Wie Nordkorea Russlands Krieg in der Ukraine verändert
28. Oktober 2024Dass Russland und Nordkorea kooperieren, ist grundsätzlich nichts Neues: Im Juni reiste der russische Präsident Wladimir Putin nach Pjöngjang, um mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un eine Sicherheitspartnerschaft zu vereinbaren. Zuvor wurde über umfangreiche nordkoreanische Waffenlieferungen gemutmaßt, vor allem Artilleriegeschosse. Und bereits 2023 meldete der ukrainische Geheimdienst HUR, ein begrenztes nordkoreanisches Militärkontingent sei in den besetzten Gebieten der Ukraine eingetroffen.
Artillerie-Geschosse, Raketen und Tausende Soldaten
Studien und Medienberichte beleuchten inzwischen immer genauer das wachsende Ausmaß dieser Unterstützung. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine soll Nordkorea Rüstungsgüter im Wert zwischen 1,7 Milliarden und 5,5 Milliarden US-Dollar an Russland geliefert haben - darunter vor allem Artilleriemunition und Kurzstreckenraketen. Diese Zahlen nennt Olena Guseinova von der Hankuk University of Foreign Studies in Seoul in ihrer Studie "Putins Partner " für die Friedrich-Naumann-Stiftung. Die Wissenschaftlerin hatte dafür unter anderem Geheimdienstberichte und geleakte Dokumente ausgewertet.
Doch nicht nur mit Waffen unterstützt Nordkoreas Diktator Kim Jong Un den russischen Nachbarn. Nach Informationen des südkoreanischen Geheimdienstes NIS und aus US-Sicherheitskreisen halten sich inzwischen mindestens 3000 nordkoreanische Soldaten im Osten Russlands auf. Sie könnten schon bald russische Truppen im Raum Kursk entlasten. Die ersten Nordkoreaner sind dort nach Erkenntnissen der Nato bereits im Einsatz. Bis zu 12.000 Soldaten könnten im kommenden Jahr an der russisch-ukrainischen Front kämpfen. Nordkorea würde im Gegenzug dringend benötigte Devisen erhalten. Die Friedrich-Naumann-Stiftung rechnet mit Einnahmen von mehreren hundert Millionen US-Dollar.
Den Erkenntnissen zufolge sollen die nordkoreanischen Soldaten, die offenbar zumindest teilweise aus Spezialeinheiten stammen, russische Uniformen erhalten, um ihre Identität zu verschleiern. Das Faktencheck-Team der DW konnte bejahen, dass auf den vom NIS bereitgestellten Aufnahmen Schauplätze in Russlands Östlichem Militärbezirk zu sehen sind. Weder Russland noch Nordkorea haben die Vorgänge bislang offiziell bestätigt.
Es gebe gerade wenige konkrete Informationen und sehr viel unkonkrete Spekulation, sagt Nico Lange, Senior Fellow der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), im DW-Interview. "Aber dass Nordkoreaner in Russland zur Ausbildung sind, daran besteht kein Zweifel. Und es besteht auch kein Zweifel daran, dass schon seit einiger Zeit - nämlich seit kurz nach dem Besuch von Wladimir Putin in Pjöngjang - Bautrupps der nordkoreanischen Streitkräfte in den besetzten Gebieten in der Ukraine aktiv sind."
Zugleich schränkt Lange ein: "Man darf nur nicht aus diesen Informationen, die jetzt kursieren, automatisch den Schluss ziehen, 12.000 nordkoreanische Soldaten kämpften an der Seite der Russen in den Schützengräben in der Ukraine. Das ist nicht das, was man bisher sehen kann."
Ukraine erbittet westliche Hilfe gegen Putins neue Allianz
Dennoch ist es aus ukrainischer Sicht eine bedenkliche Entwicklung. Während Russlands Staatschef Putin sich in dieser Woche als respektierter Gastgeber des BRICS-Gipfels präsentiert, sorgt Kiew sich um weitere Unterstützung: Der sogenannte "Siegesplan" von Präsident Wolodymyr Selenskyj entfachte kein Momentum. Und die Ukraine muss befürchten, dass bei der US-Präsidentschaftswahl Anfang November Donald Trump gewinnt, der Waffenhilfen streichen will und kürzlich in einem Podcast sogar Selenskyj eine Mitschuld an Russlands Invasion zuwies.
Selenskyj selbst machte am Wochenende deutlich, dass die Partner des von Russland überfallenen Landes auf den "klaren Beweis" eingehen müssten: "Wir dürfen das Böse nicht wachsen lassen. Wenn die Welt jetzt schweigt, und wenn wir bald so regelmäßig nordkoreanische Soldaten an der Front sehen, wie wir Shaheds (Kamikaze-Drohnen iranischer Bauart, Anm. d. Red.) abwehren, wird das niemandem auf dieser Welt nützen und den Krieg nur verlängern", betonte der ukrainische Präsident.
Der Westen reagiert zurückhaltend
Als maßgeblich gilt, wie die USA nun reagieren - schließlich ist Washington nicht nur der größte Unterstützer der Ukraine, sondern auch Schutzmacht für Südkorea. Die USA waren dann auch das erste NATO-Mitglied, das von "Beweisen" für die Präsenz nordkoreanischer Truppen in Russland sprach. Darüber hinaus hielt sich Verteidigungsminister Lloyd Austin jedoch bedeckt: "Was genau tun sie dort? Das bleibt abzuwarten. Wenn sie die Absicht haben, an diesem Krieg im Namen Russlands teilzunehmen, dann ist das ein sehr, sehr ernstes Problem", sagte er in Rom.
Ein Problem, das jedoch wohl hauptsächlich in die Amtsperiode der nächsten US-Regierung unter Donald Trump oder Kamala Harris fallen wird. Auch Europa wird die US-Wahlen am 5. November erst abwarten wollen, glaubt MSC-Experte Lange: "Ich kann im Moment nicht erkennen, dass die großen Staaten in Europa sich zusammen aufraffen, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Was wollen wir in der Ukraine erreichen? Was machen wir gegen Russland selbst und gegen die Unterstützer Russlands? Und wie gehen wir da gemeinsam vor? Das ist aber das, was es bräuchte", findet Lange.
Eine Sprecherin der NATO in Brüssel erklärte, wenn diese Truppen für den Kampf in der Ukraine bestimmt seien, bedeute das "eine signifikante Eskalation in Nordkoreas Unterstützung für Russlands illegalen Krieg und ein weiteres Zeichen für Russlands Verluste an der Front. Das Bündnis berate über das weitere Vorgehen.
Dass Europa bislang nicht auf die mutmaßliche nordkoreanische Truppenentsendung reagiert habe, sei ein "fatales Versäumnis", findet Roderich Kiesewetter (CDU), Außenpolitiker der größten deutschen Oppositionspartei im Bundestag. Eine geeinte und entschlossene Reaktion der Stärke und Abschreckung sei zwingend erforderlich. Der Bundestagsabgeordnete teilte auf DW-Anfrage mit: "Viele europäische Staaten wollen dies schon lange. Zuvorderst muss hier Deutschland endlich seine Haltung ändern." Kiesewetter bekräftigte die Forderungen, Reichweitenbeschränkungen für gelieferte Waffen aufzuheben, weitere schlagkräftige Systeme an die Ukraine abzugeben und eine NATO-Einladung auszusprechen.
Das Auswärtige Amt bestellte am Mittwochvormittag den Geschäftsträger Nordkoreas ein - und verwies auf die Sicherheit Deutschlands und der europäischen Friedensordnung, die durch die Unterstützung des russischen Angriffskrieges bedroht werde.
Win-Win auf Zeit für Russland und Nordkorea
Bereits als sich die Hinweise auf eine weitergehende russisch-nordkoreanische Kooperation verdichteten, sprach die DW mit Andrei Lankov, Professor für Geschichte und internationale Beziehungen an der Kookmin-Universität in Südkoreas Hauptstadt Seoul.
Russland könne daraus den Nutzen ziehen, eine Mobilmachung zu umgehen: "Krieg ist in Russland allgemein populär, aber nur, wenn die meisten Menschen nicht an Kämpfen beteiligt werden und der Krieg ihren Alltag nicht betrifft", betonte Lankov. Seiner Meinung nach gibt es in Russland immer weniger Männer, die bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, auch nicht für finanzielle Vorteile, wie Verträge der Armee sie böten.
Im Gegenzug wolle Nordkorea Geld und Technologie. "Ein Vertragssoldat der russischen Armee erhält 2000 US-Dollar im Monat plus einen einmaligen Bonus, der bis zu 20.000 US-Dollar betragen kann. Pjöngjang würde sich über mindestens die Hälfte davon für jeden bereitgestellten Soldaten freuen", so Lankov. Ebenso begehrt sei moderne Technologie: "Unter anderen Umständen wäre Russland niemals bereit, Technologie mit einem so instabilen Land zu teilen, aber jetzt hat es keine andere Wahl."
Die Zusammenarbeit werde aber nicht von Dauer sein, glaubt der Experte. Nach einem Kriegsende in der Ukraine würden die Beziehungen zu ihrem früheren Niveau zurückkehren, da Nordkorea dann für Moskau wirtschaftlich nicht mehr interessant sein werde.
Mitarbeit: Rayna Breuer. Der Artikel wurde am 23. Oktober veröffentlicht und am 28.10. aktualisiert.