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Sind LGBTQ-Menschen in Deutschland sicher?

8. September 2022

Große Gefahr, hohe Dunkelziffer: Mehrere transfeindliche und homophobe Übergriffe - besonders der Tod eines Transmanns - werfen Fragen auf.

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Eine junge Frau zündet eine Kerze an vor einer Wand mit Plakaten, die an den getöteten Transmann Malte C. erinnern. Auf den Schildern steht Zivilcourage oder auch Rest in Power
In Münster gedenken Menschen dem verstorbenen Transmann Malte C.Bild: Ying Tang/NurPhoto/picture alliance

Münster, Augsburg, Bremen: drei deutsche Städte, drei brutale Übergriffe auf queere Menschen. Einer endet besonders tragisch für einen Transmann. Malte C. hatte sich am Rande des Christopher Street Days in Münster schützend vor eine Gruppe lesbischer Frauen gestellt, die von einem Mann bedrängt und beleidigt wurden. Dieser schlug daraufhin auf ihn ein, Malte C. knallte auf den Asphalt und erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Er starb nach sechs Tagen im Koma an seinen Verletzungen.

Der Vorfall hat Bestürzung ausgelöst. Die Co-Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei (SPD) Saskia Esken drückte auf Twitter ihr Mitgefühl aus: "Die Tat ist eine brutale Erinnerung, dass Hassgewalt gegen queere Menschen weitergeht. Jede Woche. Jeden Tag."  

Tatsächlich werden statistisch gesehen jeden Tag zwei queerfeindliche Übergriffe gemeldet, wobei das Bundesinnenministerium selbst angibt, dass die Dunkelziffer sehr hoch sein dürfte. Verbände wie der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) und auch die Polizei gehen von bis zu 90 Prozent Dunkelziffer aus. Viele Übergriffe stehen im Zusammenhang mit Paraden am Gedenktag Christopher Street Day.

Alfonso Pantisano aus dem Bundesvorstand von LSVD wundert das nicht: "Sichtbarkeit bedeutet immer auch Gefahr. Dementsprechend ist jede Zusammenkunft von queeren Menschen, in denen sie sich öffentlich zeigen, auch immer ein Ort, an dem sie sich leider in Gefahr begeben. So ehrlich müssen wir schon sein", sagt er im Gespräch mit der DW.

Allerdings sei es ein Trugschluss, das Problem auf CSD-Veranstaltungen zu begrenzen. "Diese Übergriffe passieren an jedem Tag der Woche, an jeder Uhrzeit des Tages, an jeder noch so großen Straße und dann in einer noch so kleinen Gasse. Sie passieren in der U-Bahn, sie passieren im Bus, sie passieren auf dem Schulhof, sie passieren in Betrieben, in Vereinen, im Einkaufszentrum. Wir sind leider - auch wenn es drastisch klingt - tatsächlich nie wirklich sicher."

Unsichere Datenlage

Erst seit 2020 erfasst das Bundeskriminalamt queerfeindliche Taten neben der Kategorie "sexuelle Orientierung" auch im Feld "Geschlecht/sexuelle Identität". In beiden Kategorien stieg die Zahl der gemeldeten Fälle erheblich, um 50 Prozent bzw. sogar 66 Prozent. Transfeindliche Angriffe werden nicht gesondert erfasst.

Wie Berlin zur Heimat für trans*Personen wurde

Für Pantisano vom LSVD sind die vielen unterschiedlichen Kategorien nicht ganz nachvollziehbar, da sie nicht zu mehr Transparenz führten: "Am Ende ist es Gewalt. Und wenn jemand angegriffen wird, weil er oder sie trans ist oder weil zwei Männer Hand in Hand durch die Stadt laufen: Es ist immer ein Akt der Hasskriminalität gegen queere Menschen."

Problematisch sei auch, dass Berlin zwar überdurchschnittlich viele Fälle registriert - die Hauptstadt erfasse die Vorfälle seit Jahren vorbildlich - was aber auch bedeutet, dass in anderen Bundesländern queerfeindliche Straftaten noch nicht als solche in der Statistik auftauchen: "Wenn ich in München, in Stuttgart oder in Frankfurt zur Polizei gehe und sage, dass ich angegriffen wurde, weil ich schwul bin. Dann kann es sein, dass daraus einfach nur ein körperlicher Übergriff gemacht wird, aber der Hintergrund nicht mit registriert und aufgenommen wird. Und so verschwindet dieser Übergriff aus der Statistik. In Berlin ist es anders. Da ist die Polizei sehr darauf geschult."

Politisch motivierte Gewalt

Vor allem der Tod von Malte C. in Münster hat auch eine Debatte über die Täter queerfeindlicher Übergriffe aufgeworfen. Einige der Übergriffe kamen von jungen Männern, manche muslimisch oder mit Migrationsgeschichte. Der Islamismus-Experte Ahmad Mansour sagte beispielsweise der "Bild"-Zeitung mit Blick auf den tschetschenischen mutmaßlichen Täter in Münster: "Unter Tschetschenen ist Hass auf Homosexuelle weit verbreitet. Aber auch bei Männern aus Afghanistan oder Syrien. Mit der Migration aus diesen Ländern wächst die Homophobie in Deutschland."

Christopher Street Day in Dresden
Auf der Straße für die Rechte von queeren Menschen: Christopher Street Day in DresdenBild: Robert Michael/dpa/picture alliance

Ein Blick auf die spärliche Datenlage vom Bundeskriminalamt zeigt zwar, dass Transmenschen wie Malte C. auch Gefahr von ausländischen und religiösen Ideologien droht, vor allem aber aus dem rechten Milieu. Sowohl die Straftaten in der Kategorie "Geschlecht/ sexuelle Identität" als auch der Kategorie "Sexuelle Orientierung" werden mit großem Abstand von rechten Straftätern angeführt. Die meisten Straftaten können allerdings nicht zugeordnet werden, was den Schluss nahe legt, dass querfeindliche Übergriffe ein Problem sind, das alle Gesellschaftsteile betrifft.

Die Politik reagiert - teilweise

Der Tod von Malte C. in Münster hat die Politik durchaus aufgerüttelt. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, verschickte jüngst einen Entwurf eines Aktionsplans gegen Trans- und Homophobie an verschiedene Verbände. Diese hatten einen solchen Aktionsplan schon lange gefordert.

Queerfeindliche Übergriffe in Deutschland | Münster
Gedenken: Trauerfeier für den verstorbenen Malte C. in MünsterBild: Ying Tang/NurPhoto/picture alliance

Das ginge aber nicht weit genug, sagt Pantisano vom LSVD. Deutschland hinke anderen Ländern hinterher, beispielsweise was ein Selbstbestimmungsgesetz für Transpersonen angehe oder Blutspenden für homosexuelle Männer, die in Deutschland noch immer nicht allen erlaubt ist. Da seien Länder wie Malta oder Argentinien weiter.

Und es gebe noch ein Versäumnis: Im Herbst 2021 beschloss die Innenministerkonferenz, einen Arbeitskreis zur Bekämpfung homophober und transfeindlicher Gewalt zu berufen. "Die soll nun im September das erste Mal tagen", sagt Pantisano. "Die Politik hat also ein ganzes Jahr verschlafen. Wir leben in Deutschland in einem Land, das immer gerne vorgibt, für Vielfalt zu sein. Aber Deutschland hat aus meiner Sicht ein Problem mit Vielfalt. Und das müssen wir ansprechen". 

Es ist deshalb diese Frage, die Pantisano bis heute nachdenklich macht: Hätten einige der Übergriffe wie der von Malte C. verhindert werden können, wenn das Jahr nicht ungenutzt verstrichen wäre?