Harter Kampf um die Spitze
7. April 2014Die Fabrik der Zukunft kann man auf der Hannover Messe schon ziemlich lange sehen. Sie ist schon seit vielen Jahren ein Thema, immer dann, wenn sich die Industrie zu ihrer führenden Branchenmesse alljährlich im Frühjahr in Hannover trifft. Das ist auch dieses Mal nicht anders. Nur scheint jetzt alles ein wenig konkreter, anfassbarer zu werden. Alle sprechen von "Industrie 4.0" - das ist ein Standard, den die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer vor zwei Jahren kreiert haben - und der möglichst weltweit Benchmark werden soll.
Keine Angst vor Amerika
"Das Neue ist, dass wir beginnen, aus der Sicht des Kunden zu denken. Wir müssen Industrie 4.0 nutzen, um unsere Anlagen für den Kunden interessanter zu machen", sagt Reinhold Festge, Chef des Branchenverbandes VDMA. Die großen Softwarehäuser seien alle in Amerika - das sei eine gewisse Gefahr. "Aber ich persönlich habe keine Angst, denn wir vom Maschinenbau legen Wert darauf, dass wir die Führung behalten", so Festge zur DW. Die Software-Entwickler sollten "uns zu Diensten sein und uns helfen, unsere Vorstellungen zu realisieren."
Europas IT-Branche gefordert
Neue Impulse sind nötig, denn zuletzt liefen die Geschäfte von Deutschlands Vorzeigebranche nicht mehr ganz so rund. Jetzt soll die Vernetzung von Produktion und IT-Welt eben diese Impulse bringen. Das aber geschieht nicht von allein, und so muss man wohl die mahnenden Worte von Ulrich Grillo, dem Chef des Industrieverbandes BDI, zur Eröffnung der Messe verstehen - nämlich dass Deutschland den Anschluss verlieren könnte. "Wir sind auf dem globalen IKT-Markt, also bei Informations- und Kommunikationstechnologien, als Europäer sicherlich hinten dran und die Amerikaner sind führend." Aber man brauche diese Technologien, um die Industrie, die Automatisierungstechnik und die Steuerungstechnik nach vorne zu bringen. "Da sind wir sicher sehr gut, man kann durchaus sagen Weltmarktführer", so Grillo gegenüber DW. "Aber wir müssen gemeinsam arbeiten, das ist ein gemeinsames Thema."
Vorsprung nicht aufs Spiel setzen
Das ist für die stark mittelständisch geprägten deutschen Maschinen- und Anlagenbauer eine große Herausforderung. Einer dieser Mittelständler, der mit seinen Produkten Weltmarktführer ist, ist die Firma Weidmüller aus Nordrhein-Westfalen. Deren Kabel- und Steckverbindungen sorgen weltweit dafür, dass Maschinen miteinander kommunizieren können. Vorstandschef Peter Köhler meint, den 'Anschluss verlieren' sei der falsche Begriff. "Eher setzen wir unseren Vorsprung aufs Spiel, der jetzt ein bis zwei Jahre beträgt." Auch er ruft zur Zusammenarbeit auf, um den Vorsprung zu verteidigen. "Durch weiteres, intensives Forschen, durch Kooperation mit Universitäten und Instituten, mit Verbänden, um beim Thema Industrie 4.0 Weltmarktführer zu bleiben."
Immer achtsam bleiben
Das sieht Hans Beckhoff ähnlich. Er ist Geschäftsführer des gleichnamigen Unternehmens aus dem ostwestfälischen Verl. Auch die Produkte von Beckhoff sind weltweit gefragt und helfen mit, Produktionsprozesse effizienter zu machen. Dauernd würde jede der existierenden Branchen in Frage gestellt, insbesondere jetzt durch die Internet-Technologien. "Kauft man sich in Zukunft ein Auto, weil es, sagen wir, BMW heißt oder weil es Google-Eigenschaften hat?", fragt er. Dasselbe gelte natürlich auch für den Maschinenbau. Aber er gibt auch Entwarnung: "Wir verlieren nicht den Anschluss, aber man muss bei allen neuen Technologien aufpassen, dass man sie rechtzeitig integriert."
Doch erst bei Industrie 3.8?
Und weil man ein flexibles, nicht zu großes Unternehmen sei, ist Beckhoff überzeugt davon, die richtigen Antworten auf die Herausforderungen von "Industrie 4.0" zu haben. Denn was sich einfach anhört wie etwa mitdenkende Lagersysteme, intelligente Produkte, die mit der Maschine kommunizieren können, das sind in Wirklichkeit hochkomplexe Systeme, deren Entwicklung nur im Zusammenspiel zahlreicher Partner bewerkstelligt werden kann. Daher sind die mahnenden Worte sowohl von Industrie-Verbandschef Grillo wie auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den Unternehmen durchaus angekommen. Auch Werner Struth, Geschäftsführer bei der Bosch-Gruppe und dort zuständig für Industrietechnik, sieht Deutschland in einer führenden Position, sagt aber: "Die Mahnung ist durchaus angebracht, denn wir dürfen in unserer Wachsamkeit und Agilität nicht nachlassen, sondern müssen ständig dafür sorgen, dass wir an der Spitze bleiben."
Die Konkurrenten werden das mit Interesse vernehmen. Kampflos werden sie den Deutschen nicht das Feld überlassen. Auf dem Weg zur wirklich funktionierenden Fabrik der Zukunft ist noch eine Menge zu tun. Wie formulierte es am Montag ein Spitzen-Manager gegenüber der Bundeskanzlerin, als diese am Stand des Technologie-Konzerns Siemens Station machte: Statt Industrie 4.0 sei man derzeit erst bei 3.8.
Es ist also noch nicht entschieden, wer bei der vierten industriellen Revolution am Ende wirklich den Ton angeben wird.