Mercosur: Herausforderung für den Green Deal
8. Juli 2020Es könnte die größte Freihandelszone der Welt werden. Seit über 20 Jahren ist es ein zähes Ringen zwischen Europäischen Union mit den Mercosur-Ländern: Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Es geht um Einfuhrquoten, Zölle und den Regenwald.
Mit dem Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft am 1.Juli will die Bundesregierung Verhandlungen für Freihandelsabkommen weiter forcieren. Man wolle "zügige Fortschritte bei der Finalisierung des Abkommens machen", heißt es vom deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie auf Anfrage der DW.
Einige Kritiker befürchten, dass dabei Nachhaltigkeit und Umweltschutz im Abkommen endgültig unter den Tisch fallen könnten.
Mehr Rindfleisch, mehr Soja, weniger Regenwald
Mit dem Vertrag will man auf beiden Seiten vor allem das Exportgeschäft stärken.Die EU rechnet damit, dass Unternehmen durch den Abbau von Zöllen auf Waren und Dienstleistungen pro Jahr vier Milliarden Euro sparen können. Profitieren würden vor allem die Auto- und Maschinenbauer, die Pharma-, Chemie-, Textil- und Milchindustrie. Die Europäer gehen davon aus, dass allein in Brasilien durch den gesteigerten Export 436.000 Arbeitsplätze geschaffen würden.
Die EU ist bereits heute der wichtigste Handelspartner der Mercosur-Länder. Sie wollen zukünftig vor allem mehr Rindfleisch, Zucker, Soja und Biosprit nach Europa verkaufen - landwirtschaftliche Produkte, die eng in Verbindung stehen mit zunehmenden Waldbränden, legalen und illegalen Rodungen, bedrohten Trockenwäldern und dem Schwinden der Artenvielfalt in der Region.
Umweltorganisationen schätzen, dass die Größe der Anbaufläche für in die EU exportiertes Soja in den Mercosur-Ländern etwa einem Drittel der Fläche Deutschlands entspricht. 87 Prozent davon soll gerodetes Gebiet sein.
"In den Gebieten, wo die großen Landwirtschaftsbetriebe und die Minen sind, gibt es am meisten Gewalt und die größte Ungleichheit", sagt Gracinha Donato vom brasilianischen Ableger der Bauernbewegung Via Campesina. "Dieses Abkommen ist nicht für die Menschen gemacht, sondern für große private Firmen".
Keine Bindung an Umwelt- und Menschenrechte
Einig waren sich die Parteien bereits bei Handelsfragen. Wie am Donnerstag bekannt wurde, haben sich die EU und die Mercosur-Länder auch auf den politischen Teil des Assoziierungsabkommens geeinigt.
Man "verstärkt damit die Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Mercosur in einem breiten Spektrum von Bereichen von beiderseitigem Interesse wie dem Schutz der Menschenrechte, der nachhaltigen Entwicklung und dem Klimawandel", heißt es in einer Pressemitteilung des Europäischen Auswärtigen Dienstes.
Kritiker sehen das anders. Bei Nachhaltigkeits- und Umweltstandards "gibt es noch viele Lücken", sagt Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses im Europäischen Parlament.
2018 verkaufte Deutschland Waren im Wert von über zwölf Milliarden Euro in die Mercosur-Länder. Mit dem Abkommen müssten auf 91 Prozent davon keine Zölle mehr gezahlt werden.
"Zahnlos", nennt Anna Cavazzini die bisherigen Einigungen in Sachen Nachhaltigkeit. Die handelspolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament kritisiert, dass die Bundesregierung das Abkommen trotz der aus ihrer Sicht fehlenden Standards zügig zur Unterschrift bringen will. "In vielen Bereichen klaffen der internationale Ruf Deutschlands als Klimavorreiter und die Wirklichkeit auseinander."
Die EU und auch die Mercosur-Länder haben ihre Absicht erklärt, faire Arbeitsbedingungen und eine nachhaltige und umweltfreundliche Produktion der Güter zu fördern. Verpflichtend und rechtsgültig ist diese Absichtserklärung nicht.
Cavazzini verweist auf eine Reihe von Umweltgesetzen, die Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro momentan "aus dem Boden stampft". Derzeit gebe es ein Gesetz, "das Land-Grabbing im Amazonas legalisieren würde. Das steht kurz vor der Abstimmung." Die Liste ähnlicher Vorhaben sei lang.
Man könne kein Abkommen abschließen, "wohl wissend, dass die Verpflichtungen nicht eingehalten werden", kritisiert Bernd Lange. Er plädiert für klare Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten für beide Seiten. Bisher hätte ein Land bei Verstößen gegen Umweltvereinbarungen im Freihandelsabkommen oder Verletzungen der Menschenrechte keine Konsequenzen zu befürchten - weder von Staaten noch von Zivilorganisationen.
Probe für den "Green Deal"
Für EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, langjährige Ministerin der Merkel-Regierung, könnte das Abkommen daher auch zu einer Probe für den europäischen "Green Deal" werden.
"Was mit diesem speziellen Handelsabkommen geschieht, wird uns einen Hinweis darauf geben, wie weit die EU bereit ist zu gehen, um den 'Green Deal' in einem Handelskontext tatsächlich umzusetzen", sagt Marianne Kettunen, Analystin am Institute for European Environmental Policy (IEEP).
Der Green Deal sieht Investitionen in Höhe von 100 Milliarden Euro und eine nachhaltige Entwicklung der EU vor - das schließt auch den Handel ein.
Freihandelsabkommen sollen nur noch mit Ländern abgeschlossen werden, die auch die Ziele des Pariser Klimaabkommens verfolgen. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hatte bereits damit gedroht, aus dem Klimaabkommen auszusteigen.
Setzt Brasilien die Rodungen für Ackerland und Viehweiden fort, würden die Emissionen des Landes enorm steigen und die eigenen Klimaziele deutlich verfehlt. Zum Thema Menschenrechte und Umwelt gebe es derzeit "null Bereitschaft, weitere Gespräche zu führen," so Bernd Lange.
Einige Experten erwarten allerdings kaum einen Anstieg der CO2-Emissionen durch das neue Handelsabkommen. Laut der Nachhaltigkeitsfolgeabschätzung sollen bis 2032 durch das Abkommen gerade einmal 0,03 Prozent mehr CO2-Emissionen ausgestoßen werden. Auch in den Mercosur-Ländern würde der Anstieg deutlich unter einem Prozent liegen.
Mathilde Dupré vom französischen Think Tank Veblen kritisiert die Studie, denn sie "berücksichtigt nicht alle Treibhausgase, nur CO2". Außerdem rechne das Modell nicht mit den realen Emissionen, die durch Veränderungen der Landnutzung entstehen.
Widerstand auch aus der EU
Trotz der deutschen Ambitionen für einen zügigen Abschluss muss das Abkommen noch vom EU-Parlament und von allen 27 Mitgliedsländern ratifiziert werden. Besonders Staaten, deren Landwirte sich durch die Agarimporte aus den Mercosur-Ländern bedroht fühlen, stellen sich gegen das Abkommen. Dazu gehören vor allem Irland und Frankreich, dessen Präsident Emmanuel Macron die Verhandlung ganz einstellen will. Österreich will ebenfalls gegen das Abkommen stimmen.
Gleichzeitig macht europaweit auch die Zivilgesellschaft mobil. Mehrere Organisationen haben beim EU-Ombudsmann inzwischen Klage eingereicht.
Nachhaltigkeit gerade durch freien Handel?
Freier Handel und Nachhaltigkeit sind für Fredrik Erixon vom Brüsseler Think Tank European Centre for International Political Economy (EICP) kein Widerspruch.
Nachhaltigkeit habe in den Freihandelsabkommen der EU "an Bedeutung gewonnen". Am Beispiel der Abkommen mit Japan, Südkorea und Kanada könne man sehen, dass sie ein Vehikel für "stärkeren Austausch und Kooperation" seien, so Erixon.
Zwar gebe es noch Probleme, aber "ohne ein Abkommen haben wir keine Möglichkeit, auf diese Dinge Einfluss zu nehmen", so der Referatsleiter für Lateinamerika bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Mark Heinzel.
Die Bundesregierung steht hinter dem Abkommen und ist "von den wirtschaftlichen, politischen und strategischen Vorteilen der Einigung - gerade auch in Bezug auf Nachhaltigkeit - weiter überzeugt", heißt es auf Anfrage der DW.
Anna Cavazzini ist sich sicher, die deutsche Regierung werde während der EU-Ratspräsidentschaft "all ihr Gewicht in die Waagschale werfen, (…) um zweifelnde Regierungen im Rat noch zu überzeugen."
Für einige Unternehmen und Länder ist das Freihandelsabkommen durchaus profitabel. Das Bruttoinlandsprodukt der gesamten EU würde durch das Abkommen bis 2032 aber gerade mal um geschätzte 0,1 Prozent steigen. In Brasilien könnten es bis zu 0,3 Prozent, in Argentinien um 0,7 Prozent sein.