Wie aus einem Atomreaktor grüne Wiese wird
11. März 2019Egbert Bialk ist glücklich, wenn er den riesigen Bagger bei der Arbeit zuschaut. Meter für Meter baggert er den Kühlturm des Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich ab.
"Ich bin froh, dass dieser Schandfleck endlich wegkommt", sagt er der DW. "Manche Leute hätten nichts dagegen gehabt, ihn als Mahnmal oder Kunstwerk stehen zu lassen. Aber für mich ist er ein Symbol für die Arroganz der Menschen, die mit dem Feuer spielen."
Seit das Kraftwerk in den 1970er Jahren in seiner Nachbarschaft gebaut wurde, hat er dagegen gekämpft. Bialk ist heute Vorstand der örtlichen Gruppe der Umweltorganisation BUND und beobachtet zufrieden den Rückbau. Er wird insgesamt eine Milliarde Euro kosten.
Die Arbeiten haben bereits 2004 begonnen, lange bevor Angela Merkels Regierung als Reaktion auf die Fukushima-Katastrophe 2011 den Atomausstieg beschloss. Daraufhin wurden die ältesten Atommeiler in Deutschland sofort vom Netz genommen. Bis Ende 2022 sollen auch noch die sieben verbliebenen folgen.
Und dann? Dann beginnt die eigentliche Arbeit. Deutschland wird sich noch Jahrzehnte mit seinem nuklearen Erbe beschäftigen müssen. Alle Atomkraftwerke sollen komplett zurückgebaut, die Standorte als normale Industriegebiete weiterverwendet und die radioaktiven Abfälle eingelagert werden. Aber wie genau soll das geschehen? Schritt für Schritt.
"50 Jahre" - allein für den Transport
Zuerst wird das Herz des Atommeilers entfernt: Die hochradioaktiven Brennelemente. Da es in Deutschland noch keinen Endlagerungsort für diese Abfälle gibt, werden sie in sogenannten Castor-Behältern in Zwischenlagern aufbewahrt.
Bis 2031 soll die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) einen passenden Standort finden und diesen bis 2050 ausbauen. Nach dem Atomausstieg sollen die insgesamt 1900 Spezialbehälter dann aus den Zwischenlagern sicher zum Endlager transportiert werden. Das dauert.
"Wir gehen von einer Einlagerungsdauer von circa 50 Jahren aus", sagt die Pressesprecherin der BGE Monika Hotopp der DW. Das Endlager für hochradioaktive Abfälle könnte dann frühestens im Jahr 2100 versiegelt werden.
Die Kosten dafür sind noch unklar. Vieles hängt vom Standort ab. Doch in welcher Größenordnung sie sich bewegen werden, lässt das Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle vermuten. Das ehemalige Eisenerzbergwerk Schacht Konrad wird laut dem BGE momentan für 4,2 Milliarden Euro umgebaut.
Ab 2027 sollen die ersten Abfälle, etwa technische Geräte und Teile von Gebäuden eingelagert werden können, die jahrelang Strahlung ausgesetzt waren.
Das Endlager Konrad soll dann mit Beton aufgefüllt und versiegelt werden. "Sobald es versiegelt ist, sollte keine Gefahr für die Umwelt bestehen", sagt Hotopp.
Umweltorganisationen warnen jedoch davor, dass radioaktive Abfälle weiterhin ein Risiko sein können, auch wenn sie unter der Erde vergraben sind.
"Die Endlager müssen Strahlungen für bis zu 500.000 Jahre lang zurückhalten können", sagt der Umweltschützer Bialk der DW. "Wir hinterlassen unseren zukünftigen Generationen eine Zeitbombe."
Baumaterial von Atommeilern wird recycelt
Aber was passiert mit dem Rest der Abfälle, mit den abertausenden Tonnen von Metall, Beton, Rohren und anderem Baumaterial, die während des Rückbaus eines Atomkraftwerks anfallen?
Das deutsche Gesetz betrachtet das gesamte Kernkraftwerk, einschließlich der Büros und Kantinen, erstmal als radioaktiv. Deswegen müssen die Betreiber jedes Teil "freimessen" bevor es auf regulären Deponien und Recyclinghöfen entsorgt werden darf.
Freimessen heißt, dass die Abfälle keine radioaktive Aktivität aufweisen oder diese unter dem gesetzlich vorgeschriebenen Limit liegen. Freigemessenes Baumaterial wird dann wieder in den Stoffkreislauf zurückgeführt.
Umweltorganisationen und Anwohner kritisieren diesen Prozess. Sie befürchten, wenn das Material recycelt werde, weiß niemand, was damit passiere. Beton von Atomkraftwerken könnte als Asphalt auf den Straßen landen, aus eingeschmolzenen Metallen könnten Pfannen und Töpfe entstehen.
"Eingeschmolzene Metalle könnten sogar in Zahnspangen für Kinder landen. Das könnte verstrahlt sein und keiner weiß es", sagt Bialk. "Man müsste verfolgen können, was mit dem Material aus Atomkraftwerken passiert."
Atomexperten finden so eine Regulierung dagegen unnötig. "Das Risiko ist gering. Die Freigabegrenze entspricht der natürlichen Strahlung in der Umwelt", sagt Christian Küppers der DW. Er ist Experte für Nukleartechnik und Anlagensicherheit am Öko-Institut in Darmstadt.
Die Freigabegrenze für Abfälle aus Atomkraftwerken liege bei 0,01 Millisievert pro Jahr, fügt Küppers hinzu. Zum Vergleich: Die natürliche Strahlenbelastung in Deutschland beträgt im Durchschnitt 2,1 Millisievert pro Jahr. Nach Angaben des Öko-Instituts setzen sich Menschen bei einem transatlantischen Flug einer Strahlung zwischen 0,04 und 0,11 Millisievert aus.
Vom Atomkraftwerk zur "grünen Wiese"
Ziel des Rückbaus eines Atomkraftwerks ist die "grüne Wiese". Wenn alle Gebäude zerlegt wurden, die Abfälle beseitigt und das Gelände "freigemessen" wurde, darf es als Industriegebiet verkauft werden. Sogar die Oberfläche des Endlagers Konrad könnte eine grüne Wiese werden, wenn alle radioaktiven Abfälle eingelagert und verschlossen sind.
Das Gebiet wäre der BGE zufolge sogar sicher genug, um darauf Wohnhäuser zu bauen. Ob da jemand wohnen möchte, sei eine andere Frage, sagt Monika Hotopp von der BGE.
Letztendlich bleibt Atomkraft ein Synonym für Gefahr. Dazu gehört für den Umweltaktivisten Bialk auch das nukleare Erbe, das trotzdem bleiben werde, selbst wenn alle Atommeiler zurückgebaut und die Abfälle im Endlager versiegelt seien. "Radioaktiver Müll ist ein Risiko für hunderttausende Jahre hinweg. Trotzdem setzen andere Länder immer noch auf Atomstrom. Allein in Frankreich gibt es mehr als 50 Atomkraftwerke. "Wenn dort etwas passiert, betrifft es uns alle", sagt Bialk.