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Wie vom Krieg berichten?

Silke Bartlick21. Februar 2014

Im "Haus der Kulturen der Welt" in Berlin dreht sich derzeit alles um ein Thema: die Darstellung von Krieg in den Medien im 21. Jahrhundert. Der Historiker Valentin Groebner hat die Veranstaltung mitkuratiert.

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Kosovo 1999 (Foto: Sebastian Bolesch)
Bild: Sebastian Bolesch

DW: Herr Groebner, die Thementage im "Haus der Kulturen der Welt" (20.-22.02.2014) stehen unter dem Titel "Krieg erzählen". Ist der 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs der Anlass?

Valentin Groebner: Nein. Ich glaube, das ist eher Zufall. Uns ging es darum, jenseits von abstrakten Reden über "die Medien", genauer in den Blick zu nehmen, was Kriegsberichterstattung im 21. Jahrhundert ausmacht. Es geht darum, wie die Arbeit des Berichtens vom Krieg sich abspielt. Wer tut da was? Was erleben diese Leute? Und was geschieht mit diesen Berichten?

Ihre Co-Kuratorin, die Journalistin Carolin Emcke, ist in den vergangenen zehn Jahren immer wieder in Kriegs- und Krisengebiete gereist und hat von dort berichtet. Inwiefern sind ihre Erfahrungen und Erlebnisse mit in die Programmgestaltung eingeflossen?

Carolin Emckes praktische Erfahrungen sind insofern mit eingeflossen, als sie über ihre eigenen Erlebnisse schreibt. Und deswegen mit der Schnittstelle zwischen "dort sein" und "von dort berichten" sehr viel intensiver zu tun hat als ich selbst. Die Erfahrungen, die Carolin Ehmcke im Kosovo und im Irak gemacht hat bezüglich der Nichtdarstellbarkeit von Dingen, die man dort sieht – oder mit Dingen, die nur mit großer Mühe darstellbar sind -, sind sicher einer der Ausgangspunkte ihrer Arbeit und auch unseres Projekts.

Carolin Emcke (Foto: Sebastian Bolesch)
Carolin EmckeBild: Sebastian Bolesch

Es geht bei Kriegsberichterstattung nicht nur um das, was man sieht, sondern auch um das, was man fühlt, was man riecht und schmeckt.

Das sind Fragen, die wir im Laufe dieser Thementage Berichterstattern und Berichterstatterinnen stellen, den Leuten, die als Kriegsreporter, als Fotografen, als Aktivisten und Rechercheure unterwegs waren: Was bedeutet es, aus extrem unübersichtlichen und chaotischen Bedingungen zu berichten? Die Grundtechnik des Erzählens handelt davon, dass etwas in Ordnung, in eine Reihenfolge gebracht wird. Tatsächlich ist es offenbar so, dass, wenn man etwas Extremes erlebt, das Erleben selbst zum Hindernis fürs Erzählen werden kann - in seiner Wucht und paradoxen Gleichzeitigkeit von extremen Ereignissen. Das ist etwas, was in den Berichten selbst immer wieder thematisiert wird und wir wollen dem nachgehen. Was heißt das für die Position des Berichterstatters?

Meint das, dass die Berichterstattung an sich latent auch eine Überforderung ist?

Berichterstattung ist notwendig. Und sie ist zwangsläufig unvollständig. Das sind die beiden Pole, zwischen denen sie hin- und herschwanken muss. Bei einem Krieg mit zehntausenden von Opfern ist nicht ein Opfer unwichtig. Denn all diese Leute erleiden reale psychische und physische Verletzungen. Und massives Unrecht. Die Erzählung selbst ist aber darauf angewiesen, mit Einzelbeispielen zu operieren und einer Art von Dramaturgie zu folgen, um das Publikum von der Wucht und von der Wichtigkeit dieser Ereignisse zu überzeugen. Man kann den Schwerpunkt auf die Unerfüllbarkeit von Kriegsberichterstattung legen. Wir möchten aber viel eher den Schwerpunkt darauf legen, wie Leute diese Aufgabe lösen, wie sie mit ihr zurechtkommen.

Valentin Groebner (Foto: Universität Luzern)
Valentin GroebnerBild: Universität Luzern

Inwieweit können denn Bilder, Texte oder Filmausschnitte Kriegserfahrungen überhaupt vermitteln? Lässt sich das Wesen des Krieges in Bildern sichtbar machen oder in Worte fassen? Oder ist das immer nur in einem begrenzten Umfang möglich?

Dass das nur in einem begrenzten Umfang möglich ist, bedeutet nicht, dass es ein aussichtsloses Unternehmen ist. Vollständigkeit ist nicht möglich, aber Genauigkeit und Wirkung sehr wohl. Und darum geht es uns. Wie genau und wie wirkungsvoll können diese Berichte sein?

Straße im Irak 2003 (Foto: Sebastian Bolesch)
Eine Straße im Irak 2003Bild: Sebastian Bolesch

Zu den Umständen, unter denen Bilder entstehen oder auch Texte geschrieben werden, gehört auch die Intention, der Auftrag, der dahinter steht. Bilder und Texte können auch wie eine Waffe sein, sie können Propagandazwecken dienen, sie können dazu dienen, Vorgehensweisen zu legitimieren.

Kriegsberichterstattung ist in mehrerer Hinsicht Teil des Konflikts. Vom Krieg zu erzählen, bedeutet im Gegensatz zu anderen Erzählgegenständen, dass der oder die Betreffende sich immer nur auf einer Seite befinden kann und nicht auf beiden. Das ist zumindest sehr selten. Und zweitens, dass der oder die Berichtende dies in einer physischen Gefährdung tut. Das unterscheidet Kriegsberichterstattung von jeder anderen Art von Berichterstattung. Und tatsächlich kommen auch immer wieder Journalisten und Journalistinnen an der Front oder in Frontnähe ums Leben. Diese radikale Einseitigkeit und die unmittelbare physische Gefahr hinterlassen starke Spuren in den Texten. Was geschieht da? Wie gehen Leute, die das zu ihrem Beruf gemacht haben, mit dieser Unvollständigkeit der Informationen, die sie gezwungenermaßen haben, und dem Ausmaß der Gefährdung ihrer eigenen Person eigentlich um? Inwiefern macht das die Texte realistischer? Und wo erzeugt es in den Texten selbst notwendigerweise blinde Flecken, Löcher, Lücken, Auslassungen?

Gleichzeitig ist aber das, was Journalisten, Fotografen und Filmemacher produzieren, auch eine Ware. Was sie machen, wird in Auftrag gegeben bzw. muss verkauft werden. Besteht insofern nicht die Gefahr, dass man verfälscht, überhöht, dass man verdichtet, skandalisiert?

Ich wäre zurückhaltend damit, von der Logik der sehr schnellen Massenmedien generell auf alle Kriegsberichte zu schließen. Gerade die Ereignisse in den vergangenen Jahren haben gezeigt, dass der Liveticker, der vermeintlich schnellste, unmittelbare Informationen liefern soll, sehr häufig Irreführendes, Falsches und vor allem Unvollständiges liefert. Man braucht normalerweise eine Menge Zeit, um richtige von falschen Informationen trennen zu können. Ich würde Schnelligkeit nicht immer mit Echtheit verwechseln. Was heißt, Kriegsberichterstattung ist auch immer die Geschichte des Nachprüfens und Gegencheckens von Informationen. Das ist eine teure Angelegenheit. Gute Kriegsberichterstattung ist deshalb, um es etwas zugespitzt zu sagen, vielleicht gar nicht so schnell. Und sie ist relativ kostspielig.

Was kann die Erzählung über den Krieg im besten Fall erreichen?

Nachfragen, den Wunsch nach mehr Informationen erzeugen. Das ist, glaube ich, die Wirkung guter Kriegsberichterstattung. Dass das Publikum darüber mehr wissen will. Und dass die Entfernung - geografisch, kulturell - zu dem, was geschieht, radikal abnimmt. Tatsächlich ist es so, dass Massaker, Kriege, Gräueltaten, von denen wir viele gute Berichte haben, in unserer eigenen Wahrnehmung realer sind als solche, die aus unterschiedlichen Gründen schlechter dokumentiert sind. Das heißt, Kriegsberichterstattung kann Distanz verringern. Und das ist das Maximum von dem, was sie kann: Den Wunsch nach mehr Informationen erzeugen und die Distanz zum Leiden von Unschuldigen am anderen Ende der Welt verringern.