Westbalkan auf dem Weg in die EU
15. Februar 2018Seit 2003 gibt es die Zusage: Die EU reicht den Westbalkanstaaten die Hand für eine Mitgliedschaft. Doch der einstige Schwung ist dahin, der Glanz verblasst. Wer wann und wie aufgenommen wird, ist unklar und in weite Ferne gerückt. Längst sei die vor 15 Jahren in Thessaloniki gemachte Zusage für den Integrationsprozess nicht mehr glaubwürdig, sagt DW Gernot Erler, Staatsminister a.D. und Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft gegenüber der DW. Dies hätte die Staaten empfänglich für andere Einflüsse gemacht. "In diesem Wettbewerb der Strategien hatte es in der Vergangenheit von China, von Russland, von der Türkei und von den arabischen Staaten Versuche gegeben, auf dem Westbalkan Einfluss zu nehmen", so Erler am Rande der Jahreshauptversammlung der Südosteuropa-Gesellschaft“ in Berlin gegenüber der DW. Er begrüßt, dass die neue EU-Strategie einen konkreten Aktionsplan beinhalte, bei dem alle mitmachen können.
Kritischer fällt das Urteil von Florian Bieber, Professor für Südosteuropa-Studien in Graz, aus: "Gut in der Diagnose, schlecht in den Vorschlägen", resümiert er. Gut sei die Strategie, weil dort die Kommission zum ersten Mal die Probleme in der Region identifiziert habe. Vom Einfluss privater Interessen im öffentlichen Sektor (state capture), von organisierter Kriminalität, von Korruption, von Problemen mit der Rechtsstaatlichkeit sei die Rede. Schlecht allerdings, weil die Vorschläge etwas "unausgegoren" seien, findet Bieber. "Man weigert sich, sich direkt mit denen, die diese Probleme verursachen, zu konfrontieren."
Die Bürger der Region sind gefragt
Und das sind, so Bieber, oft die herrschenden Eliten. Er warnt davor, in der Umsetzung dieser Strategie den Fokus nur auf sie zu legen und die oppositionellen Kräfte zu vernachlässigen: "Man muss dafür Sorge tragen, dass die Opposition nicht in einen anti-europäischen nationalistischen Diskurs abgleitet", so Bieber. Besonders anfällig dafür seien derzeit das Kosovo und Serbien: "Und das wäre die größte Gefahr, dass sich die europäische Union verbündet sieht mit Autokraten in den Ländern und gleichzeitig die Opposition, die versucht, demokratische Kritik zu üben, verliert."
Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Josip Juratovic sieht bei den herrschenden Eliten auf dem Balkan ein großes Problem. Es gebe viele Politiker, "die absolut nicht in die EU wollen, weil sie in der EU ein geordnetes System finden, einen Rechtsstaat, eine geordnete Gesellschaft. Und in dieser Gesellschaft sehen sie nicht ihre Chance", so Juratovic, der die Verantwortung dafür den Bürgern in den potentiellen Beitrittsländern abgeben möchte. "Wie die Bürger so die Politik, leider", sagt der Deutsch-Kroate über die Entwicklung auf dem Westbalkan ernüchtert. "Wir wollen keine Kolonien vor Ort. Wir wollen vor Ort Partner im demokratischen Sinne."
Genanntes Datum - nur ein Ansporn
Für die Abgeordneten des Bundestags ist klar: Eintreten darf nur, wer die Bedingungen erfüllt. So versteht Manuel Sarrazin, Bundestagsabgeordneter der Grünen, das vorgeschlagene Datum 2025 für den Beitritt von Serbien und Montenegro nicht als eine feste Zusage, sondern als eine Verpflichtung für die Politik vor Ort zu beweisen, dass man bis dahin Ergebnisse zeigen kann. "Wenn bis 2025 die nationalen politischen Eliten nicht geliefert haben, müssen sie ihren Wählerinnen und Wählern, ihren Bürgerinnen und Bürgern erklären, warum sie das nicht konnten, obwohl es machbar gewesen wäre", sagt Sarrazin.
Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Beyer, besteht auf dem Prinzip der Konditionalität als einziges Beitrittskriterium. Und das heißt, "dass die konkreten Maßnahmen umgesetzt werden, in der Reform der öffentlichen Verwaltung, einer Rechtsstaatsreform, der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, der Korruption. Man muss da rangehen und die Gesetze nicht nur auf dem Papier verabschieden, sondern sie auch leben und umsetzen", sagt Beyer. Dabei kommt auch den jeweiligen Parlamenten eine große Rolle zu: "Sie müssen sich emanzipieren. Sie sind eine eigene staatliche Gewalt und das müssen sie begreifen und entsprechend agieren", sagt der CDU-Politiker.
Von dem so genannten "Regatta-Prinzip", dass Serbien und Montenegro vor den anderen Ländern in die EU kommen sollen, hält Michael Schmunk nicht viel. Der Diplomat war als Vertreter Deutschlands in Sarajewo und Prishtina tätig und ist heute Südosteuropa-Experte in verschiedenen Thinktanks. "Dann wird es für die verbleibenden vier, insbesondere für das Kosovo und für Bosnien, die die schwierigsten Bedingungen zu Hause haben, ganz schwer werden, es am Ende noch zu schaffen", sagt Schmunk auch mit Blick auf die fehlende Begeisterung für weitere Erweiterungsrunden innerhalb der EU.
Er schlägt vielmehr vor, dass sich die sechs Westbalkanstaaten zusammentun und eine eigene gemeinsame Strategie entwickeln, um die Skepsis in der EU wett zu machen. "Ich glaube, dann besteht eine Chance, eines Tages als ein Paket aufgenommen zu werden."