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Wer nicht fragt, bleibt dumm

Marcel Fürstenau2. Juni 2015

Regierungssprecher und Journalisten haben naturgemäß unterschiedliche Interessen. Manchmal spielen sie mit Informationen Katz und Maus. So wie jüngst in Sachen Griechenland-Krise.

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Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert
Bild: Getty Images/Afp/Odd Andersen

Dreimal wöchentlich kommt jemand aus Angela Merkels Sprecherteam ins Haus der Bundespressekonferenz, meistens Staatssekretär Steffen Seibert (im Bild). Der ehemalige Fernsehjournalist wird flankiert von seinen Kolleginnen und Kollegen aus den Ministerien. Ihrer alle Aufgabe ist es, Fragen der Hauptstadtjournalisten aus dem In- und Ausland zu beantworten. Bevor es ins Wochenende geht, informiert Seibert von sich aus über die anstehenden Termine der Bundeskanzlerin.

Für den vergangenen Montag kündigte er zwei Veranstaltungen auf Merkels Terminkalender an: Einen Termin in der Berliner Kulturbrauerei, "wo die Bundeskanzlerin um 14 Uhr mit Bürgerinnen und Bürgern über gutes Leben in Deutschland diskutieren wird". Die Kanzlerin hautnah. Sowas macht sich immer gut.

Berliner Nachrichten aus Brüssel

Der zweite Termin gehörte in die Kategorie "Arbeitsessen" mit wichtigen Menschen aus Politik und Wirtschaft: Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker trafen "20 Vorstandsvorsitzende führender europäischer Unternehmen, die dem European Round Table of Industrialists angehören". Thema: Herausforderungen der Digitalisierung für die europäische Industrie. Merkel höchstpersönlich teilte am Montagabend im Kanzleramt mit: "Ich freue mich, dass wir diesen Abend hier gemeinsam verbringen können." Anschließend begab sich die deutsche Regierungschefin mit ihren Gästen zu Tisch. Bis 21 Uhr sollte das Essen dauern.

Frankreichs Präsident Hollande, Bundeskanzlerin Merkel und EU-Kommissionspräsident Juncker (v.l.n.r.) im Berliner Kanzleramt.
Montagabend im Kanzleramt: Hollande, Merkel und Juncker (v.l.n.r.)Bild: Reuters/H. Hanschke

Um 20 Uhr 52 meldete die Nachrichtenagentur Reuters aus Brüssel (!) völlig überraschend: "Zur Lösung des Schuldenstreits mit Griechenland wollen sich EZB-Präsident Mario Draghi und IWF-Chefin Christine Lagarde EU-Vertretern zufolge noch am Montagabend mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Berlin treffen."

Fruchtlose Nachfragen

Viele Journalisten rieben sich die Augen. Denn schon sechs Tage vorher, am Mittwoch, hatte ein Kollege in der Bundespressekonferenz vom Regierungssprecher wissen wollen, "wenn sich Herr Juncker mit Herrn Hollande und der Bundeskanzlerin trifft, ob auch Griechenland ein Thema sein wird?" Seiberts Antwort: "Was ich Ihnen für den Montagabend ankündigen kann, ist diese gemeinsame Begegnung mit dem European Round Table of Industrialists. Weitere Termine habe ich hier nicht anzukündigen."

So schnell und leicht lassen sich Journalisten natürlich nicht abwimmeln. Also hatte ein anderer Kollege nachgehakt: Es könnte doch sein, dass am Rande des Essens mit den Vorstandsvorsitzenden noch ein Dreiergespräch zu Griechenland stattfinde, oder? Seibert trocken: "Was möglicherweise zwischen der Bundeskanzlerin, Herrn Hollande, Herrn Juncker oder anderen Teilnehmern noch besprochen wird, dem kann ich hier nicht vorgreifen."

Kanzlerin Merkel (l.) und Griechenlands Regierungschef Tsipras beim EU Gipfel in Riga am 22. Mai 2015.
So viel steht fest: Merkel (l.) und Tsipras trafen sich am 22. Mai beim EU-Gipfel in RigaBild: Getty Images/AFP/A. Jocard

Am Montag waren dann im Laufe des Tages Gerüchte aufgetaucht, der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras könnte am Abend im Kanzleramt eintreffen. Wieder hatte Seibert gedämpft: Das sei "nicht geplant". Geplant sei das offizielle Treffen Merkels mit Hollande, Juncker und europäischen Industriellen, Thema: Digitalisierung der Wirtschaft. Immerhin hatte er eingestanden: "Ich will nicht sagen, dass Griechenland am Rande nicht auch ein Thema sein kann, aber das Hauptthema wird es nicht sein."

Trockene Pressemitteilung

Und dann verbreitete Reuters schließlich um 22 Uhr 51 eine Börsenmeldung aus den USA (!): "Das griechische Schuldendrama sorgte auch in New York für Unruhe, als bekannt wurde, dass noch Montagabend IWF-Chefin Christine Lagarde und EZB-Präsident Mario Draghi in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande sowie EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker beraten wollten."

Von der Bundesregierung gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine Stellungnahme. Erst nach Mitternacht deutscher Zeit berichteten inländische Agenturen endlich von einem "Spitzentreffen" der Griechenland-Geldgeber in Berlin.

Was sich nun wirklich zu fortgeschrittener Stunde im Kanzleramt ereignet hat, ergab eine Nachfrage beim Presse- und Informationsamt der Bundesregierung am Dienstagmorgen. Demnach sei sich die Runde in Sachen Griechenland einig gewesen, dass nun mit "großer Intensität" weitergearbeitet werden müsse. "Die Gesprächspartner waren in den letzten Tagen in engstem Kontakt und wollen dies auch in den nächsten Tagen bleiben", so die lakonische Pressemitteilung.

Prinzip Sesamstraße

Die Sesamstraße wird 40
Wissbegierig: Kermit (l.) und das KrümelmosterBild: picture-alliance/dpa

Bei der nächsten Regierungspressekonferenz wird es wohl viele Fragen geben - besonders zu Merkels überraschender Begegnung mit Lagarde und Draghi. Wann wurde das Treffen vereinbart? Warum wurde daraus ein Geheimnis gemacht? Auch für Journalisten gilt das Motto der "Sesamstraße". In der TV-Kindersendung heißt es seit Jahrzehnten: "Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm."