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Peckinpah-Retrospektive in Locarno

Jochen Kürten9. August 2015

Die 68. Filmfestspiele in Locarno ehren in diesem Jahr den 1984 verstorbenen US-Regisseur mit einer großen Retrospektive. Im Rückblick wird deutlich, wie stark Peckinpah nachfolgende Regiegenerationen beeinflusst hat.

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Bildergalerie Filmfestival Locarno 2015 Retrospektive Sam Peckinpah The Wild Bunch
Bild: Cinémathèque suisse

Er war der Erste, der das Blut spritzen ließ. In endlosen Fontänen. Der Gewalt auf der Leinwand opernhaft inszenierte. Der sie zelebrierte. Sam Peckinpahs Lebens- und Filmthema war die Gewalt. Deshalb war der Regisseur auch umstritten, und nicht immer ließen seine Filme die Kinokassen erfolgreich klingeln.

Doch Peckinpahs Einfluss auf das Fimgeschehen ist unübersehbar. Das merkt man heute noch deutlicher als zu seinen Lebzeiten. Heute hat man sich an die explizite Darstellung von Gewalt im Kino fast schon gewöhnt. Ob David Lynch oder John Woo, ob Martin Scorsese oder Quentin Tarantino - das moderne amerikanische Genrekino wäre ohne Sam Peckinpah kaum denkbar.

Ein Lebenswerk mit nur 14 Filmen

Man kann das Festival im schweizerischen Locarno nur zu der Entscheidung beglückwünschen, Sam Peckinpah in der diesjährigen großen Retrospektive zu würdigen. Und viele Filme müssen sie ja auch gar nicht zeigen in Locarno: Denn Peckinpah (1925 – 1984) hat nur 14 Spielfilme gedreht, dazu ein paar Arbeiten fürs Fernsehen.

Mit nur 59 Jahren ist der in Südkalifornien geborene Regisseur gestorben. und wenn man so will, dann ähnelt sein wildes und raues Leben dem seiner filmischen Helden. "Ich liebe Außenseiter. Wenn man sich nicht anpasst und restlos aufgibt, ist man allein auf der Welt", sagte Peckinpah 1972 in einem Interview, das er wohl nicht zufällig dem Männermagazin "Playboy" gab. "Wenn man aber aufgibt", so der US-Amerikaner damals, "verliert man seine Unabhängigkeit als Mensch." Deshalb sei er für die Einzelgänger: "Die spielten ihr Spiel bis zum Ende."

Filmfestival Locarno 2015 Retrospektive Sam Peckinpah (© Festival del film Locarno)
Sam PeckinpahBild: Festival del film Locarno

Peckinpah hat sein Spiel bis zu seinem frühen Tod gespielt und einen hohen Preis dafür bezahlt. Alkohol und Drogen haben ihn bis zu seinem Tod begleitet. Angepasst hat er sich nie. Deshalb gilt er auch heute noch als einer der ersten Regisseure, die sich konsequent quer zum Hollywood-System stellten.

Einige seiner Filme wurden von den Studios geschnitten und gekürzt, andere wurden erst gar nicht realisiert. Mit vielen seiner Produzenten zerstritt er sich. Jahrelang konnte er immer wieder nicht arbeiten, weil er zu radikal war. Als Regisseur und als Mensch. Peckinpah ließ sich nicht reinreden in seine Projekte.

Meilensteine des US-Kinos

Seine Filme, es waren vor allem Western, veränderten die Darstellung von Gewalt im amerikanischen Mainstream-Kino. "The Wild Bunch" (1969) gilt auch heute noch als Wegmarke der US-Filmgeschichte. Wie Peckinpah den finalen Showdown inszenierte, raubt einem auch heute noch den Atem. Zerberstende Leiber und Blut, dass in Fontänen aus den Körpern der Sterbenden hinausschießt, das alles in Zeitlupe aufgenommen und in einem wahnwitzigen Montage-Stakkato inszeniert.

Was wollte Peckinpah mit diesem Todesballett in Zeitlupe ausdrücken, das ihm in Hollywood den Spitznamen "Bloody Sam" einbrachte? "Für hellsichtigere Kritiker war "The Wild Bunch" eine blutige Allegorie auf den Zustand Amerikas Ende der 1960er Jahre, eines Landes im Krieg, mit sich und in Vietnam", schrieb der Filmpublizist Bernd Kiefer einst über den Regisseur und sein bekanntestes Werk. Andere beschimpften Peckinpah: er habe die Gewalt glorifiziert und verharmlost.

Filmszene aus Steiner das eiserne Kreuz (Foto: picture alliance/United Archives)
Hemmungsloses Töten: "Steiner - das eiserne Kreuz"Bild: picture alliance/United Archives

Ein widersprüchlicher Charakter

In beiden Statements steckt wohl ein Körnchen Wahrheit. Peckinpah begleitete sein Heimatland, während dieses tausende Meilen entfernt Krieg führte. Der Regisseur zeigte letztendlich - im Kleid des Westerns und des Genrekinos - nur die Realität: rohe und brutale Gewalt, hemmungsloses Töten und das auch noch staatlich sanktioniert. Und Peckinpah schaute nicht weg: Wenn die Menschen starben, dann zeigte der Regisseur das auch so auf der Leinwand - ohne Umschweife und im Detail. "Recht und Unrecht werden, extrem subjektiviert, zu Reaktionen auf eine Welt, die keine Maßstäbe mehr kennt", so Bernd Kiefer.

Auf der anderen Seite beschleicht den sensiblen Zuschauer auch heute noch manchmal ein unangenehmes Gefühl, wenn das Kino Mord und Totschlag mit allen tricktechnischen und digitalen Finessen so realistisch wie möglich aussehen lässt.

Außenseiter in mehrfacher Hinsicht

Peckinpah war ein widersprüchlicher Charakter. Er pflegte sein Außenseitertum bis zum Exzess. Das wurde 1977 auch in seinem vorletzten Film deutlich, dem in Europa mit deutschen Geldern produzierten Kriegsepos "Steiner - das eiserne Kreuz": Ein deutscher Trupp zieht sich im Kriegsjahr 1943 vor russischen Truppen zurück, wird immer wieder in Kampfscharmützel verwickelt. Ein "aufwendiges, aber psychologisch mangelhaft durchgezeichneten Kriegsfilm, dessen streckenweise faszinierende Bild- und Spannungskraft den Krieg trotz kritischer Absichten eher als charakterforderndes Abenteuer erscheinen lässt", urteilte das "Lexikon des internationalen Films".

Filmfestival Locarno 2015 Retrospektive Sam Peckinpah Straw Dogs Filmstill mit Dustin Hoffman (Foto: "Cinémathèque suisse")
Schlägt zurück: Dustin Hoffman in "Wer Gewalt sät"Bild: Cinémathèque suisse

Peckinpah hat dem US-Kino entscheidende filmästhetische Impulse mit auf den Weg gegeben. Nicht immer hat er psychologisches Feingefühl bewiesen. Doch hat er dem Zuschauer wohl einen realistischen Einblick in das Uhrwerk der Gesellschaft geöffnet. Ein Idealist war Peckinpah zu keiner Zeit. "Wer Gewalt sät" (1971) hieß einer seiner größten Erfolge. Gewalt und die Folgen der Gewalt hat der Regisseur in seinem Werk eindrucksvoll seziert. Beim Filmfestival in Locarno kann man sich davon ein eindrucksvolles Bild machen.