Die Schmiede der Einheit
19. Januar 2012Als am Morgen des 14. Juli 1990 die deutsche Delegation um Bundeskanzler Helmut Kohl vom Köln-Bonner Flughafen nach Moskau aufbricht, ahnt niemand, was bevorsteht. Immer noch hatte sich der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow nicht klar darüber geäußert, ob das vereinigte Deutschland in der NATO bleiben könne.
"Wir werden fliegen!"
Als Helmut Kohl Gorbatschow im Kreml trifft, stellt er als erstes fest, dass er die Einladung in die kaukasische Heimat Michail Gorbatschows nur annehmen werde, wenn die Deutschen nicht dazu gezwungen würden, als Preis für die deutsche Einheit neutral zu werden; das vereinigte Deutschland wolle auf jeden Fall Mitglied der NATO bleiben. Falls der Generalsekretär das anders sehe, möge er ihm das gleich zu Beginn der Gespräche sagen, so Kohl. Die deutsche Delegation würde dann von Moskau aus direkt wieder nach Bonn fliegen.
Die Antwort des sowjetischen Generalsekretärs ist ebenso eindeutig wie vielsagend: "Wir werden fliegen, Herr Bundeskanzler!" Dann beginnen die Gespräche, an die sich der damalige stellvertretende Kanzleramtschef Horst Teltschik erinnert: "Gleich beim ersten Gespräch hat Präsident Gorbatschow im Prinzip schon zugesagt, dass er der NATO-Zugehörigkeit Deutschlands und der vollen Souveränität des Landes nicht im Wege stehen werde."
Blumen im Kaukasus
Mit dieser Zusage im Gepäck fliegen die beiden Regierungschefs in den Kaukasus. Dort werden sie von der Bevölkerung mit Jubel begrüßt. Auf dem Weg nach Achys zur sowjetischen Regierungsdatsche machen die beiden ab und an Halt, um Brot und Salz in Empfang zu nehmen, das die Menschen ihnen entgegen halten. Aber es gibt nicht nur von den Menschen Signale, die auf eine Verständigung mit dem einstigen Kriegsgegner Deutschland hindeuten.
Raissa Gorbatschowa, die ihren Mann begleitet, hatte während eines Spaziergangs dem deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher die Bedeutung dieses Treffens für ihren Mann klar gemacht. Michail Gorbatschow hatte sich in der Sowjetunion viel Kritik anhören müssen. Die Menschen machten ihn verantwortlich für den rasanten Machtzerfall und die massiven wirtschaftlichen Probleme des Ostblocks. Nun – so Raissa Gorbatschowa – müsse der Westen und insbesondere die Bundesrepublik zu ihren Verpflichtungen gegenüber der Sowjetunion auch stehen.
Hans Dietrich Genscher ist beeindruckt von der Frau des sowjetischen Staatspräsidenten, die couragiert den Kurs ihres Mannes unterstützt, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Auch Horst Teltschik erinnert sich an die Rolle Raissa Gorbatschowas. Während die beiden Delegationen zu einem kleinen Fluss gehen, pflückt sie auf der Wiese einen Blumenstrauß und überreicht ihn dem verdutzten Helmut Kohl: "Auch wieder eine Signal! Es konnte eigentlich keinen Streit gegen, beide Seiten wollten ein gutes Ergebnis", sagt Teltschik.
"Hätten wir Nein sagen können?"
Am nächsten Tag geht es um die Truppenstärke der Bundeswehr und einen Vertrag zwischen der Sowjetunion und dem wiedervereinigten Deutschland, der das besondere Verhältnis zwischen beiden Staaten regeln soll. Mit der deutschen Souveränität müssen auch die Einheiten der Roten Armee abziehen, die immer noch in der DDR stationiert sind. Damit sind Kosten verbunden, zumal in der Sowjetunion nicht genügend Wohnungen für die zurückkehrenden Soldaten vorhanden sind.
Die Bundesregierung hatte schon vor diesem Treffen finanzielle Hilfen und Lebensmittellieferungen angeboten. Bei den Gesprächen im Kaukasus sichert Helmut Kohl zu, rund 300 Millionen D-Mark aufzuwenden, um den zurückkehrenden Soldaten eine Ausbildung zu finanzieren. Ferner wolle die Bundesregierung auch den Bau der Wohnungen finanzieren, in die die Soldaten bei ihrer Rückkehr einziehen könnten. Aber Michail Gorbatschow will auch Geld, um die maroden Staatsfinanzen zu sanieren.
Über die genaue Höhe der vereinbarten Summe schweigen die Beteiligten bis heute. Für Horst Teltschik stimmt die Relation zwischen geleisteten Zahlungen und dem, was die Deutschen dafür bekommen haben – die staatliche Einheit: "Wenn Gorbatschow damals gesagt hätte: 'Herr Bundeskanzler ich bin einverstanden, aber das kostet die Bundesrepublik Deutschland 50 Milliarden oder 80 Milliarden' - hätten wir nein sagen können?"
Glückliches Ende
Am Ende der Verhandlungen sind alle noch offenen Fragen gelöst. Die deutsche Delegation fährt in dem Wissen nach Hause, dass die Sowjetunion der deutschen Einheit keine Steine in den Weg legen wird. Neun Monate nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 ist die Einheit der Deutschen zum Greifen nah.