aber darauf ankommt, hierfür etwas zu leisten, dann bekommt so mancher kalte Füße. Um deutsche Soldaten geht es bei all dem übrigens nicht. Die deutsche Öffentlichkeit braucht kaum Angst vor zurückkehrende Leichen in Zink-Särgen zu haben. Denn bisher war die Bundeswehr kaum direkt in solche Kriegshandlungen verwickelt. In der Öffentlichkeit aber scheint die Meinung vorzuherrschen, dass "unsere Jungs" nun wohl auch gegen Saddam in den Krieg ziehen sollen.
Sicher eine unangenehme Vorstellung, aber: Wie viele Nationen haben damals ihre jungen Leute in den Kampf - und auch in den Tod - geschickt, um die Welt und auch Deutschland vom Nationalsozialismus zu befreien? Schon beim Golfkrieg vor elf Jahren hatten die Kriegsgegner in Deutschland vergessen, dass Saddam Kuwait überfallen und andere Staaten der Region mit schlimmen Waffen bedroht hatte. Diesmal klingen die Proteste ähnlich wie damals.
Wenn schon die Friedensbewegung und einfache Bürger nicht ausreichend differenzieren, dann sollten vielleicht doch die Politiker es tun - und mit USA und UNO ernsthaft über Mittel und Wege diskutieren. Die Zeit drängt, man sollte nicht bis nach den Wahlen warten. Denn die werden besser nicht wegen dieser Frage entschieden.