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Politik

Thailändischer Regierungsgegner "verschwunden"

Julian Küng aus Bangkok
18. Juni 2020

Ein weiterer Fall eines "verschwundenen" Regierungskritikers in Thailand setzt die Machthaber unter Druck. Aktivisten und Angehörige hoffen auf gesetzliche Schranken gegen die menschenrechtswidrige Praxis.

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Thailand Bangkok | Demonstranten vor der kambodschanischen Botschaft
Demonstranten vor der kambodschanischen Botschaft in Thailand fordern AufklärungBild: DW/J. Küng

Polizisten und Einsatzkräfte schirmen die kambodschanische Botschaft in Bangkok hermetisch ab. Auch vor benachbarten Cafés und in Seitenstraßen zeigen die Ordnungshüter Präsenz und halten am Montagmorgen die verhältnismäßig kleine Gruppe von rund 30 Demonstranten in Schach: "So reagieren doch nur Kriminelle, die etwas zu verheimlichen haben", empört sich Somyot Prueksakasemsuk, der die Proteste anführt und bereits sieben Jahre wegen Majestätsbeleidigung hinter Gittern saß.

Thailand Bangkok | Demonstranten vor der kambodschanischen Botschaft:  Somyot Prueksakasemsuk
"Wo ist Regierungsgegner Wanchalerm Satsakit?", fragt Somyot Prueksakasemsuk Bild: DW/J. Küng

In Phnom Penh verschleppt

Er und seine Mitstreiter wollen auf das mysteriöse Verschwinden des Regierungskritikers Wanchalerm Satsakit aufmerksam machen. Von ihm fehlt seit dem 4. Juni jede Spur. Er lebt seit sechs Jahren im kambodschanischen Exil, da er in Thailand wegen Internetkriminalität gesucht wird. Grundlage ist ein Gesetz, welches das Verbreiten von "Falschinformationen" verbietet. Menschenrechtsorganisationen sind überzeugt, dass der 37-Jährige in der Hauptstadt Phnom Penh am helllichten Tage von bewaffneten Männern gewaltsam verschleppt wurde.

"Wir wollen von den Behörden Informationen und eine minutiöse Aufklärung des Falles", fordert Somyot Prueksakasemsuk vor der Botschaft.

"Eigentlich war es ein ganz normaler Donnerstagnachmittag", erinnert sich Wanchalerms Schwester Sitanan. "Mein Bruder telefonierte mit mir über seinen Kopfhörer und war unterwegs zum Supermarkt bei seiner Wohnung." Dann habe es ein dumpfen Knall gegeben, gefolgt von einem Durcheinander unverständlicher Stimmen. "Ich hörte nur noch, wie er sagte: 'Ich bekomme keine Luft.' Ich dachte zuerst an einen Unfall und sagte ihm, er solle versuchen, weiter zu atmen." Dann brach das Telefonat ab, erzählt Sitanan der DW.

Forderungen von UN und NGOs

Die Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch (HRW) berichtet von Augenzeugen, welche die gewaltsame Verschleppung durch mehrere bewaffnete Männer bestätigen. Später tauchen Aufnahmen einer Überwachungskamera auf, die einen davonfahrenden schwarzen Geländewagen zeigen. HRW und Amnesty International pochen auf Antworten von den Behörden beider Länder. Auch die Vereinten Nationen bzw. deren "Committee on enforced Disappaearances" haben die kambodschanische Regierung aufgefordert, bis 24. Juni Ermittlungsergebnisse in dem Fall vorzulegen.

Sogar Thailands Premier Prayuth Chan-ocha hat angesichts des öffentlichen Drucks bei seinen Amtskollegen in Kambodscha Informationen angefordert. Kurz nach der mutmaßlichen Entführung hatte er noch gesagt, er wisse gar nicht, wer Wanchalerm überhaupt sei und auch nicht, wieso dieser nach Kambodscha geflüchtet sei.

Thailand Bangkok | Demonstranten vor der kambodschanischen Botschaft
Demonstranten vor der kambodschanischen BotschaftBild: DW/J. Küng

Behörden fanden Wanchalerms Posts nicht lustig

Der verschollene Dissident war den Behörden mit seiner regierungskritischen Stimmungsmache auf Facebook schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Nach dem Militärputsch 2014 kam Wanchalerm einer polizeilichen Vorladung nicht nach und setzte sich mit rund hundert weiteren Dissidenten ins Ausland ab. 2018 erließen die thailändischen Behörden einen Haftbefehl, nachdem sein armeekritischer Aktivismus in sozialen Netzwerken auch aus dem Exil nicht verstummte.

Wenige Wochen vor der mutmaßlichen Entführung klopft es spätabends noch an der Haustüre seiner Mutter in seiner Heimatstadt Ubon Ratchatani in Thailand. "Sechs Polizisten standen vor der Tür und wollten von Mutter wissen, wo sich ihr Sohn derzeit aufhalte, und haben Fotos von ihr gemacht", sagt seine Schwester Sitanan der DW.

Wanchalerm nahm die Obrigkeiten in der Heimat aber weiter aufs Korn und mokierte sich zuletzt am 3. Juni in einem Facebookvideo über Thailands Machthaber Prayuth Chan-ocha: "Du bist dumm. Alles, was du kannst, ist reden. Oh… welch ein Herrscher des Chao Phraya Flusses du bist! Du kannst unser Land nicht regieren. Deshalb beschimpfen dich die Leute!" Ein Tag nach der Schimpftirade verschwand der Aktivist spurlos.

Thailand Prayuth Chan-ocha zum neuen Premierminister gewählt
Thailands Premier Prayuth will den Vermissten nicht kennenBild: picture-alliance/dpa/S. Lalit

Lange Liste von verschollenen Dissidenten

Wanchalerm Satsakit ist nicht der erste thailändische Aktivist, der unter mysteriösen Umständen plötzlich von der Bildfläche verschwunden ist. Mindestens acht weitere im Exil lebende Dissidenten sind in den vergangenen Jahren verschwunden oder wurden ermordet. 

Die UN-Konvention von 2006 zum Schutz aller Menschen gegen das "Verschwindenlassen" wurde von Thailand noch nicht ratifiziert. Seit Jahren versuchen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsorganisationen und Opferfamilien das sogenannte "Verschwindenlassen" in Thailand als Straftat qualifizieren zu lassen. Entsprechende Gesetzesentwürfe, welche die Strafverfolgung effizienter machen, den Angehörigen Soforthilfe zusprechen und den Zugang zur Justiz garantieren sollen, wurden bisher zwischen den Instanzen hin und her geschoben, abgelehnt, revidiert und hinausgezögert.

Parlament wird aktiv

Der parlamentarische Menschenrechtsausschuss in Thailand möchte den Rechtsschutz nach dem Fall Wanchalerm vorantreiben und wird dem Parlament einen weiteren Gesetzesentwurf vorlegen. Am Mittwoch traf sich der Ausschuss zur Beratung mit Regierungsvertretern, Menschenrechtsorganisationen, sowie Polizei- und Militärfunktionären an einem Tisch. Auch Wanchalerms Schwester durfte an der Sitzung teilnehmen.

"Es macht mich glücklich, dass man den Fall meines Bruders zumindest ernst nimmt und die Gesetzeslage anpasst, damit so etwas hoffentlich nicht mehr passiert", sagt die 47-jährige Geschäftsfrau mit Tränen in den Augen. Auch wenn die Behörden bislang noch keine konkreten Informationen über den Verbleib ihres Bruders geliefert haben.