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Strom kostet Geld - die Strombörse entscheidet, wie viel

Richard A. Fuchs11. Oktober 2011

Deutschland baut die erneuerbaren Energien aus und schaltet seine Atomkraftwerke bis 2022 ab. An der Leipziger Strombörse ist das zu spüren: die Unsicherheit nimmt zu, der Strompreis schwankt - mit gravierenden Folgen.

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Symbolbild Energie Grün Strom Stecker Netzstecker Stromspannung Umwelt ÖkostromBild: Fotolia/Schlierner

Der Ort, an dem Strom seinen Preis bekommt, liegt im 23. Stockwerk eines Hochhauses in der Innenstadt von Leipzig. In der Zentrale der Strombörse EEX, seit über zehn Jahren eine der größten Energiebörsen Europas, herrscht Hochbetrieb. Im Raum der Handelsüberwachung wird gerade der Strompreis für den nächsten Tag bestimmt. Dazu braucht es drei Mitarbeiter, zwölf Bildschirme und eine hochspezialisierte Börsen-Software. 270 Unternehmen aus 22 Ländern kaufen und verkaufen hier regelmäßig Energie. An diesem Tag treffen sich Angebot und Nachfrage für Strom bei 60,46 Euro pro Megawattstunde.

Die Börse bestimmt den Preis

Toralf Michaelsen kontrolliert das Auf und Ab der Preise, er leitet die Abteilung Handelsaufsicht und ist damit verantwortlich für den reibungslosen Ablauf der Stromauktion. Der Handel verläuft anonymisiert, das soll faire Wettbewerbsbedingungen garantieren, egal ob ein großer Energieversorger, ein kleines Stadtwerk, ein Industrieunternehmen, eine Bank oder eine Hedgefonds kauft oder verkauft.

Toralf Michaelsen, Leiter Marktaufsicht bei der EEX. Fotos: Sven Falge
Er sorgt für fairen Wettbewerb: Toralf Michaelsen, Leiter Marktaufsicht bei der EEXBild: DW

"Wir als Börse sind nicht dafür verantwortlich, wie hoch oder wie niedrig ein Preis ist, wir machen die Entwicklung sichtbar", erklärt Michaelsen. Zwar werde nicht einmal ein Drittel der in Deutschland gehandelten Strommenge auch tatsächlich über die Strombörse verkauft, fügt EEX-Kollege Daniel Wragge hinzu. Trotzdem sei der Börsenpreis für den Strommarkt das Maß aller Dinge, auch für jene, die ihre Stromgeschäfte lieber außerhalb der Börse direkt abwickelten. "Das der ist Referenzpreis, ganz einfach deswegen, weil er transparent ist, weil jeder sich daran orientieren kann."

Und Transparenz ist den Börsen-Aufsehern Daniel Wragge und Toralf Michaelsen in diesen Tagen besonders wichtig. Denn nur so, glauben sie, könne man der zunehmenden Nervosität am Strommarkt begegnen. Ausgelöst wurde die nicht zuletzt durch die Energiewende der deutschen Bundesregierung. So reagierte die Strombörse prompt, als die deutsche Regierung – als Antwort auf die Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima – im März 2011 acht Atomkraftwerke vom Stromnetz nahm.

Die Ungewissheit der Händler schlug sich vor allem am Terminmarkt nieder. Feste Stromengen zu festen Preisen und festen Lieferterminen wechseln hier die Besitzer – mehrere Monate oder gar Jahre bevor tatsächlich Strom fließt. Was die Händler von der Zukunft erwarten, das zeigt sich hier. Nach dem Atommoratorium schoss der Strompreis für das kommende Jahr um sieben Prozent nach oben, zuletzt stieg der Preis an der Strombörse nur noch moderat. Ursache dafür ist, dass der Strompreis sich jeweils am teuersten Kraftwerk orientiert, dass die Energieversorger zuschalten. Atomstrom war bis dahin aber Strom aus dem unteren Preissegment – das Angebot von günstigem Strom wurde also kleiner.

Ein Blick in die Schaltzentrale der Leipziger Strombörse (Foto: Sven Falge)
Drei Mitarbeiter, zwölf Bildschirme, ein Preis: ein Blick in die Schaltzentrale der Leipziger StrombörseBild: DW


Private Stromkunden bezahlen die Energiewende


20 Prozent des an der Börse gehandelten Stromes werden allerdings nicht langfristig, sondern sehr kurzfristig zur Abdeckung von Spitzenlasten und Notfällen gehandelt. Diesen Spotmarkt prägte zuletzt vor allem der dynamische Ausbau der erneuerbaren Energien. "Die erneuerbaren Energien bringen ein zusätzliches Angebot in den Markt, was am Spotmarkt zu einem sinkenden Börsenpreis führt", sagt Thorsten Lenck von der Beratungsfirma Energy Brainpool in Berlin. Das klingt gut, führt aber auch zu Problemen. Denn der Ausbau der erneuerbaren verläuft rasant: Derzeit decken sie in etwa 20 Prozent der Stromproduktion in Deutschland. Schon 2050 sollen es aber bis zu 50 Prozent und mehr sein. Das Problem: diese Energiewende wird weitgehend vom privaten Stromkunden finanziert.

Im Gegensatz zur Börse zahlt der Endverbraucher nämlich seinem Energieversorger neben dem Grundstrompreis noch staatlich regulierte Steuern, Abgaben und Stromnetz-Nutzungsgebühren. Darunter ist auch eine Energiewende-Abgabe, die sogenannte Erneuerbare-Energien-Gesetz-Umlage. Dadurch liegt der Strompreis inzwischen für einen privaten Stromkunden um gut zwei Drittel über den reinen Entstehungskosten des Stroms.

Thorsten Lenck, Berater für Strommärkte bei Energy Brainpool in Berlin (Foto: Sven Falge)
Er simuliert mit Computer-Modellen den Strompreis 2020: Thorsten Lenck, Berater für Strom- und EnergiemärkteBild: DW

Für Strommarkt-Analyst Thorsten Lenck öffnet sich da eine fatale Kluft: "Während am Großhandelsmarkt für Strom die Preise sinken, steigen die Strompreise für den Endabnehmer." Die Energiewende- oder EEG-Umlage erhöhte 2011 den Strompreis um rund 3,5 Euro Cent pro Kilowattstunde. Offen ist noch, ob sie nächstes Jahr weiter steigt. Kritiker des Systems sagen Ja, Ökostromfreunde bezweifeln das. Das Ergebnis: Derzeit zahlt ein Stromkunde in der deutschen Hauptstadt Berlin etwas über 25 Euro Cent pro Kilowattstunde für Strom. Ein Privatkunde in Paris oder Athen dagegen zahlt in etwa den halben Strompreis.

Erneuerbare Energien verändern den Strommarkt

Der Zuwachs beim Ökostrom verändert aber auch die Funktionsweise des Strommarktes dramatisch. Denn wenn immer mehr günstiger Ökostrom vorrangig ins Stromnetz eingespeist wird, stehen konventionelle Kraftwerke in der Folge häufiger still, sagt Strommarktanalyst Thorsten Lenck voraus. Das ist besonders für teure Gaskraftwerke der Fall, deren Neubau sich für Investoren in Zukunft immer weniger lohnen könnte, weil der Gewinn aus den Stromeinnahmen allein keine Anreize mehr bietet.

Für die Energiewende heißt das nichts Gutes, denn gerade neue Gaskraftwerke gelten als unverzichtbare - weil flexible - Ergänzung zum schwankenden Ökostrom-Angebot. Experten haben dieses Phänomen "Missing Money"-Problem getauft.

Robert Brandt (links) und Ronald Heinemann vom Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) (Foto: Sven Falge)
Wer das Stromnetz stabilisiert, soll mehr Geld bekommen: Robert Brandt (l.) und Ronald Heinemann vom BEEBild: DW

Für die Befürworter erneuerbarer Energien liegt die Lösung darin, die Preistabelle der Strombörse umzukrempeln: Jene Kraftwerke, die wie teure Gaskraftwerke in Zukunft nur noch wenig zum Einsatz kommen könnten, aber eben zur Stabilisierung des Stromnetz dringend notwendig sind, sollten höhere Strompreise verlangen können, sagt Ronald Heinemann vom Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE). Kritiker sprechen allerdings von einer Art Stillstandsprämie und bezeichnen einen solchen Eingriff in die Preisfindung an der Börse als den Anfang vom Ende einer funktionierenden Strombörse.

Wo die Reise mit dem Strommarkt in Deutschland hingehen könnte, das versucht Strommarkt-Analyst Thorsten Lenck jetzt durch ausgefeilte Computermodelle zu simulieren. Bislang ist vor allem eines sicher: die Unsicherheit. "Wir werden 2020 und danach deutlich stärkere Preisschwankungen am Markt sehen, wie gesagt, solange es keine neuen Technologien wie beispielsweise große Stromspeicher gibt." Strombörsen-Manager Toralf Michaelsen in Leipzig macht diese Unsicherheit bislang keine Sorgen, im Gegenteil. Denn ob der Preis steigt oder nicht, sein Job ist der gleiche. Wenn viel gehandelt wird, ist die Strombörse spannender. Und die Börsengebühren sprudeln auch.