Wie die EU ihre schwächsten Regionen fördert
8. Mai 2019Lesen Sie diesen Artikel auf Englisch.
Wenn auf der Bücherei um die Ecke eine europäische Flagge prangt, dann wird sie von der Europäischen Union gefördert. Vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), genauer gesagt. Ein Topf, der mit seinen 200 Milliarden Euro allein ein Fünftel des Geldes ausmacht, das der EU 2014-2020 zur Verfügung steht.
Das Ziel: Wirtschaftliche Ungleichheit zwischen den europäischen Regionen verringern. Um das zu erreichen, fördert der Fonds eine weite Bandbreite an Projekten: 50 Millionen für Breitbandverbindungen für die ländlichen Regionen Griechenlands, gut 60 Millionen für die Herstellung von Flugzeugbauteilen in Alentejo in Portugal oder für eine neue Tramverbindung in der lettischen Hauptstadt Riga. Viele dieser Projekte sind spürbare Produkte europäischer Politik.
Einen "Ausdruck von Solidarität zwischen Europäern" nennt die Europäische Kommission den Fonds in ihrem aktuellen Haushaltsentwurf. Das scheint aufzugehen: Viele Länder Ost- und Südeuropas bekommen deutlich mehr, als sie einzahlen, während wirtschaftlich stärkere Länder draufzahlen. So zum Beispiel Deutschland: Hier stehen in den Jahren 2014 bis 2020 fast 11 Milliarden Euro insgesamt aus dem EFRE zu, die es vor allem für Forschungsprojekte oder Unternehmensförderungen ausgibt. In der gleichen Zeit zahlt das Land aber geschätzte 30 Milliarden über seine Beiträge in das EU-Budget ein.
Seit 2014 dürfen die Mitgliedsländer ihre Fördergelder an Projekte verteilen, die zu den Zielen des Entwicklungsfonds passen. Dabei müssen die Länder selbst auch etwas beisteuern. Die europäischen Gelder dürfen eine nationale Finanzierung nicht ersetzen, nur ergänzen. Die EU übernimmt daher im Schnitt etwa die Hälfte der Projektkosten.
Einige Länder, wie zum Beispiel Ungarn oder Portugal, haben schon den Großteil ihrer Fördergelder Projekten zugesichert. Im Schnitt ist in jedem Land etwa ein Viertel noch nicht verteilt. In der letzten Förderphase 2007 bis 2013 sah es ähnlich aus.
Bis 2023 müssen alle Gelder, die momentan eingeplant sind, nicht nur zugeteilt, sondern auch tatsächlich ausgezahlt sein, sonst verfallen die Ansprüche auf die restlichen Fonds. Von EU-Seite ist man allerdings zuversichtlich, dass der Zeitplan aufgeht, wie eine Pressesprecherin der EU der DW sagte.
Polen erhält die meisten Fördergelder
Polen hat immerhin schon 82 Prozent seiner eingeplanten 40 Milliarden Euro verteilt. Von allen EU-Mitgliedstaaten erhält das Land bei weitem die meisten Fördergelder. Das liegt vor allem daran, dass die meisten Regionen des Landes als "weniger entwickelt" eingestuft werden, will heißen: Ihr Bruttoinlandsprodukt liegt bei weniger als 75 Prozent des EU-Durchschnitts. Solche Gebiete werden im Entwicklungsfonds besonders gefördert. Sie erhalten fast 70 Prozent der Gelder.
Davon profitieren zum Beispiel die osteuropäischen Staaten, die viele solcher Regionen haben. Polen ist davon sowohl der größte als auch der bevölkerungsreichste, weshalb es insgesamt die meisten Gelder erhält. Die EU-Entwicklungsgelder fließen also tatsächlich in die Regionen, für die sie vorgesehen sind.
Eigentlich jedoch stehen bei dem Fonds nicht ganze Länder, sondern einzelne Regionen im Vordergrund. In Sizilien etwa, Teil des wirtschaftlich schwächeren italienischen Südens, sind alleine über 3 Milliarden Euro eingeplant. Ebenso für Andalusien im Süden Spaniens, das mit weniger als 90 Prozent des mittleren EU-Bruttoinlandsproduktes als "Übergangsregion" zählt.
Unter den weiter entwickelten Regionen liegt Mazowiecki mit um die 1,5 Milliarden Euro vorne, die wirtschaftlich stärkste Region Polens.
Die Gelder des Entwicklungsfonds sollen Innovationsprojekte fördern, kleine und mittelständische Unternehmen stützen und eine kohlenstoffarme Wirtschaft vorantreiben. Gerade letzteres betont die EU gerne besonders. Die Themenschwerpunkte, die sich mit dem Klimawandel beschäftigen, machen zusammen dementsprechend auch gut ein Viertel der Gelder aus, um die 55 Milliarden Euro insgesamt.
Sie fließen in Projekte wie die geplante Metro in Thessaloniki (407 Millionen Euro aus dem EFRE 2014-2020), die den Autoverkehr in der Stadt verringern soll, in Projekte zur besseren Wasserversorgung in Rumänien, Kroatien oder Bulgarien oder in die Säuberung der Vulkanseen in den Phlegräischen Feldern nahe Neapel (39 Millionen Euro aus dem EFRE).
Auch Polen, das sonst kaum für nachhaltige Umweltpolitik bekannt ist, investiert 5,7 Milliarden Euro in Projekte zur CO2-Reduktion. Damit liegt das Land nur knapp unter dem Durchschnitt.
Die einzelnen Projekte werden oft wissenschaftlich begleitet, um ihre Erfolge zu dokumentieren. Aber zu den handfesten, makroökonomischen Zielen, die sich die EU mit ihren Fördergeldern setzt, gibt es nur wenige Evaluationen.
Wenn die Gelder weniger entwickelte Regionen der EU wirtschaftlich anheben sollen, müssten sie deren BIP verbessern oder vor Ort Arbeitsplätze kreieren. Ob und in welchem Umfang sie das tun, ist jedoch nicht immer klar. Polen zum Beispiel hat in der Zeit seit seinem EU-Beitritt 2004 einen massiven Wirtschaftsaufschwung erlebt. Zwar werden die Fördergelder auch ihren Teil zur Stabilisierung des Landes beigetragen haben.
"Aber", sagt Anna Czepiel, Europawissenschaftlerin vom polnischen Civil Development Forum, "meiner Meinung nach ist das Wachstum eher deshalb stabil, weil Polen Teil des freien Handels in der EU geworden ist. Im Jahr 2009 machten Exporte 40 Prozent des polnischen Bruttoinlandsproduktes aus. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Handel Polens mit der EU und Drittstaaten nach dem EU-Beitritt einen plötzlichen Sprung gemacht hat."
Langfristige Auswirkung von EFRE-Geldern wenig untersucht
In einem Bericht von Ende 2017 kommt die EU zu dem Schluss, das Bruttoinlandsprodukt Polens werde dank der EFRE-Gelder im Jahre 2023 um 3,4 Prozentpunkte höher liegen als ohne die Investitionen. Das wäre ein extremer Anstieg: In der Phase von 2005-2011 machte die gesamte EU-Förderung in Polen laut dem Ministerium für Regionale Entwicklung in Polen etwa einen halben Prozentpunkt pro Jahr aus.
Laut Czepiel gibt es solche Analysen viel zu selten, um eine sinnvolle Einschätzung zuzulassen. Selbst die Berichte, die es gibt, fokussieren sich oft auf die reinen Geldmengen, die auch dieser Artikel darstellt: Wer wie viel Förderung bekommt, in welche Themen investiert wird. Der erwähnte Bericht von 2017 etwa umfasst knapp 250 Seiten. Der Teil, der die makroökonomischen Effekte der Gelder untersucht, ist zwei Seiten lang. "Die EU selbst verbreitet so die Logik, dass es wichtiger ist, das meiste Geld zu bekommen, als es vernünftig zu investieren", so Czepiel.
Vernünftig investieren heißt laut Czepiel: Infrastruktur fördern
Ein Viertel von Polens EFRE-Gelder fließen in Infrastruktur- und Transportprojekte: In Kommunen, die ihre Bahnhöfe renovieren, in Schienen, Straßen oder öffentlichen Nahverkehr. "Das ist das Gebiet, in dem ein durchschnittlicher polnischer Bürger die Effekte der EU-Förderung am ehesten spürt", sagt Anna Czepiel. Die Infrastruktur im wirtschaftlich schwächeren Osten des Landes zu fördern, reduziere regionale Ungleichheiten effektiv. "Gut investiert sind die Gelder, deren Auswirkungen für alle Interessierten zugänglich sind."
Solche Mengen an Geld zu verwalten – zumal Geld, das sich aus den Steuern der europäischen Bürger speist – bringt einiges an Arbeit mit sich. Gerade der EU wird oft vorgeworfen, exzessive Verwaltungskosten zu produzieren, sowohl auf EU-Seite als auch bei den Empfängern der Fördergelder.
Verwaltungskosten sind beim EFRE eher niedrig
Eine neue Studie hat im Auftrag der Europäischen Kommission untersucht, welcher Anteil der verschiedenen EU-Strukturfonds tatsächlich in Verwaltungskosten fließt. Das Ergebnis: 22.600 Euro muss die EU im Schnitt aufwenden, um eine Millionen Euro aus dem EFRE zu verwalten. Das entspricht etwa 2 Prozent der Gesamtkosten, was nicht sonderlich hoch ist.
Andere Institutionen, die ähnliche Geldmengen verwalten und in ähnlichen Themenbereichen agieren, haben einem Vergleich von 2010 zufolge ganz ähnliche Verwaltungsausgaben. So zum Beispiel die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Die 25 größten gemeinnützigen Stiftungen der USA lagen demnach sogar bei durchschnittlich 9 Prozent.
In ihrem Haushaltsentwurf für die Zeit nach 2021 plant die EU-Kommission 226 Milliarden Euro für den ERDF ein – gut 10 Prozent mehr als in dieser Förderphase also. Bevor dieser Entwurf bestätigt werden kann, müssen sich EU-Kommission, der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament über den Entwurf einig werden. In welche Themengebiete die Gelder ab 2021 investiert werden, hängt also auch von dem EU-Parlament ab, das die EU-Bürger im Mai 2019 wählen werden.