Wie die Männermode auf "Fake News" und #MeToo reagiert
19. Januar 2018Es war keine Überraschung, dass Terry Richardson im Oktober vorgeworfen wurde, Models sexuell belästigt zu haben. Immerhin wurde der Amerikanische Fotograf mit Bildern berühmt, die sich zwischen Modeaufnahmen und Softpornografie bewegen. Und nicht zu vergessen: Anschuldigungen dieser Art gab es gegen ihn schon im Jahr 2001.
Der Fall von Mario Testino und Bruce Weber aber war von einem ganz anderen Kaliber: Die beiden Starfotografen galten als Lieblinge der Modebranche, Schwergewichte, die mit ihren Fotografien Modelkarrieren formten. Vergangene Woche sahen auch sie sich mit Vorwürfen sexueller Belästigung konfrontiert. Beide waren schon lange feste Größen in den internationalen Ausgaben der Vogue. Doch nun wandte sich das Fashion-Magazin von Testino und Weber ab.
"Zeit für einen Wandel"
Es scheint, als hätten die Fashion Weeks der Männer in dieser Saison sowohl in London als auch in Mailand und Paris den Lauf der Geschehnisse antizipiert. Feminismus, soziale Ungleichheit und Fake-News bewegten die Designer dazu, öffentlich Stellung zu beziehen. "Time for Change" - "Zeit für einen Wandel" - lautete das Credo in Mailand. Daran knüpft auch Paris an, wo die Wintersaison der Männermodewochen diesen Sonntag zu Ende geht.
Es wäre verfehlt, die Laufstegshows als Attraktion für wenige Auserwählte zu betrachten. Denn die Trends, die auf den verschiedenen Europäischen Fashion Weeks gezeigt werden, beeinflussen, welche Klamotten später in den Läden gekauft werden.
Das stärkere Geschlecht
Wird es also das Jahr der Frauen, auch in der Mode, wie so oft vorhergesagt? Schaut man auf die neuesten Designerkollektionen, deutet jedenfalls vieles darauf hin.
In Paris eröffnete die Men's Fashion Week am Mittwoch mit zwei Kollektionen, die in den Augen mancher Beobachter ein klares Zeichen gegen sexuellen Missbrauch setzen. Der französische Designer Julien David präsentiert seine männlichen Models als machohafte Hunde, der Belgier Walter van Beirendonck gar als Schweine. Beide Designer kommen aus der Schwulenszene, ihre Kollektionen sind bekannt dafür, von Fetischen und Sadomasochismus inspiriert zu sein.
In London und Mailand beherrschten Frauen die Laufstege der Männer so sehr, dass die neueste Moschino-Kollektion nur am Rande männliche Züge erkennen ließ. Jeremy Scott, der die Modemarke seit 2013 führt, gelang mit seiner Show der fließenden Geschlechter die Rückkehr zur Höchstform. In Anlehnung an Franco Moschino's exzentrischen Stil sorgten Dominas in Riemchenunterwäsche, mit Ledermasken, Latexoutfits oder Teufelshörnern dafür, dass die männlichen Gegenparts in zerschlissenen Oberteilen und weiten Jacken wie bloße Accessoires der Lust daherkamen.
Und Moschino ist nicht das einzige Beispiel. Ähnlich sieht es bei Versace aus: Von schottischem Tartan und Hip-Hop inspiriert, breiten sich weibliche Looks in der Männerkollektion aus. Und bei Daks, eine Marke, die normalerweise kaum Einfluss hat in der Modewelt, strahlen Frauen in sehr ladyliken Kostümen vor Selbstbewusstsein, während männliche Models langweilige, wenn auch farbenreiche Schuljungen-Uniformen tragen.
Jungs bleiben Jungs
Da stellt sich die Frage: Hat die Modebranche angesichts der anhaltenden Kontroversen etwa Angst vor Männern? Abgesehen von einigen wenigen Marken, die sich auf feine Herrenmode mit schicken Details hier und da fokussieren, vermitteln doch die meisten Designer den Eindruck, dass sie sich mit der Idee der nie erwachsen werdenden Jungs angefreundet haben.
Natürlich ist das kein neues Phänomen. Das einstige maskuline Ideal wurde schon zur Jahrtausendwende durch weitaus jüngere und schlankere Models ersetzt. In dieser Saison allerdings wurde das "Garcon-Image" weiter verstärkt – durch übergroße Mäntel, oder durch T-Shirts, Sweatshirts und Hosen mit Cartoon Aufnähern, Drucken oder Kritzeleien.
Marni's Francesco Risso hat diesen jugendlichen Geschmack samt Kindheitsnostalgie seit Jahren bedient, diese Saison war also keine Ausnahme. Sogar die älteren Models waren mit Dinosaurier-Aufnähern bestückt. Und auch Bobby Abley, einer der aufstrebenden Stars der Londoner Modeszene, präsentierte Jacken und Sweatshirts mit Bugs Bunny, Tweety und anderen Looney Tunes Charakteren. Die Rückmeldung des Publikums auf beide Shows war positiv.
Widerstand kommt auf
Für die meisten Designer ist Eskapismus allerdings nicht die Antwort auf die Zeichen der Zeit.
"Protestmode" - stark inspiriert von Sport- und Straßenoutfits - ist zum völligen Mainstream-Trend geworden. Neopren Sneaker, leichte Hosen, Daunenjacken und -westen, funktionale T-Shirts und Sweatshirts bringen das "Ready-to-wear"-Gefühl auf ein neues Level.
In Florenz kombinierte die japanische Marke The Soloist das Ganze sogar mit Masken und Kapuzen, die das gesamte Gesicht bedecken. Eine aufstrebende Marke aus London, A-Cold-Wall, hat seine Models mit Backpacks und Gürteltaschen ausgestattet. Und der britische Designer Christopher Raeburn macht Mode aus Seefahrtsdecken. Auch Gummistiefel liegen in dieser Saison voll im Trend. Deformierte, unfertige, kaputte Teile verkörpern die Idee des Aufbegehrens, auf die Barrikaden gehen.
Wörter des Protests
Zum Glück bietet Mode für viele Designer immer noch die Möglichkeit zu reflektieren und eine Botschaft zu transportieren. Einmal mehr geht so die Bedeutung von Schriftzügen über die Logos hinaus.
Das Wort "Change" – "Wandel" wurde zum Wort der Saison, zu lesen auf Hüftbändern, Accessoires, T-Shirts und Sweatshirts der italienischen Marke N°21, gegründet von Alessandro dell'Acqua. Jun Takahashi von Undercover gebraucht Slogans wie "Human Error", und Bobby Abbley nimmt Bezug auf Abschiebungen mit Drucken, die Pässen ähneln.
Miuccia Prade nennt "Fake News" als Impuls für ihre Jacken und Mäntel, auf denen bedeutungslose Textzeilen gedruckt stehen. Ihre Verwendung von Wörtern zu Design- und Dekorationszwecken eckt besonders an. Leider ging ihre Botschaft im ganzen Marketingtrubel unter. Oder wollte sie bloß einen mutigen Vorstoß wagen?
Auch die düstere Farbpalette der Prada Kollektion stellte keine Ausnahme dar, sondern betonte einmal mehr die omnipräsente Ablehnung von Glamour. Mehr Aktion und weniger ästhetisches Gefallen: Das scheint die Botschaft dieser Fashion Week Saison zu sein.