Wie Singapur seine Wasserkrise bewältigt
1. Oktober 2024Singapur ist bunt, multikulti, grün und wohlhabend. Sechs Millionen Menschen leben hier auf engstem Raum zusammen. Es ist ein internationales Zentrum für die Finanzindustrie und den globalen Handel. Es ist sauber, reich an Parks und Springbrunnen, zahlreiche Teiche und Kanäle machen den Inselstaat am Südende Malaysias lebenswert.
Kaum vorstellbar, dass das fünftreichste Land der Welt eine der wasserärmsten Regionen ist. Singapur verfügt über keine natürlichen Frischwasserquellen. Dennoch schafft man es, den steigenden Wasserbedarf der schnell wachsenden Bevölkerung und der Wirtschaft zu decken. Dadurch wurde der autoritär geführte Stadtstaat in den vergangenen Jahrzehnten zu einem weltweiten Vorbild für gutes Wassermanagement.
Der sanfte Weg, Wasser zu nutzen
"Was sie dort machen ist keine Zauberei," sagt Peter Gleick. Er ist der Gründer des Pacific Institutes, einer auf Wassermanagement spezialisierten Nichtregierungsorganisation. Statt Infrastruktur, die der Natur immer mehr Wasser entnimmt, nennt Gleick die in Singapur angewendete Strategie den "sanften Weg".
"Der sanfte Weg versucht, das umzukehren und sagt: Lasst uns Wasser effizient und sorgfältig nutzen. Wir sollten aufhören, Wasser zu verschwenden und nach neuen Versorgungsquellen suchen.”
Wasser, Krieg und ein Masterplan
Wassermangel hat in Singapur eine lange Geschichte. Ob während der Kolonialherrschaft der Briten, bei Gefechten der Alliierten gegen das faschistische Japan im Zweiten Weltkrieg oder in der Zeit danach: Sauberes Wasser war in Singapur schon immer eine kostbare und sehr politische Ressource. Oft musste Wasser rationiert werden, schlechte sanitäre Bedingungen und häufige Überschwemmungen waren lange eine große Herausforderung.
Auch die Unabhängigkeit des Stadtstaats 1965 beendete die Wasserkrise nicht. Doch von nun an hatte der Stadtstaat sein Schicksal selbst in der Hand.
"Als Singapur politisch unabhängig wurde, begann die Planung bis 2060 auch bei Wasser, Nahrung und Energie unabhängig zu werden und Systeme zu schaffen, die den Belastungen standhalten können”, sagt Cecilia Tortajada. Sie ist Professorin für Umweltentwicklung an der Universität Glasgow.
Die damalige Regierung entwickelte einen Masterplan, der seitdem weiterentwickelt wurde und auf vier Pfeiler beim Wassermanagement baut. Dazu gehören importiertes Wasser, Entsalzungsanlagen, lokale Wassergewinnung und die Wasseraufbereitung, die "NEWater” genannt wird.
Vier Säulen der Wasserversorgung
Frischwasser bekommt Singapur aus grenznahen Flüssen im Nachbarland Malaysia, für den Zugang dazu schlossen die Länder in den 1960er-Jahren zwei Wasserabkommen.
So werden bis heute täglich Millionen Liter Flusswasser - rund die Hälfte des gesamten Bedarfs - in Pipelines über die Grenze nach Singapur gepumpt. Malaysia drohte allerdings immer wieder mit Lieferstopps und Preiserhöhungen und es kommt zu bilateralen Spannungen, die 2002 sogar zu Warnungen vor einem militärischen Konflikt führten. Bis 2061 will Singapur deshalb aufhören, Wasser zu importieren und setzt stattdessen auf andere Wasserquellen, die derzeit massiv ausgebaut werden.
"Wasserplanung ist sehr wichtig. Weil es so wenig Wasser habt, muss Singapur dafür sorgen, dass dieses Wasser klug genutzt wird. Ziel des Masterplans ist es, das Beste aus jedem einzelnen Wassertropfen zu machen", sagt Jon Church, Fachmann für Wassermanagement bei den Vereinten Nationen.
Dazu gehört es, Kanäle und Abflüsse sauber zu halten und auch Milliarden zu investieren, um Wasser aufzufangen und es aufzubereiten. Und vor allem soll Wasser genutzt werden, was man bereits hat: Meerwasser beispielsweise.
Meerwasser entsalzen
Fünf Entsalzungsanlagen liefern heute etwa ein Viertel der gesamten Wasserversorgung der Insel. Oberirdisch begrünt und als Parks gestaltet, befinden sich die modernen Anlagen teilweise unterirdisch mitten im Stadtbild und fungieren sowohl als Klär- und auch als Entsalzungsanlage. Singapur war in den vergangenen Jahrzehnten maßgeblich an der Weiterentwicklung von Entsalzungstechnologien beteiligt.
Bis 2060 soll die Kapazität der Entsalzungsanlagen erhöht werden, um 30 Prozent des Bedarfs im Stadtstaat zu decken. Doch das reicht nicht aus, um beim Wasser autark zu werden.
Gutes Wassermanagement: Sammeln, speichern, sparen
Zwei Drittel der Fläche Singapurs werden für die Speicherung von Regenwasser genutzt. Von Dächern wird das Wasser über Abflüsse in ein Netz aus Flüssen, Kanälen und 17 Reservoirs geleitet. Das mit 10.000 Hektar größte Auffangbecken ist die Marina Barrage. Dort wird nicht nur Süßwasser gesammelt, das Becken und der Damm dienen auch dem Hochwasserschutz.
Laufen die Reservoirs und Kanäle bei starkem Regen über, fangen unterirdische Tanks das zusätzliche Wasser auf. Später kann es zu Trinkwasser aufbereitet werden. Bis 2060 plant die Regierung, 90 Prozent der Landfläche zur Regenwasserspeicherung zu nutzen.
Neben Infrastruktur und Technik habe es die Regierung vor allem geschafft, die Bevölkerung und die Industrie mit ins Boot zu holen, da sind sich die Experten einig.
Wassersparende Armaturen und Geräte werden staatlich gefördert. Wer sie installiert, bekommt zusätzlich Rabatte für andere nachhaltige Produkte. Wassersparen lohnt sich also. "Singapur hat die Bevölkerung hervorragend über ihre Wassersituation und die Lösungen aufgeklärt", betont Gleick.
Außerdem helfen digitale Wasserzähler, Lecks schnell zu erkennen. Darum verliert Singapur viel weniger Wasser durch Lecks in Rohren als die meisten anderen Länder.
Moderne Abwassertunnel und Demokratiedefizite
Singapur ist nicht nur Meister beim Auffangen von Regenwasser, sondern auch bei der Wasseraufbereitung. "Alles Abwasser wird gesammelt, aufbereitet und so weit wie möglich wiederverwendet”, so Jon Church von UN Water. "Die meisten Länder investieren nicht einmal einen Bruchteil dessen, was Singapur investiert.” Für zehn Milliarden Dollar hat Singapur einen 206 km langen Abwassertunnel gebaut, der Abwasser zu effizienten Reinigungsanlagen leitet. Der gesamte Untergrund des Landes ist quasi ein verzweigtes Netzwerk modernster Kanalisation.
Das ist auch deshalb möglich, weil Singapur wohlhabend ist und das politische System die Durchsetzung solcher Großprojekte begünstigt. Der Bertelsmann Transformationsindex beschreibt Singapur als "gemäßigte Autokratie". Versammlungs-, Meinungs- und Vereinigungsfreiheit sind in Singapur eingeschränkt. Seit der Staatsgründung regiert dieselbe Partei.
Außerdem hat der Inselstaat kaum Landwirtschaft, die Wasser verbraucht und verschmutzt, der Fokus liegt deshalb fast vollständig auf städtischen und industriellen Abwässern. Der größte Stolz der Wasserstrategie ist allerdings die Aufbereitung, genannt NEWater.
New Water: Wie wird Abwasser trinkbar?
Durch Mikrofiltration, Umkehrosmose und UV-Bestrahlung wird hochwertiges Wasser aus Abwasser gewonnen. Bereits heute recycelt Singapur 30 Prozent seines Wasserbedarfs. Bis 2060 sollen es 55 Prozent werden. Der Großteil davon wird in der Industrie genutzt, ein kleiner Teil geht in die Trinkwasserversorgung.
Zum Vergleich: Weltweit wird nur ein winziger Anteil von dem, was im Abfluss landet, zu Trinkwasser aufbereitet. Und das, obwohl die Technologie sicher und das Potenzial auch anderswo riesig ist.
"Abwasser ist immer noch umstritten, weil wir es als etwas Schmutziges sehen, das wir loswerden müssen”, so Gleick. Dabei sei das aufbereitete Wasser in Singapur so sauber, dass selbst die Chipindustrie es nutzt, die für die Produktion besonders reines Wasser braucht, so der Experte.
Vorreiter bei der Verwendung von Haushaltsabwasser sind der US-Bundesstaat Kalifornien und Namibias Hauptstadt Windhoek, wo Wasser extrem knapp ist. Dort wird seit den 1960er-Jahren Abwasser zu Trinkwasser recycelt.
In vielen westlichen Ländern gibt es immer "ein 'Aber', wenn es um die Lösung eines Problems geht", sagt Cecilia Tortajada von der Universität Glasgow. In Singapur dagegen sei die Perspektive proaktiv. "Dort fragt man nicht: 'Wie machen wir das?' Sondern: 'Wie kriegen wir das hin?'."
Redaktion: Anke Rasper