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Der Jurypräsident

4. Februar 2010

Mehr als 20 Filme in zehn Tagen - das ist das Pensum, das Werner Herzog bei der Berlinale bewältigen muss. Der deutsche Regisseur ist Jury-Präsident der 60. Ausgabe des Festivals. Für Herzog wird es eine Herausforderung.

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Porträt Werner Herzog (Foto: DW-TV)
Werner HerzogBild: DW-TV

Normalerweise schaue er zwei bis drei Filme pro Jahr. Mit dieser Aussage überraschte Werner Herzog vor kurzem - und das unmittelbar, nachdem die Berlinale bekannt gegeben hatte, dass Herzog 2010 Präsident der Jury des Festivals werden würde. Ein Kinomuffel als Jury-Präsident? Kann das gut gehen? Und warum geht Herzog eigentlich nicht ins Kino? Wahrscheinlich, weil er keine Zeit hat.

In Amerika zu Hause

Werner Herzog lebt inzwischen in Los Angeles. Und er ist überaus produktiv, dreht einen Film nach dem anderen. Dass ausgerechnet der Bajuware Herzog einmal in Hollywood Fuß fassen würde, damit hätte vor ein paar Jahren wohl keiner gerechnet. Schließlich haben seine prominenten und polyglotten Kollegen vom Neuen Deutschen Film, Wim Wenders und Volker Schlöndorff, ihre Zelte in Amerika längst abgebrochen und sind in die Heimat zurückgekehrt.

Mann mit erschrockenem Gesicht hält sich die Hand vor den Mund (Foto: Image.net)
Nicolas Cage als korrupter und drogenabhängiger Cop in "Bad Lieutenant: Port of Call New Orleans"Bild: image.net

Herzog hingegen hat nur die nächste Stufe in seiner erstaunlichen Regiekarriere genommen, dreht in Amerika mit großem Budget und veritablen Stars wie Christian Bale und Nicolas Cage. Doch für Überraschungen war der 1942 in München geborene und in der bayrischen Provinz aufgewachsene Regisseur schon immer gut. Die ersten Filme Ende der 1960er Jahre brachten einen ganz neuen Ton in den damals gerade aus dem Tiefschlaf erwachenden deutschen Film - einen Blick in die Provinz, der aber die ganze große Welt mit aufnahm.

Danach zog Herzog mit seinem Lieblingsschauspieler Klaus Kinski fünfmal gemeinsam aus, um im wahrsten Sinne des Wortes wahnsinnige Filmprojekte in Südamerika, aber auch in Deutschland zu realisieren. Über seinen Film "Fitzcarraldo" wurden Bücher geschrieben und Dokumentationen gemacht, die Dreharbeiten waren mindestens ebenso spannend wie der fertige Film. Und seine Vampir-Etüde "Nosferatu" wurde 1979 zu einem der größten Erfolge des Neuen Deutschen Films.

Klaus Kinski im Film Fitzcarraldo vor Schiff im Nebel (Foto: Verleih Kinowelt)
Ein Mann und sein Schiff: FitzcarraldoBild: Kinowelt/Arthaus

Dokumentationen und Opern

Kurz danach verabschiedete sich Werner Herzog allerdings wieder vom großen Kinoparkett, so als ob ihm nach dem Tod Kinskis der große Widerpart gefehlt hätte, an dem er sich reiben konnte. Herzog drehte für ein paar Jahre vor allem Dokumentarfilme, die freilich alles andere als konventionell und nah an der Realität waren. Und er inszenierte Opern, Wagner und Busonis "Doktor Faust", deutsche Stoffe, deutsche Themen.

In den USA hat er dann in den letzten Jahren tatsächlich Fuß fassen können. Dass das in Deutschland gar nicht so bekannt ist, liegt nicht am Regisseur und seinen Filmen, die zum Teil gar nicht in die Kinos gelangten. "Ich habe Deutschland nie aus dem Auge verloren. Aber - ich weiß nicht wieso - Deutschland hat mich aus den Augen verloren", beklagte sich Herzog einmal, nicht ohne darauf hinzuweisen, wie nahe er sich seinem Heimatland fühlt: "Ich habe mein Land verlassen und lebe heute in Los Angeles. Und ich mache Filme in der Antarktis, in Südamerika, den USA. Aber meine Kultur habe ich dennoch nie verlassen."

Der Regisseur Werner Herzog und der Schauspieler Klaus Kinski greifen sich an die Gurgel (Foto: AP Photo/HO)
Streit unter Freunden: Herzog und KinskiBild: AP

Herzogs Americana

In "Rescue Dawn" erzählte er vor drei Jahren die authentische Geschichte eines deutschstämmigen US-Soldaten, der während des Vietnam-Krieges über Laos abstürzt und in Gefangenschaft gerät. Und dann gibt es noch zwei ganz frische Filme: "Bad Lieutenant: Port of Call New Orleans" und "My Son, My Son, What have Ye Done", beide aus dem vergangenen Jahr und beide beim Filmfestival in Venedig aufgeführt, der eine ein Genrereißer über einen korrupten und drogenabhängigen Cop, der andere eine drastische Familientragödie.

Wer Werner Herzog einmal bei einem Filmfestival erlebt hat, wer ihn interviewt hat, der weiß, dass dieser Filmemacher auch Unterhaltungskünstler par excellance ist. Dabei sollte man bei seinen Antworten immer auf Überraschungen gefasst sein. Herzog widerspricht gern Erwartungen, bürstet scheinbar Allgemeingültiges gegen den Strich und lässt sich nur ungern in irgendwelche Schubladen einordnen, auch nicht in die des Regie-Abenteurers. So werden die Zuschauer der Berlinale 2010 am 20. Februar, wenn die Jury unter ihrem Präsidenten Werner Herzog die Bären verleihen wird, sicherlich mit Überraschungen rechnen können.

Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Manfred Götzke