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Taliban in Pakistan

13. Mai 2011

Die pakistanischen Taliban haben sich zu dem doppelten Selbstmordanschlag auf ein militärisches Ausbildungszentrum im Nordwesten Pakistans bekannt. Sie wollten nach eigenen Angaben den Tod Osama bin Ladens rächen.

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Bildmontage: Taliban-Kämpfer richtet Panzerfaust auf pakistanische Flagge (Foto: AP; Montage: DW)

Taliban ist der Plural des arabischen Wortes talib. Talib heißt Student oder Schüler. "Unsere Botschaft an die Taliban ist unverändert, aber vielleicht stößt sie heute auf mehr Resonanz", sagte US-Außenministerin Hillary Clinton am 2. Mai in ihrer ersten offiziellen Stellungnahme nach der Tötung Osama bin Ladens durch ein Spezialkommando im pakistanischen Abbottabad. Clinton wandte sich direkt an "die Taliban": "Ihr könnt uns nicht aussitzen. Ihr könnt uns nicht besiegen. Aber ihr habt die Wahl, euch von Al-Kaida zu lösen und an einem friedlichen, politischen Prozess teilzunehmen."

Die US-amerikanische Außenministerin benutzt das Wort Taliban wie selbstverständlich – und suggeriert damit wie viele andere westliche Politiker auch, dass es sich bei den Taliban um eine einheitliche, homogene und hierarchisch durchorganisierte Bewegung handelt.

Zwei Länder, zwei Taliban-Bewegungen?

Doch welche Taliban hat Hillary Clinton direkt angesprochen? Meint sie die afghanischen Taliban um Mullah Omar, meint sie auch verbündete oder ideologisch nahestehende Gruppen wie das Haqqani-Netzwerk oder die Hezb-e-Islami von Gulbuddin Hekmatyar? Oder bezieht sie sich sogar auf die pakistanischen Taliban, die längst eine eigene Agenda haben? Der pakistanische Journalist Rahimullah Yusufzai hat 1998 zwei Interviews mit Osama bin Laden geführt. Er lässt im Gespräch mit der Deutschen Welle jedenfalls keinen Zweifel daran, dass es zwei Länder gibt, in denen Taliban kämpfen. "Auch in Pakistan herrscht Krieg. Es gibt hier so viele Selbstmordattacken, so viele Bombenanschläge und so viele amerikanische Angriffe mit unbemannten Drohnen. Das Militär ist in der Offensive und die Militanten sind in der Offensive. Der Krieg wird in Afghanistan und in Pakistan geführt." Es ist ein Krieg gegen Al Kaida und Taliban und verbündete Aufständische, aber es ist kein Krieg gegen die gleichen Taliban.

Mullah Omar auf dem Titelbild der US-Zeitschrift Vanity Fair im Februar 2003 (Foto: AP)
Mullah Omar auf dem Titelbild der US-Zeitschrift Vanity Fair im Februar 2003Bild: AP

Die erste Generation der afghanischen Taliban um Mullah Omar entstand nach dem Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen aus Afghanistan in den überfüllten Flüchtlingslagern in Pakistan. Dort formierte sich in den Religionsschulen eine sunnitisch-islamistische Bewegung, die den Bürgerkrieg der siegreichen afghanischen Mudschaheddin stoppen wollte. Die afghanischen Taliban versprachen, für Frieden und Sicherheit in ihrer Heimat zu sorgen und der islamischen Rechtsprechung (Scharia) Geltung zu verschaffen. Pakistan und Saudi-Arabien unterstützten die fundamentalistische Bewegung und pumpten viel Geld und militärische Hilfe in die Madrassen im Grenzgebiet.

Von 1996 bis kurz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 kontrollierten die afghanischen Taliban weite Teile des Landes. Doch die Gastgeberrolle für Al-Kaida wurde dem Regime zum Verhängnis. Die Zeit nach dem 11. September markiert dann auch den Beginn einer eigenständigen Taliban-Bewegung in Pakistan, wie der pakistanische Politikexperte und Buchautor Ahmed Raschid bestätigt. "Das lässt sich alles auf die Tatsache zurückführen, dass die afghanischen Taliban und Al Kaida damals nach Pakistan entkommen konnten. Sie sind nicht militärisch besiegt worden von den Amerikanern und ihren Verbündeten. Sie haben Zuflucht in den pakistanischen Stammesgebieten gefunden und die gesamte Gegend radikalisiert."

Nährboden im geteilten "Paschtunistan"

Das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet ist autonomes Stammesland. Dort siedeln vor allem Paschtunen. Ihr Siedlungsgebiet wird von der willkürlichen Grenze zerschnitten, die hier einst die britischen Kolonialherren gezogen haben. Die Taliban-Bewegungen auf beiden Seiten der Grenze haben gemeinsame Wurzeln in der sehr konservativen und tief religiösen, sunnitischen Bevölkerungsgruppe der Paschtunen. Aber ihre Ziele haben sich weit auseinanderentwickelt.

April 2009: zwei pakistanische Taliban-Kämpfer mit Panzerfäusten während einer Offensive im Swat-Tal (Foto: dpa)
April 2009: Pakistanische Taliban-Kämpfer während einer Offensive im Swat-TalBild: picture-alliance/ dpa

Den stärker hierarchisch organisierten, afghanischen Taliban geht es ausschließlich darum, die westlichen Truppen aus Afghanistan zu vertreiben, die Regierung von Präsident Hamid Karsai zu stürzen und ihr eigenes, religiöses Regime zurückzubringen. Es geht ihnen nur um Afghanistan. Doch die pakistanischen Glaubenskrieger, mit denen sie jahrelang in die Schlacht gezogen sind, kämpfen inzwischen fast ausschließlich gegen den pakistanischen Staat – und damit gegen einen wichtigen Verbündeten der afghanischen Taliban. Sie hätten sich ohne die schützende Hand des pakistanischen Militärs kaum neu in Stellung bringen können.

Zu den ersten Anführern der pakistanischen Taliban gehörten die beiden Stammesführer Nek Mohammed Wazir und Baitullah Mehsud. Beide wurden durch US-amerikanische Drohnenangriffe in Waziristan gezielt getötet. Gerade in Nord- und Südwaziristan haben die Drohnenattacken aber vor allem Zivilisten getötet. Der pensionierte pakistanische General Talat Massood macht sie dafür mitverantwortlich, dass die pakistanische Taliban-Bewegung in den vergangenen vier Jahren so ein starkes Eigenleben entwickelt hat. "Die Militanten nutzen das für ihre Propaganda aus. Die Drohnen schüren den pakistanischen Nationalismus. Sie erzeugen eine starke Gegenreaktion und entfachen den Anti-Amerikanismus."

Nach Recherchen der "New York Times" hat Mullah Omar im Winter 2008/2009 versucht, die pakistanischen Taliban wieder für den Kampf um Afghanistan zu gewinnen. Er bat sie darum, ihre Attacken innerhalb Pakistans einzustellen und sich auf gemeinsame Ziele in Afghanistan zu konzentrieren. Die Anschläge in Pakistan haben trotzdem weiter zugenommen.

Nähe zu Al Kaida

Die pakistanischen Taliban kämpfen nach eigenen Angaben gegen den pakistanischen Staat, den sie für eine unrechtmäßige Marionette der USA halten. Sie kämpfen aber auch gegen Bürger, die sie als "Ungläubige" brandmarken, wie pakistanische Schiiten, Sufisten, Ahmadis und Christen. Sie begrüßen außerdem ausdrücklich Anschläge gegen die USA jenseits der pakistanischen Grenzen. Die pakistanischen Taliban stehen Al-Kaidas Ideologie vom globalen Dschihad sehr viel aufgeschlossener gegenüber als die afghanischen Taliban.

Es war der getötete Baitullah Mehsud, der im Dezember 2007 eine Stammesversammlung einberief, auf der er die Gründung der pakistanischen Taliban (Tehrik-i-Taliban Pakistan, TTP) offiziell verkündete. Die TTP sind bis heute eine lose Verbindung geblieben, deren Gruppen sehr unabhängig voneinander operieren - viel unabhängiger als die afghanischen Taliban. Die TTP haben dennoch schon mehrfach unter Beweis gestellt, dass sie auch hochrangige Ziele im pakistanischen Kernland treffen können – vor allem durch ihre Selbstmordattentäter.

Portrait des TTP-Führers Hakimullah-Mehsud mit traditioneller Paschtunen-Kappe (Foto: dpa)
TTP-Führer Hakimullah MehsudBild: picture alliance/dpa

Als Anführer gilt seit 2009 der paschunische Stammesführer Hakimullah Meshud, der sein Hauptquartier im unwegsamen Nord-Waziristan hat. Pakistans Militär, das die Außen- und Sicherheitspolitik des Landes bestimmt, steht vor einem großen Dilemma: Es will die pakistanischen Taliban bekämpfen, ohne die afghanischen Taliban als strategischen Verbündeten gegen Indien zu verlieren. Gleichzeitig versagt der Staat als ganzes darin, in den Stammesgebieten für Bildung und Entwicklung zu sorgen.

Der Jugend fehlt die Alternative zum religiösen Fundamentalismus. Ohne lohnende Perspektive werden sich junge Männer weiter den verschiedenen Gruppen der pakistanischen Taliban anschließen und auch die afghanischen Taliban mit Nachwuchs aus dem Grenzgebiet füttern. Al-Kaida kommt das entgegen. Pakistan hat für das Netzwerk strategisch an Bedeutung gewonnen, seit klar geworden ist, dass die arabische Jugend Al-Kaida nicht braucht, um nach Wandel zu rufen. Es ist kein Zufall, dass sich der erste schwere Anschlag nach der Tötung Osama bin Ladens in Pakistan gegen Pakistan richtet.

Autorin: Sandra Petersmann
Redaktion: Friedel Taube