Widerfährt George Floyd Gerechtigkeit?
8. März 2021Acht Minuten und 46 Sekunden lang keilte der damalige Polizeibeamte Derek Chauvin am 25. Mai 2020 seine Knie in den Nacken von George Floyd, einem 46-jährigen unbewaffnetem Afroamerikaner. Sein Kollege Alexander Kueng fixierte die Oberschenkel, ein dritter die gefesselten Arme.
Floyd lag neben dem Polizeiauto auf dem Boden, mitten auf einer Straße in Minneapolis. Er war kurz zuvor beschuldigt worden, in einem Laden mit einem falschen Dollarschein bezahlt zu haben.
"Bitte, bitte, bitte, ich kann nicht atmen", keuchte Floyd und flehte etwa 20 Mal um sein Leben. Seine letzten Worte erinnerten an den Afroamerikaner Eric Garner, der 2014 bei einem Würgegriff der Polizei starb.
Auch als Floyd bereits bewusstlos war, ließen die Polizeibeamten nicht locker. Sie lösten ihren Griff erst, als der Krankenwagen kam - fast zwei Minuten nachdem Kueng laut Staatsanwälten berichtet hatte, dass er bei Floyd keinen Puls mehr spürte.
Floyd wurde später in einem örtlichen Krankenhaus für tot erklärt. Passanten hatten den Vorfall gefilmt, auch Überwachungskameras hielten den brutalen Einsatz fest.
Nominierung der Jury-Mitglieder
Als ersten Schritt wird das Gericht die Jury-Mitglieder nominieren. Das Gericht in Minneapolis begann am Montag mit Anträgen zum Ablauf des Verfahrens. Den eigentlich vorgesehenen Anfang der zeitaufwendigen Auswahl der zwölf Geschworenen und vier Ersatzkandidaten verschob Richter Peter Cahill zunächst auf Dienstag. Das Hauptverfahren soll weiter am 29. März beginnen. Cahill lehnte das Ansinnen von Staatsanwalt Matthew Frank ab, den Beginn des Prozesses zu verzögern, um eine Entscheidung einer höheren Instanz abzuwarten. "Wir versuchen nicht, diesen Fall zu verzögern, aber wir wollen den Prozess richtig machen", begründete Frank seinen Vorstoß.
Sommer der Proteste
Obwohl George Floyd nicht der erste Afroamerikaner war, der durch die Hand von US-Polizisten starb, gingen diesmal die Bilder um die Welt. Sein Tod löste, mehr als jeder andere zuvor, neue Massenproteste aus und verlieh der "Black Lives Matter"-Bewegung neuen Schub.
Diese hatte sich ursprünglich 2013 nach dem Freispruch des US-Polizisten George Zimmermann gegründet. Dieser hatte im Juni 2012 einen 17-jährigen unbewaffneten schwarzen Teenager erschossen, den er für verdächtig hielt.
Nach dem Tod Floyds gingen nicht nur in Minneapolis Tausende auf die Straße, sondern auf der ganzen Welt. Anfangs waren die Demonstrationen friedlich, später gab es zunehmend Berichte über Plünderungen, Vandalismus und sogar Schießereien.
Die US-Nationalgarde wurde mobilisiert, da Regierungsvertreter - einschließlich des ehemaligen Präsidenten Donald Trump - einige Demonstranten beschuldigten, sich am "inländischen Terrorismus" zu beteiligen.
Auf der ganzen Welt wurden Statuen, die rassistische Ungerechtigkeit symbolisieren, abgerissen. In Belgien verunstalteten Aktivisten Symbole des belgischen Königs Leopold II, der die Demokratische Republik Kongo kolonisierte. Unter seiner Herrschaft wurden Millionen von Kongolesen getötet.
In Großbritannien rissen Demonstranten eine Statue von Edward Colston herunter, einem Sklavenhändler des 17. Jahrhunderts. In Deutschland fanden einige der größten Proteste außerhalb der USA statt. Die Demonstranten forderten eine Abrechnung mit der eigenen kolonialen Vergangenheit und eine kritische Haltung zum Rassismus im Land.
Schockierendes Video
Die Gründe, warum ausgerechnet George Floyds Tod einen so großen öffentlichen Aufschrei auslöste, sind vielfältig, sagt David Elcott, Professor an der New York University, der sich auf soziale Bewegungen spezialisiert hat.
"An genügend Orten gab es genügend Umstände, die verdächtig erschienen", sagte er. Auf einmal sei eine kritische Masse erreicht worden, die sah, dass etwas grundlegend falsch liefe.
Elcott vergleicht diesen Effekt mit einem Phänomen aus der Chemie. "Man hat eine klare Flüssigkeit und gibt einen Tropfen dazu, dann zwei, dann drei Tropfen, und nichts passiert. Aber dann kommt der vierte Tropfen, und plötzlich ändert das Ganze seine Farbe."
Außerdem habe das Video, das von George Floyds Tod kursierte, zur Mobilisierung beigetragen, sagt Kenneth Nunn, Rechtsprofessor an der Universität von Florida, der sich unter anderem mit Polizeigewalt beschäftigt. "Es ist entsetzlich", sagt er. Man bekomme den Eindruck, Ex-Polizist Chauvin mache dies nicht zum ersten Mal.
Auf der anderen Seite zeige das Video, dass Floyd sich ruhig verhalte. Faktoren, die die Sympathie der Öffentlichkeit für die verhaftete Person schmälern würden, seien also nicht vorhanden, sagt er.
Endlich raus ins Freie?
Paradoxerweise könnte auch die Corona-Pandemie die weltweiten Proteste angeheizt haben - auch wenn die Demonstranten damit in vielen Städten gegen die Ausgangssperren verstießen. Gerade diese pandemiebedingten Einschränkungen hätten mit zu der breiten Unterstützung beigetragen, glauben die Wissenschaftler Nunn und Elcott.
Die Menschen hätten wenig anderes zu tun gehabt in diesem Sommer 2020, sagt Nunn, und waren begierig darauf, aus ihren Häusern herauszukommen. Laut Elcott sei es zudem historisch gesehen nicht ungewöhnlich, dass Menschen gerade in den Sommermonaten gegen rassistische Ungerechtigkeit demonstrierten.
Trotz Massenprotesten und Aufständen habe sich innerhalb der Strafverfolgungsbehörden jedoch nicht viel geändert, sagt Nunn. "Das Problem ist schon so lange bekannt. In den USA wird die Polizei ausgebildet, als wäre sie im Krieg", sagt er. " Es wird einige Zeit dauern, bis sich das ändert."
Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.