Rassismus in Filmklassikern: Wie damit umgehen?
10. März 2021"Peter Pan", "Dumbo", "Das Dschungelbuch" - viele Erwachsene haben diese Filme der Marke Disney als Kinder gesehen und geliebt. Und auch heute noch erfreuen sich die Filmklassiker des US-amerikanischen Konzerns großer Beliebtheit bei Kindern und Erwachsenen.
Gerade diese Beliebtheit macht die Produkte des weltweit agierenden Unternehmens aber auch zur Zielscheibe von Kritik. In den USA und Europa wird die Forderung immer lauter, dass diese Filme aus der Vergangenheit auf den Prüfstand müssen - und dass Geschichten in Zukunft anders erzählt werden sollten.
"Besser einordnen als nicht mehr zeigen"
Auf ersteres hat der Konzern 2019 auf seiner Plattform Disney+ reagiert: Zuerst wurden unter anderem die Filme "Peter Pan", "Dumbo", "Susi und Strolch", "Aristocats" und "Das Dschungelbuch" mit einem Hinweis im Vorspann versehen: "Dieses Programm enthält negative Darstellungen und/oder eine nicht korrekte Behandlung von Menschen oder Kulturen. Diese Stereotype waren damals falsch und sind es noch heute."
Bei "Dumbo" sind es etwa Krähen, die im Original mit afro-amerikanischem Akzent sprechen und die das Stereotyp des tanzenden, singenden Schwarzen bedienen. Bei "Peter Pan" werden indigene Völker durchweg "Rothäute" genannt, und in "Aristocats" spielt eine Katze mit Essstäbchen Klavier und spricht mit asiatischem Akzent.
Insofern hält die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Eva Fürst einen Hinweis, wie er jetzt im Vorspann erscheint, für sinnvoll: "So eine gesellschaftliche Einordnung ist begrüßenswert und viel besser, als die Filme einfach nicht mehr zu zeigen. Denn so entsteht eine Gelegenheit, eine Chance, mit Kindern über Rassismus und negative Stereotype zu sprechen."
Wie sehen die Filme in Zukunft aus?
Allerdings hat Disney die Filme ebenfalls Ende Januar von der hauseigenen Video-on-Demand-Plattform entfernt, und zwar für Kinderprofile, also für diejenigen Zuschauerinnen und Zuschauer, die unter zwölf sind.
Fürst, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bildung und gesellschaftliche Innovation in Bonn tätig ist, sieht das kritisch: "Was ich schwierig finde ist, Kindern nicht zuzumuten zu verstehen, dass manche Dinge falsch sind." Filme nicht zu zeigen, sei nicht die Lösung. "Ich finde es gut, wenn man nicht immer weiter Werke aussperrt, sondern bewusst mit dem Problematischen umgeht; darüber spricht, dass es ein Zeichen seiner Zeit war und dass es auch damals schon falsch war."
Wie kann man es also anders, wie kann man es besser machen? Diese Frage stellen sich seit einigen Jahren viele Kulturschaffende in den USA und in Europa, auch jenseits des Disneykonzerns, zum Beispiel im Theater. Aber auch Romanautorinnen und -autoren und unabhängige Filmemacherinnen und Filmemacher diskutieren darüber.
"Pocahontas" als positives Beispiel
Fürst, die Workshops an europäischen Universitäten zum Thema "racism awareness" (dt. Rassismusbewusstsein) anleitet, sieht die Hinweise im Vorspann der Disneyfilme als guten ersten Schritt - insbesondere, weil es die Eltern noch mehr als die Kinder darauf hinweise, dass es hier Inhalte gibt, die problematisch sind oder für die Kinder eingeordnet werden müssen.
Es müssten aber weitere Schritte ergriffen werden, so Fürst: Disney könne noch viel mehr solcher Angebote schaffen, schwierige Fragen zu thematisieren, zum Beispiel in Filmen über jene Kinoklassiker, die sie auf ihrer Plattform zur Verfügung stellen könnten. Diese könnten sich nicht nur mit Kostümen und Drehbuch beschäftigen, sondern vor allen Dingen eine Debatte darüber anstoßen, welche moralischen Fragen ein Serie oder ein Film aufwerfe.
Als positives Beispiel nennt Fürst einen älteren Disneyfilm, nämlich "Pocahontas", der im Jahr 1995 in die Kinos kam. "Das ist eine Verballhornung der historischen Figur, aber als Disneyfilm funktioniert es, weil es Kolonialisierung für Kinder ganz klar als etwas Negatives darstellt."
Geschichten prägen unsere Sicht auf die Welt
Der neueste Disneyfilm "Raya und der letzte Drache" soll laut Konzern vieles anders machen. Der Film ist am 5. März in Deutschland auf Disney+ erschienen; hinter ihm stehen die Macher von "Vaiana". "Raya und der letzte Drache" hat Eva Fürst noch nicht gesehen, aber schon bei "Vaiana" sieht sie Fortschritte: "Die Schauspielerinnen und Schauspieler sind angemessen ausgewählt, in der Geschichte sucht und findet eine Heldin nicht einen Mann, sondern ihre Identität. Wenn es so weitergeht, ist das ein guter Weg. Disney besitzt unheimlich viele Medienfranchises. Das heißt, sie sind extrem mächtig, denn die Geschichten, die wir konsumieren, prägen, wie wir die Welt sehen. Es ist wichtig, dass man sich der Verantwortung bewusst ist."
"Pocahontas" und "Vaiana" statt "Das Dschungelbuch" und "Peter Pan" - die neuen Klassiker unter den Kinderfilmen werden andere sein als noch vor ein oder zwei Jahrzehnten. Das bedeute auch, so Eva Fürst, dass die Gesellschaft gereift sei: "Wenn man einen Kinderfilm als Erwachsener anders bewertet, dann heißt das vor allen Dingen eins: Man ist erwachsener geworden."