WHO-Arzt ruft zu Organspenden auf
29. Mai 2013Deutsche Welle: Herr Dr. Noel, am 1. Juni, dem internationalen Tag der Organspende, rufen Mediziner weltweit Menschen dazu auf, sich für Organspenden bereitzuerklären. Aber viele Menschen zögern mit einer Entscheidung, nicht zuletzt, weil immer wieder Missbrauch oder sogar Organhandel stattfindet. Besonders dramatisch ist die Lage in Entwicklungsländern, in denen es große Einkommensunterschiede gibt. Wer kann dagegen etwas tun?
Regierungen müssen die eigene Macht erkennen und auch bereit zu sein, sie anzuwenden. Für das Gesundheitssystem zahlt es sich aus, wenn viele Menschen bereit sind, Organe nach dem Tode zu spenden. Eine transplantierte Niere ist das Beste für Menschen mit akutem Nierenversagen. Sie erhöht die Lebenserwartung und die Lebensqualität. Auch die Kosten des Gesundheitswesens sinken. Also haben alle ein Interesse daran, das System auszubauen. Wer kann dafür verantwortlich sein? Die Gesellschaft! Warum? Weil man sich eben nicht nur auf Lebendspender verlassen kann. Vor allem bei Nieren ist das Risiko bei der Lebendspende zwar gering, aber es kommt doch auch selten noch vor, dass auch Spender sterben. Deshalb ist die beste Quelle, weil dabei niemandem geschadet wird, die Organspende nach dem Tode. Dafür braucht man eine Organisation, die gewährleistet, dass alles gut funktioniert, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit gerechtfertigt ist. Man sagt: Wer bereit ist, ein Organ anzunehmen, sollte auch bereit sein, eines zu spenden. Das System gehört also uns allen. Deshalb ist die Investition in die Kontrollen, die sicherstellen, dass das Gesetz und die medizinischen Anforderungen von Ärzten und Krankenhäusern auch umgesetzt werden so wichtig.
Aber funktioniert so ein System überhaupt in Ländern, in denen einzelne Menschen unter extremer Armut leben?
Es kann erreicht werden und es muss auch erreicht werden. Natürlich gibt es skrupellose Individuen, die einen Profit ziehen, aus der Lücke zwischen dem geringen Angebot an Organen und der hohen Nachfrage von Patienten. Die WHO schätzt, dass derzeit die Organtransplantationen nur etwa zehn Prozent des globalen Bedarfs abdecken - und das ist eine hohe Schätzung. Aber in fortgeschrittenen Ländern wissen wir, dass das Ziel erreichbar ist. Es gibt Beispiele von Ländern die sich fast komplett selbst versorgen können. Das haben sie geschafft, weil sie die Bereitschaft zu Organspenden nach dem Tode maximiert haben: Es sind Menschen die noch zu Lebenszeiten akzeptiert haben und auch darüber froh sind, dass ihre Organe nach dem Tode anderen Menschen, die sie nicht kennen, noch Jahrzehnte ein gutes Leben bescheren können, und nicht einfach vergraben oder verbrannt werden. Es gibt allerdings auch große Unterschiede zwischen der Nachfrage nach Organen von einem Land zu einem anderen. Zum Beispiel gibt es in Norwegen nur ein Viertel so viele Fälle akuten Nierenversagens wie in den USA. Also muss auch viel in der Gesundheitsvorsorge getan werden - so kann man das Ziel erreichen, dass genug Organe zu Verfügung stehen.
Wie erreicht ein Land dieses Ziel der "Selbstversorgung"?
Das geht nur über Bildung und Prävention gleichzeitig: Vor allem über Aufklärung über das Organ-Spenden. Wenn es darum geht die Spenden nach dem Tode zu maximieren, geht es um jeden einzelnen. Gleichheit ist wichtig. Es sollte keine Unterschiede in der Gesellschaft zwischen unterschiedlichen Bürgern geben. Es kann nicht sein, dass der Arme spendet und der Reiche empfängt. Das passiert nämlich wenn Organspenden finanziell vergütet werden. Selbst wenn es formal geregelt wäre, gäbe es dann immer eine Konkurrenz hinter der Bühne. Deshalb braucht man ein System der völligen Gleichbehandlung beim Spenden aber auch beim Empfang der Organe: Jeder ist eingeladen, sich daran zu beteiligen und jeder der ein Organ braucht, weiß, dass er als Empfänger in Frage kommt. Niemand ist ausgeschlossen, es sei denn es gibt dafür medizinische Gründe. Wenn man solch ein System hat, und dazu noch eine verantwortliche Regierung, die sich darum kümmert, dass es umgesetzt wird, dann funktioniert es auch.
Also sollten in jedem Land so viele Organe gespended werden, wie benötigt werden. Aber Organ ist ja nicht gleich Organ. Ist es besser ein großen internationalen "Organ-Pool" zu haben der allen dient, oder unter weniger Ländern enger zusammenzuarbeiten, die sich besser darauf verlassen können, dass sich dort alle an die Regeln halten?
Beides: Wir sollten versuchen ein Niveau der Eigenversorgung innerhalb der staatlichen Grenzen zu erreichen, denn hier liegt die Macht der Regierungen, die die Regeln durchsetzen können. Aber um gleichzeitig die Bedürfnisse der Patienten zu bedienen, brauchen wir grenzüberschreitenden Austausch. In einem Notfall - einer akuten Vergiftung - kann man nicht auf eine Leber warten. Es geht dann nicht um Tage sondern um Stunden. Das gilt besonders für kleine Staaten, wie die Schweiz. Da kann es sein, dass eine Leber aus einem Nachbarland kommen muss. Das heißt die internationale Kooperation ist wichtig. Die treibende Kraft sicherzustellen, dass genug Organe zur Verfügung stehen, dass Gleichheit für Spender und Empfänger herrscht, dass das Verfahren gut kontrolliert wird, muss aber durch die nationalen Regierungen sichergestellt werden.
Gibt es Beispiele für weltweite Netzwerke?
Für die Transplantation von Stammzellen bei Knochenmarksspenden an Leukämie Patienten muss der Spender und der Empfänger perfekt zusammen passen, so gut wie irgend möglich. Das ist anders als bei den meisten bei anderen Organen, wo es mittlerweile durch Medikamente viel besser gelingt, dass das implantierte Organ vom Organismus des Empfängers angenommen wird. Aber bei der Knochenmarksspende muss das Spenderregister so groß wie möglich sein. Die Spender kommen heutzutage aus der ganzen Welt, in jedem zweiten Fall aus einem anderen Land. Es kann ein Spender aus Neuseeland für einen deutschen Patienten sein. Das ist heute die globale Realität. Das heißt, wir benötigen eine globale Verwaltung und starke Regierungsverantwortung, denn in all diesen Transplantationsfällen ist es das Beste für die Patienten.
Aber wer stellt sicher, dass auch alle, die an einem solchen System teilnehmen, sich an die Regeln halten?
Erfolgreiche Zusammenschlüsse, die über Ländergrenzen hinweg kooperieren, kamen meist von Seiten der Mediziner. Es sind die Mediziner, die sich der Qualität der Arbeit dieser Kooperationsnetzwerke bewusst sind und die darin vertrauen. Die Organisationen, die Knochenmarkspenderdateien führen, sind wahrscheinlich ein Modell für solche Aktivitäten, weil sie Akkreditierungsregeln geschaffen haben, die weltweit in gleicher Form zum Einsatz kommen. Wenn man mit einer akkreditierten Klinik oder einem Labor zu tun hat, kann man sich darauf verlassen, dass sie genauso arbeiten, wie man es selbst als Arzt tut. Die Professionellen Vereinigungen sind also die Triebkraft. Eine andere Triebkraft, sind die Behörden. Sie wollen nicht, dass irgendwelche Medizinprodukte, die unsicher sind, importiert werden. Also geht es um Kommunikation und das Verständnis dessen, was der Patient braucht.
Wie entwickelt sich der Illegale Organhandel?
Seit 2006, als er der illegale Markt noch in Ländern etabliert war, in denen damals praktisch Gesetzlosigkeit herrschte, hat sich die Zahl der illegalen Organtransplantationen offensichtlich verringert, denn seitdem haben viele der betroffenen Länder entsprechende Gesetze verabschiedet. Zwar gibt es noch Probleme bei der Durchsetzung der Gesetze, aber vor allem ist der Schwarzmarkt jetzt total in den Untergrund abgewandert - deshalb hat die WHO nur eine sehr vage Idee - aber wir schätzen, dass bezahlte Organtransplantationen oder solche die außerhalb etablierter von Regierungen kontrollierter Strukturen stattfinden, vielleicht zehn Prozent aller Organtransplantationen ausmachen.
Was läßt sich dagegen tun?
Eine der grundlegenden Prinzipien ist Transparenz: Nichts darf geheim bleiben. Alles muss offen für alle Beteilligten erkennbar sein. Das gilt für Behörden, andere Mediziner und die Öffentlichkeit, also auch Patienten und Empfänger. Nur dann kann ein Spende- und Transplantationssystem das Vertrauen bekommen, dass es benötigt. Es darf kein Verdacht aufkommen, dass finanzieller Profit eine Rolle spielte oder gefährliche Praktiken angewendet wurden - was ja meistens zusammenkommt.
Dr. Luc Noel ist Berater für Patientensicherheit bei der Initiative für Medizinprodukte mit menschlicher Herkunft bei der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf. Zuvor, war Noel bei der WHO für Klinische Prozeduren bei Gewebs-, Zell- und Organtransplantationen zuständig.