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"Unserdeutsch": Deutsch in der Südsee

Marc von Lüpke-Schwarz12. August 2013

Deutsche Dialekte gibt es wie Sand am Meer. Was aber kaum einer weiß: Um 1900 erfanden Schulkinder eine ganz neue deutsche Sprache. Mitten in der fernen Südsee, auf Papua-Neuguinea.

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Ein Zusammenprall der Kulturen: Deutsche Kolonialbeamte und ein Einheimische. Richter H.Schnee mit Haeuptling Tovering in Deutsch-Neuguinea, 1899 (Foto: picture-alliance)
Ein Zusammenprall der Kulturen: Deutsche Kolonialbeamte und ein EinheimischeBild: picture-alliance/akg-images

Die Ordensschwestern trauten im Jahr 1900 ihren Ohren kaum. Ihre kleinen Schützlinge sprachen plötzlich eine Art Kauderwelsch, dabei sollten die Schwestern ihnen doch im Unterricht fehlerfreies Deutsch beibringen. "Du geht wo?" oder "Wie Du heissen?" fragten die Kinder einander. Korrigieren war vergeblich: Die kleinen Kinder behielten beharrlich ihre eigene Version des Deutschen bei, die bald den Namen Unserdeutsch erhielt. In Deutschland selbst wird man Unserdeutsch allerdings wohl niemals zu hören bekommen. Erfunden wurde es unter tropischen Palmen in der fernen Kolonie Deutsch-Neuguinea.

"Ein Platz an der Sonne"

Das Deutsche Reich forderte Ende des 19. Jahrhunderts energisch seinen "Platz an der Sonne", wie es der damalige Außenminister Bernhard von Bülow in einer Rede 1897 ausdrückte. Damit meinte von Bülow nichts anderes als den deutschen Anspruch auf Kolonien. Ein Großteil der Erdkugel war allerdings schon unter den übrigen Kolonialmächten wie Großbritannien und Frankreich verteilt. So mussten die Deutschen mit übrig gebliebenen, eher unscheinbareren Weltregionen vorlieb nehmen, darunter die Gebiete der deutschen Handelsgesellschaft Neuguinea-Kompagnie, seit 1899 Kolonie des Deutschen Reiches.

Unter tropischer Sonne fanden sich nun Landschaftsnamen wie Neu-Mecklenburg, Neu-Hannover oder Neu-Pommern, der höchste Berg der Insel hieß Wilhelmsberg. In einer Siedlung mit dem Namen Herbertshöhe in Neu-Pommern befand sich die Residenz des Gouverneurs. Dort, am Rande der Stadt, befand sich die Herz-Jesu-Mission Vunapope, in der um 1900 einige gewitzte Kinder das Unserdeutsch erfanden.

Indigene in Papua-Neuguinea, 1937 (Photo: Getty Images)
Indigene in Papua-Neuguinea, 1937Bild: Brown/Fox Photos/Getty Images

"Gute" Deutsche

Die erwähnten Kinder, die Unserdeutsch zu sprechen begannen, befanden sich nicht zum Spaß in der Mission. Ihre Eltern gehörten unterschiedlichen Völkern und Kulturkreisen an: Die Väter waren oft deutsche Seeleute oder Kolonialbeamte, die Mütter stammten aus den einheimischen Stämmen. Die Kinder aus diesen meist flüchtigen Beziehungen wurden in der Regel als Ausgestoßene betrachtet, sie fanden Zuflucht in der Mission. Hier sollten sie zu "guten" Christen und Deutschen erzogen werden.

Die vielen neu gelernten deutschen Wörter vermischten die Kinder allerdings schnell mit der weitverbreiteten Sprache Tok Pisin, die wiederum selbst eine Mischung aus den Landessprachen und Englisch war. Gemäß deren Grammatik wurde nun aus dem deutschen "Ich" ein englisches "I", dieses aber wiederum deutsch ausgesprochen. Aus den bestimmten Artikel "der", "die" und "das" machten die Kinder "der" und "de".

Aus "Rumpelstielzchen" wird "Rumpelstiltskin"

Ein Satz aus dem bekannten Märchen vom Rumpelstilzchen - auf Unserdeutsch "Rumpelstiltskin" - lautete in dieser sprachlichen Neuschöpfung: "Der kleine Mensch schreien ganz, und war ganz zornig und stampfen mit sein Fuss auf der Boden." Womöglich erdachten die Kinder die neue Sprache, um ihre Geheimnisse vor den strengen Ordensschwestern zu bewahren. Auch als die Kinder schließlich erwachsen wurden und untereinander heirateten, blieb Unserdeutsch ihre gemeinsame Verständigungsgrundlage, die sie wiederum an ihre eigenen Kinder weitergaben.

Alte Traditionen leben auch heute noch auf Papua-Neuguinea fort: Indigene Tänzer 2013 (Foto: Getty Images)
Alte Traditionen leben auch heute noch auf Papua-Neuguinea fortBild: Getty Images

Das Phänomen als solches ist nicht unbekannt: Sprachforscher nennen sprachliche Mischformen, die auf Grundlage der Sprache einer Kolonialmacht entstand, Kreolsprachen. Diese entstanden vor allem in Südamerika auf Grundlage des Englischen, Spanischen, und Französischen. Das Unserdeutsch bildet hingegen die weltweit einzige, auf dem Deutschen basierende Kreolsprache. Für etwa 2000 Menschen war es die Muttersprache.

Eine aussterbende Sprache

Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges besetzten die Australier Deutsch-Neuguinea. Doch Unserdeutsch wurde weiter gesprochen, wenn auch die deutschen Schulbücher nun durch englische ersetzt wurden. Der Anfang vom Ende der deutschen Südseesprache begann in den 1970ern, als viele Unserdeutsch-Sprecher das Land auf der Suche nach Arbeit verließen. Heute gibt nur noch einige wenige Unserdeutsch-Sprecher, der jüngste ist fast 70 Jahre alt.

Die Tonbänder der Sprachforscher mit den Aufzeichnungen der Unserdeutsch-Muttersprachler werden schon bald die letzten Belege des Erfindungsreichtums der Missions-Kinder in Deutsch-Neuguinea sein - und eines kaum bekannten Kapitels deutscher Kolonialgeschichte.