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"Er hätte den Nobelpreis zwei Mal verdient"

Sarah Judith Hofmann 17. Dezember 2013

Willy Brandts "Ostpolitik" ist weltweit bekannt. Fast vergessen ist sein Engagement für die Entwicklungspolitik. Mit in der "Nord-Süd-Kommission" saß Sir Shridat Ramphal. Er erinnert sich an einen großen Weltbürger.

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Sir Shridath Ramphal mit Jimmy Carter und Willy Brandt
Sir Shridath Ramphal, Jimmy Carter und Willy Brandt diskutieren 1980 über das Verhältnis von Entwicklungs- und IndustrieländernBild: picture alliance/UPI

Ab 1977 leitete Willy Brandt die Nord-Süd-Kommission im Auftrag des damaligen Weltbankpräsidenten Robert McNamara. Sie sollte das Eis brechen, das zu diesem Zeitpunkt in den Vereinten Nationen zwischen Industrieländern im Norden und Entwicklungsländern im Süden herrschte. In der Kommission saßen Vertreter aus 18 Ländern, darunter hochrangige Namen wie Olof Palme (Schweden), Katharine Graham (USA) oder auch Sir Shridat Ramphal (Guyana), zu diesem Zeitpunkt Generalsekretär des Commonwealth of Nations.

DW: Sir Ramphal, wir feiern Willy Brandts 100. Geburtstag. Was ist Ihre Erinnerung an Brandt?

Shridat Ramphal: Ich hörte erstmals von ihm im europäischen Kontext, im Zusammenhang mit seinem Engagement für eine Aussöhnung zwischen Ost und West. Später lernte ich ihn dann kennen, als er mich bat, ihm beim Aufbau der Nord-Süd-Kommission zu helfen. Und dann wurde er für mehr als zehn Jahre ein Teil meines Lebens. Er hat mich sehr viel gelehrt darüber, was es heißt, in dieser Welt ein Mensch zu sein. Er war der größte Weltbürger, den ich je gekannt habe.

Sir Shridath Ramphal mit Queen Elizabeth II 2009
Sir Shridat Ramphal, Ex-Generalsekretär des Commonwealth 2009 mit der QueenBild: Anthony Devlin/AFP/Getty Images

In Deutschland und in Europa verbinden wir mit Brandt sein Ost-West-Engagement. Was war das Ziel der "Nord-Süd-Kommission"?

Brandt versuchte praktische Instrumente zu finden, um der Armut ein Ende zu setzen und den Ländern im Süden [gemeint waren alle Entwicklungsländer, Anm. der Redaktion] bessere Entwicklungschancen zu geben. Robert McNamara hatte sich an Willy Brandt gewandt, weil er wusste, dass Menschen ihm, und einer von ihm geführten Kommission, zuhören würden. Brandt wurde von den Entwicklungsländern von Afrika bis Asien nicht nur akzeptiert, sondern geachtet und bewundert. Ihm vertraute man. Doch dieser Teil seines Lebens blieb unvollendet. Ich glaube, dass er sehr unglücklich darüber war, dass er die Amerikaner und die Europäer nicht so schnell von einer neuen Weltwirtschaftsordnung im Sinne der Armen überzeugen konnte, wie er sich das gewünscht hätte.

Willy Brandt und Edward Heath stellen den zweiten Bericht der Nord-Süd-Kommission vor (Foto: picture-alliance/dpa)
Auch der damalige britische Premier Edward Heath sitzt in der Kommission und stellt gemeinsam mit Brandt 1983 den zweiten "Brandt-Bericht" vorBild: picture-alliance/dpa

Ich könnte mir vorstellen, dass es auch innerhalb der Kommission zu Spannungen zwischen den Vertretern der Industrie- und der Entwicklungsländer kam. Wie verhielt Brandt sich in solchen Situationen?

Er hatte die Gabe, den Menschen verständlich zu machen, dass es im beiderseitigen Interesse wäre, dass diese Kluft in der Welt zwischen arm und reich aufhört. Es herrschten keine Verstimmung oder Wut, wenn er versuchte, uns von einer Einigung zu überzeugen. Und er war sehr glücklich, dass es schließlich zu dem ersten Bericht der Kommission kam, der großen Einfluss auf Internationale Institutionen und auf einzelne Länder ausübte. Auch wenn die Kommission keinen unmittelbaren Durchbruch erlangen konnte, so hat sie doch einen Prozess angestoßen und den Tonfall, wie zwischen Nord- und Süd verhandelt wird, nachhaltig verändert.

Warum hat die "Brandt-Kommission" nicht mehr erreicht? Welche Hindernisse standen Brandts Vision einer faireren Weltordnung entgegen?

Für solch eine Vision braucht es einen sehr aufgeklärten Geist, den Brandt sicherlich hatte, aber ich befürchte nicht viele andere führende Politiker. Dieses Aufeinandertreffen von nationalen Interessen und dem Ziel, eine globale Gesellschaft aufzubauen – was Brandt ebenfalls im nationalen Interesse der Länder verstand – wurde nie aufgehoben. Seine Hinterlassenschaft ist also umso wichtiger.

Willy Brandt Nord-Süd-Kommission 1977 Gymnich bei Bonn
Vertreter aus 18 Ländern versuchen in der Nord-Süd-Kommission eine Lösung zur Armutsbekämpfung zu findenBild: picture-alliance/dpa

Sind diese Fragen einer Weltwirtschaft, die die Kluft zwischen arm und reich, reduziert, denn heute überhaupt noch relevant?

Jedes Wort des Brandt-Berichts ist heute noch relevant. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Seine Verdienste in Europa waren groß, dafür hat er zu Recht den Nobelpreis bekommen. Das, was er langfristig mit seiner Nord-Süd-Kommission erreicht hat, war ebenso bemerkenswert. Man kann den Nobelpreis nicht zwei Mal gewinnen, aber er hätte es verdient.

Erst vor Kurzem ist Nelson Mandela im Alter von 95 Jahren gestorben. Er gehörte derselben Generation an wie Brandt. Wäre es übertrieben, diese beiden Persönlichkeiten zu vergleichen?

Sie mussten beide erfahren, was Leid bedeutet, beide erlebten so etwas wie das Exil, Mandela 27 Jahre lang im Gefängnis von Robben Island. Und sie haben dieses Leid überwunden. Nicht allein physisch, sondern vor allem als einen geistigen Prozess der Versöhnung. Ich hatte das große Privileg, beide kennenzulernen. Ich sehe heute leider keine Politiker, die ihnen ähneln. Dabei braucht die Welt Persönlichkeiten – Männer und Frauen – mit diesen Qualitäten. Willy Brandt und Nelson Mandela sind große Geschenke unserer Generation und ich hoffe, dass die Generationen, die nach uns kommen, ihren Idealen folgen.

Willy Brandt Nelson Mandela
Nelson Mandela und Willy Brandt - Ausnahmepersönlichkeiten des 20. JahrhundertsBild: imago/Sven Simon

Sie nannten Brandt eingangs den größten Weltbürger, den Sie je gekannt haben. Was machte Brandt zu einem Weltbürger?

Er stand über nationaler Identität, Rasse und Religion. Er war im wahrsten Sinne des Wortes ein Weltbürger. Er glaubte daran, dass seine Heimat die ganze Welt und es seine Pflicht als Weltbürger sei, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ich wünschte, ganz Deutschland hätte ihm noch zu Lebzeiten mehr Anerkennung für dieses Lebenswerk zuteil werden lassen. Deutschland behandelte ihn in meinen Augen stets wie eine Art Partisanenkämpfer. Dabei hat er sich lange Jahre weit über deutsche Politik hinaus einen Namen gemacht und ist zu einem Staatsmann auf Weltniveau gewachsen. Ich hoffe, dass wir uns in dieser Hinsicht an ihn erinnern. Ich jedenfalls werde an ihn immer als einen Weltbürger des 20. Jahrhunderts denken.

Das Gespräch führte Sarah Judith Hofmann