Wien: Ausgangssperre? Welche Ausgangssperre?
26. April 2021Kommt man nach Monaten aus Deutschland zurück nach Wien, fällt vor allem eines auf: Bei den deutschen Nachbarn gibt es kein Ordnungsamt. Vor dem Burggarten auf der Terrasse des Museums Albertina in der Wiener Innenstadt haben sich am Samstag pünktlich zu Sonnenuntergang allerlei Grüppchen versammelt: Drei Skater kratzen mit ihren Boards über den Asphalt, Freunde feuern sie von der Seite an. Gegenüber sitzen zwei junge Frauen mit Burgern und Pommes Frites, dahinter vier Männer mit zwei Flaschen Wein. Masken muss man hier nicht tragen und je mehr die Sonne hinter der Hofburg abtaucht, desto näher rückt man zusammen. Und das, obwohl Wien gerade im sogenannten Ost-Lockdown (weil er nur die östlichen Landesteile betrifft) ist und eine 24-Stunden-Ausgangssperre verhängt hat.
In Wien ist man daran allerdings schon gewöhnt: Seit beinahe einem halben Jahr darf man sich in Österreich offiziell nachts nicht mehr frei und ohne triftigen Grund draußen bewegen. Wie jetzt in Wien galt das wochenlang in der ganzen Alpenrepublik 24 Stunden am Tag - mit fünf Ausnahmen zur Regel, die die Kontrolle erschweren. So durfte ich zum Beispiel im Dezember legal mit FFP2-Maske auf Skiern in Obertauern stehen (körperliche Erholung) und mit einer Freundin, die ich auch sonst mindestens einmal pro Woche getroffen habe, draußen Kaffee trinken (seelische Erholung mit einer engen Bezugsperson).
Ende des Lockdowns in Sicht?
In der Hauptstadt Wien biegt die Polizei nun regelmäßig um Haus- oder Straßenecken, aber so richtig beeindruckt zeigen sich die Wiener weder davon noch von den Ausgangssperren selbst. Das geht soweit, dass viele meiner Bekannten sich nur an die bestehende Beschränkung erinnern, wenn ich sie aktiv danach frage. "Eigentlich" gebe es die schon, heißt es dann, aber kontrollieren würde das "eh keiner", erklären mir meine Wiener Freunde in verschiedenen Ausführungen. So trifft man sich in kleinen Gruppen am Donaukanal, in den Weinbergen vor den Toren der Stadt oder in den Parks in der Innenstadt.
Nun will Bundeskanzler Sebastian Kurz trotz einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 170 dem Lockdown in Österreich ein Ende setzen: Ab 19. Mai verspricht Kurz erste Öffnungsschritte in Hotellerie, Gastronomie und anderen Bereichen. Ein Gasthaus, wenige Minuten vom Bundeskanzleramt am Ballhausplatz entfernt, feiert prompt nach der Meldung mit einem Schild "Wir freuen uns auf 19. Mai". Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig warnt aber, er wolle sich das mit den Öffnungen noch anschauen, ob das wirklich so auch in Wien umgesetzt würde.
Wien lebt trotzdem
Dabei scheint Wien für sich ohnehin schon eine recht österreichische Lösung gefunden zu haben: Man hat ein bisschen resigniert, aber hat man sich irgendwie unter viel Murren ("Sudern", wie man in Wien sagt) auch arrangiert. Bereits seit Dezember wird kostenlos und niederschwellig getestet. Unternehmen verteilen Masken an ihre Mitarbeiter und bieten Tests an. Sogar gratis PCR-Gurgeltests kann man in Wien mittlerweile machen, deren Proben dann von Supermärkten zur Auswertung in Labors geschickt werden.
All das gibt den Wienerinnen und Wienern eine gewisse Sicherheit - und treibt sie nach draußen. Auf die Melange im Lieblingscafé gegenüber vom Außenministerium will man nicht verzichten, da steht man dann eben direkt davor anstatt drinnen. Die Weinschorle ("Spritzer") holt man sich vom Weinhändler, der gleich Flaschen mit Plastikbechern dazu anbietet. Vom Fenster der Bar holt man den Wochenend-Cocktail und genießt unter Freunden nur wenige Schritte weiter. Auch die Haupteinkaufsstraße, die Mariahilfer Straße ist am Freitagnachmittag beinahe genauso belebt wie zu normalen Zeiten - obwohl im Lockdown kein Laden geöffnet hat. Sogar das Traditionskaffeehaus Demel hat sich angepasst und bietet "Kaiserschmarrn To Go" an.
Damit lebt Wien auf, trotz Lockdown und Ausgangssperre. Überraschend ist dieser Trotz nicht: Denn frei nach einer Wiener Kultserie aus den 1970er-Jahren "geht ein echter Wiener nicht unter".