Westbalkan: Zivilgesellschaft als Motor
3. November 2022Was tun zivilgesellschaftliche Organisationen (Non-Governmental Organizations, NGOs) in den Westbalkan-Ländern Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien? Darüber weiß die europäische Öffentlichkeit relativ wenig. Dabei beruhen viele der politischen Erfolge des 2014 begonnenen Berliner Prozess, der die "W6"-Staaten an die EU heranführen soll, auf den Aktivitäten von NGOs, etwa die Gründung des gemeinsamen Westbalkan-Jugendwerks RYCO (Regional Youth Cooperation Office).
NGO-Vertreterinnen und Vertreter vom Westbalkan versammeln sich immer vor den regelmäßig im Rahmen des Berliner Prozesses stattfindenden Treffen der Spitzenpolitiker - so auch 2022 in Berlin. Zwei Tage vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs am 3. November diskutierten sie im Rahmen des "Berlin Process Civil Society & Think Tank Forum" (CSF) darüber, welche Themen anstehen und welche Aktivitäten in Zukunft umgesetzt werden sollen.
Auf der Tagesordnung des Gipfels: die Unterzeichnung mehrerer Vereinbarungen, die die innere Integration der Region der W6-Staaten beschleunigen sollen - und damit auch deren Annährung an die EU. Dazu gehört die gegenseitige Anerkennung von Personalausweisen, Hochschul- und Berufsdiplomen sowie Schritte zur Schaffung eines gemeinsamen regionalen Marktes (CRM).
Was ist dabei die Rolle der NGOs? "Ohne eine kritische Zivilgesellschaft in der Region wird der EU-Weg der Westbalkan-Länder wahrscheinlich nie erfolgreich sein", erklärte Manuel Sarrazin, der Beauftragte der Bundesregierung für den Westbalkan, auf dem CSF. "NGOs liefern für meine Arbeit aber auch für die der Europäischen Union sehr wichtige Rückmeldungen, Eindrücke, Wissen und Erfahrungen", so Sarrazin im Gespräch mit der DW am Rande des NGO-Treffens, das vom Aspen Institute und der Südosteuropa Gesellschaft organisiert wurde.
Prioritäten: Umwelt- und Energie
Vor allem müsse die Zusammenarbeit in der Region bei Umwelt- und Energiethemen angesichts der derzeitigen Energiekrise gestärkt werden, betonte Sarrazin bei der Podiumsdiskussion zum Thema "EU-Integration im Schatten des veränderten geopolitischen Umfelds". Der deutsche Westbalkan-Beauftragte versprach, dass Berlin und Brüssel den Ländern der Region mit Blick auf den kommenden Winter helfen würden.
Eines der erklärten Ziele des Annährungsprozesses der W6 an die EU ist die Reform des Energiemarktes in den nach wie vor von fossilen Brennstoffen abhängigen Westbalkan-Ländern. Diese "grüne" Agenda - Energiewende, Umweltschutz und der Kampf gegen den Klimawandel - steht besonders weit oben auf der Liste der Forderungen, die das diesjährige CSF an die Entscheidungsträger richtet.
Bekämpfung der Korruption muss weitergehen
Das zweite wichtige Elemente der Annäherung der Westbalkan-Staaten an die EU ist die Bekämpfung der endemischen Korruption dort. Viola von Cramon-Taubadel, Abgeordnete der Grünen im Europaparlament, engagiert sich seit Jahren in der Region - und weiß daher, wie viel dort noch zu tun ist.
"Wir müssen in Institutionen investieren und den Kampf gegen die Korruption nicht aufgeben", betonte von Cramon-Taubadel beim CSF. "An der Stelle hat sich leider noch nicht viel getan, hier muss die EU mehr fordern. Und wenn die Reformen nicht geliefert werden, dann müssen im Zweifelsfall auch mal wieder Gelder zurückgehalten werden", so die EP-Abgeordnete gegenüber der DW.
Medienkompetenz verbessern
Zu den politischen Empfehlungen des CSF gehören neben "grüner Agenda" und EU-Integration Vorschläge zur Verbesserung der regionalen Infrastruktur und der Medienkompetenz. Adelheid Feilcke, die Leiterin der Europaprogramme der Deutschen Welle, betonte beim Panel "Information Disorders in the Western Balkans", die Region müsse insbesondere bei jungen Menschen an der Stärkung der Medienkompetenz arbeiten.
"Da gibt es einmal die politische Einflussnahme auf die Medien", erläuterte Feilcke. "Hinzu kommt die Konzentration von Medien in den Händen weniger. Und nicht zuletzt eine große Verunsicherung in der Bevölkerung, die dadurch zustande kommt, dass sehr viele Informationen verbreitet werden, bei denen man nicht einschätzen kann, was richtig und was falsch ist." Deshalb sei es extrem wichtig, dass auch im politischen Prozess Wert daraufgelegt werde, dass die Medienfreiheit geschützt, bewahrt und unterstützt werde.