Wie Lettland Russlands größter Alkohollieferant wurde
13. Februar 2024Lettland ist im vergangenen Jahr Russlands Hauptlieferland für Whisky geworden. In den ersten neun Monaten des Jahres 2023 importierte Russland Whisky im Wert von knapp 244 Millionen Euro.
Davon entfielen nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti fast Dreiviertel, nämlich 177 Millionen Euro, auf Lettland. An zweiter Stelle - aber schon weit abgeschlagen - steht ein weiteres baltisches Land: Litauen. Es hat Russland Whisky im Wert von knapp 27 Millionen Euro verkauft.
Mit Wein-Exporten im Wert von 73 Millionen Euro hat Lettland zudem Italien als Hauptlieferant abgelöst - der größte Weinproduzent der Welt exportierte zwischen Januar und August 2023 Wein für knapp 68 Millionen Euro nach Russland.
Nach Angaben des lettischen Statistikbüros betrug die Summe aller Exporte von Lettland nach Russland im Jahr 2023 (bis einschließlich November) über 1,1 Milliarden Euro.
Fast die Hälfte davon sind Exporte von Getränken, Spirituosen und Essig. Damit gehört Russland, was das Exportvolumen angeht, auch im Jahr 2023 zu Lettlands fünf größten Exportmärkten.
Gleiche Lieferketten, andere Dokumentation
Natürlich sind die baltischen Länder nicht plötzlich zu einer lukrativen Weinbauregion oder einem Hotspot zur Whiskyherstellung geworden. Vielmehr stammt der weitaus größte Teil der alkoholischen Getränke, die aus Lettland nach Russland exportiert werden, von westeuropäischen Unternehmen, die in Lettland registriert sind.
Das haben Vertreter des lettischen Verbandes der Alkoholindustrie bestätigt. "Es scheint einige größere Unternehmen aus westeuropäischen Ländern zu geben, die Lettland einfach als eine Art Vertriebszentrum nutzen", sagt Matiss Mirosnikovs, Ökonom der Bank of Latvia im Gespräch mit der DW. "Es handelt sich also nicht unbedingt um die Produktion der lettischen Industrie, sondern um Reexporte."
Warum die baltischen Länder in den Zollstatistiken als Ursprungsland auftauchen, erklärt der Leiter der russischen Spirituosenimportfirma Ladoga, Veniamin Grabar, in einem Gespräch mit der russischen Agentur für internationale Informatinom RIA Novosti.
"Wenn früher in den Dokumenten stand, dass die Importe nach Russland einfach über Lettland oder Litauen liefen, erscheinen jetzt die baltischen Staaten als Zielort des Exports. Und von dort aus finden dann die Lieferungen nach Russland statt."
Die Logistikketten haben sich demnach also nicht geändert. Es sind die gleichen Produzenten, die Russland beliefern - nur, dass in ihrer Dokumentation nun Lettland als Zielland steht. Um die Ausfuhr aus der EU nach Russland, inklusive Zollpapieren, kümmern sich nun die lettischen Partner.
Westliche Länder fürchten Imageverlust
Die Exporte verstoßen zwar nicht gegen die EU-Sanktionen. Dass Lettland aber quasi als Vertriebszentrum genutzt wird, zeige, dass viele westeuropäische Firmen einen Imageschaden befürchten, wenn sie direkt nach Russland exportierten, meint Matiss Mirosnikovs.
Für andere Unternehmen gehe es um die Existenz: "Einige Firmen haben nur Russland und Belarus als Kunden. Deswegen wollen und vor allem können sie ihr Geschäft nicht einfach so einstellen."
Für viele unabhängige Organisationen ist es dennoch eine Frage der Ethik, ob man angesichts des von Moskau begonnenen Krieges in der Ukraine noch Geschäfte mit Russland machen sollte.
Die nach dem russischen Angriff auf die Ukraine gegründete private Moral Rating Agency aus London etwa rankt westliche Firmen nach ihrem Russlandgeschäft.
Demnach gehört der französische Konzern Pernod Ricard - unter anderem bekannt für Marken wie Absolut Wodka und Jameson Whisky - zu den größten Lieferanten alkoholischer Getränke nach Russland.
Parallelhandel über Drittländer
Russische Medien berichteten zwar, Pernod Ricard plane, sein Russlandgeschäft einzustellen. Doch laut einer Pressemitteilung des Spirituosengiganten werde es "einige Monate" brauchen, das Geschäft in Russland einzustellen.
Russische Mitarbeiter würden dennoch weiterhin bezahlt. Der sogenannte Parallelhandel über Drittländer scheint indes weiterzulaufen.
Auf eine Anfrage der DW nach einer Stellungnahme hat Pernod Ricard in Lettland nicht geantwortet. Auch bei den anderen Alkoholexporteuren in Lettland wollte niemand mit der Deutschen Welle sprechen.
Widerspruch zur baltischen Russland-Politik
Der zunehmende Spirituosenhandel mit Russland steht in starkem Kontrast zu der Russland-Politik der baltischen Länder. Lettland, Litauen und Estland treiben in der EU die Sanktionen gegen Russland besonders stark voran.
Schon lange vor dem Krieg in der Ukraine warnten sie vor dem aggressiven Kurs Putins. Nun wenden sich Estland und Lettland sogar von der russischen Sprache ab: Bildung soll nur noch in den jeweiligen Landessprachen erfolgen.
Wer mit russischem Pass in Lettland leben möchte, auch wenn der- oder diejenige bereits das ganze Leben dort verbracht hat, muss jetzt das Sprachniveau Lettisch A2 erreichen. Sonst droht die Ausweisung.
Wie passen die politische und kulturelle Abkehr von Russland mit dem wachsenden Alkohol-Export zusammen? Das zuständige lettische Agrarministerium wollte sich dazu nicht äußern und ließ eine Anfrage der DW nach einer Stellungnahme unbeantwortet.
Die damalige lettische Wirtschaftsministerin Ilze Indriksone hatte lettischen Medien auf die Frage nach Russland-Exporten im Sommer 2023 geantwortet, dass die Regierung die Unternehmen seit langem aufgefordert habe, den Handel mit Russland und Belarus einzustellen
"Wir haben auch über die physische Schließung der Grenze und die Verhinderung des landgebundenen Verkehrs diskutiert. Aber wenn nicht alle Länder, die an Russland und Weißrussland grenzen, sondern nur wir die Grenze schließen, wird das keine Ergebnisse bringen."
Ökonom Matiss Mirosnikovs hat eine persönliche Meinung: "Es gibt zwei Seiten. Auf der einen Seite ist es gut, Geld von Russland zu erhalten, weil sie dann weniger Geld für militärische Zwecke ausgeben können. Auf der anderen Seite ermöglicht man den Eliten, das zu tun, was sie wollen, nämlich ein möglichst normales Leben zu führen, sodass sie keine Veränderungen herbeiführen wollen.“