Westerwelle will Sozialstaats-Debatte
16. Februar 2010Guido Westerwelle lässt in der von ihm angestoßenen Debatte über den Sozialstaat nicht locker. Er vertrete nur, was aus seiner Sicht nötig sei, sagte Westerwelle dem "Kölner Stadtanzeiger" (Ausgabe vom Dienstag, 16.02.). Unter Beteiligung der FDP habe die neue Bundesregierung durch die Erhöhung von Kindergeld und Kinderfreibetrag "mehr für die Familien getan als die Parteien, die in den letzten elf Jahren regiert haben", sagte Westerwelle der Zeitung. Zugleich lehnte er es ab, seine umstrittenen Äußerungen zurückzunehmen oder zu relativieren. "Wenn jemand den Finger in die Wunden des linken Zeitgeistes" lege, sei die Empörung immer groß.
Unterdessen dauert auch in den Regierungsparteien die Diskussion über Westerwelles Vorstoß an. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich bereits von Westerwelles Wortwahl distanziert hatte, machte nun deutlich, dass sie für die Debatte keinen Zeitdruck sieht. Der stellvertretende Regierungssprecher Christoph Steegmans zitierte Merkel am Montag (15.02.) mit den Worten, die Haushaltsdebatte sei der richtige Ort für allgemeine Diskussionen. Die FDP will aber nicht auf die nächste Generalaussprache zum Haushalt am 17. März warten. Bereits in der letzten Februar-Woche soll die Diskussion zum Thema einer aktuellen Stunde im Bundestag gemacht werden.
Während die Kritik an Westerwelle aus der Opposition, von Gewerkschaften und Kirchen anhält, kommt aus der FDP und aus Teilen der Union Zustimmung für die von Westerwelle verlangte inhaltliche Reform der Sozialleistungen. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sagte dazu der "Süddeutschen Zeitung" (Ausgabe vom Dienstag, 16.02.): "Wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet." Allerdings, so Gröhe weiter, seien fragwürdige Verallgemeinerungen und scharfe Töne "nicht die Tonlage einer Volkspartei".
Die Debatte begonnen hatte Westerwelle selbst am Donnerstag mit einem Zeitungsbeitrag. Darin kritisierte er, die Diskussion über das Karlsruher Hartz-Urteil vom Dienstag trage "sozialistische Züge". Wie in einem "pawlowschen Reflex" werde gerufen, jetzt könne es erst recht keine Entlastung der Bürger mehr geben, das Geld bräuchte man für höhere Hartz-IV-Sätze. Westerwelle argumentierte, wer "anstrengungslosen Wohlstand" verspreche, lade zu "spätrömischer Dekadenz ein".
Von der Leyen will Härtefälle rasch neu regeln
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz IV will Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Härtefälle rasch neu regeln. In den kommenden Tagen würden den Jobcentern sofort anwendbare Beispiele vorgelegt, sagte sie der Zeitung "Bild am Sonntag".
Von der Leyen äußerte die Hoffnung, dass am 1. April eine gesetzliche Neuregelung in Kraft treten könne. Bei Härtefällen gehe es nur um außergewöhnliche Fällte, etwa Aidskranke oder Rollstuhlfahrer. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wandte sich am Samstag gegen höhere Hartz-IV-Regelsätze. Die Richter hatten am vergangenen Dienstag entschieden, dass die staatlichen Leistungen für die 6,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger neu berechnet werden müssen. Ein "menschenwürdiges Existenzminimum" sei bisher nicht sichergestellt.
Führungsdebatte in der FDP
In der FDP wird angesichts sinkender Umfragewerte der Ruf laut, die Führung um Parteichef Guido Westerwelle breiter aufzustellen. Parteivize Andreas Pinkwart forderte Westerwelle am Samstag auf, die Verantwortung für die Partei zu teilen. Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Ahrendt, wies die Forderung umgehend zurück.
Neben der Diskussion um die interne Machtverteilung werden in der FDP auch Stimmen laut, sich bei Differenzen mit der Union klarer zu positionieren. Der FDP-Fraktionschef im schleswig-holsteinischen Landtag, Wolfgang Kubicki, kritisierte die CDU/CSU scharf. Der Union sei es "doch relativ egal, mit wem sie regiert". Kubicki hält den Kurs seiner Partei gegenüber der Union für zu weich.
Autoren: Hartmut Lüning, Michael Borgers (dpa, AP epd, AFP)
Redaktion: Martin Schrader