Schmutzige Geschichten
12. März 2008Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst. Das wissen auch US-Soldaten, die im Irak-Krieg gekämpft haben. Gegen die Zerrbilder von diesem Krieg laut aufzubegehren und der Öffentlichkeit endlich die Wahrheit zu berichten, ist deshalb das Ziel der Veranstaltung "Winter Soldier 2008" vom 13. bis zum 16. März in der US-Hauptstadt Washington. Mehrere Hundert aktive und ehemalige US-Soldaten, die an der Front im Irak und in Afghanistan gekämpft haben, wollen während dieser Veranstaltung erzählen, was sie im Krieg erlebt, erlitten und getan haben.
"Es wird schmutzig werden", kündigt John Kriegsmann an. Der 30-Jährige war selbst mehrere Monate im Irak-Einsatz. Heute gehört er zu den "Iraq Veterans against War" (IVAW), die die Aktion "Winter Soldier" unterstützen. Kriegsmann sagt, die Geschichten, die er und seine Kameraden in Washington erzählen wollen, würden ungefiltert und ohne Militär-Zensur in die Öffentlichkeit gelangen. Das hat es bisher in diesem Umfang nicht gegeben.
Unzensiert und erschütternd
Wie erschütternd Geschichten vom Krieg sind, wenn sie von Soldaten erzählt werden, denen kein Vorgesetzter den Mund verbietet, hat "Winter Soldier 1971" am Ende des Vietnamkriegs gezeigt. Diese Aktion ist Vorbild für die Veranstaltung gegen den Irak-Krieg. 1971 kamen 109 Ex-Soldaten zusammen, die in Vietnam gekämpft hatten. Sie erzählten Horror-Geschichten vom Krieg. Einer berichtet, wie seine Truppe auf einer Straße unterwegs war und mehrere Kinder ihnen den so genannten Stinkefinger entgegenhielten. Für seine Truppe und seinen Kommandeur sei diese Geste Grund genug gewesen, die Kinder "wegzublasen".
"Eines Tages verließen wir das Lager und fanden ein totes Kind in den Armen seiner Mutter", berichtete damals ein anderer Vietnam-Veteran. "Das Kind war vielleicht drei Jahre alt. Und es war tot. Einfach nur, weil diesen Leuten (den US-Soldaten) langweilig war."
Einen Ausblick auf die "Zeugen-Aussagen", die nun gegen den Irak-Krieg zu erwarten sind, geben einige kurze IVAW-Filme, die im Internet zu sehen sind. Dort berichten die drei ehemaligen Soldaten Jason Washburn, Steve Mortillo und Logan Laituri, was sie erlebt haben und was sie heute vom Krieg im Irak denken. "Die Vorstellung (ist falsch), wir könnten dort Familien zusammenfügen, die wir vorher zerstört haben", erzählt Mortillo in einem der Filme, "die Vorstellung, wir könnten dort hingehen, so viel Zerstörung anrichten und das alles wieder in Ordnung bringen. Ich meine, wie kann man es wieder gut machen, wenn dein Bruder gerade gestorben ist, wie kann man den Verlust eines Kindes wieder gut machen, wie kann man einem Kind seine Mutter zurückgeben?"
Washburn erzählt von der langsamen Entfremdung des eigenen Ichs, der die Soldaten ausgesetzt seien. Oft beginne diese erst, wenn man aus dem Einsatz heimkehrt. "Du denkst darüber nach, was du dort getan hast. Dann stellst du fest: Das bist nicht du. Das ist nicht, wie du bist. Und du fragst dich, wer du geworden bist."
Mortillo und Washburn erzählen ihre Geschichten in einer Mischung aus soldatischer Disziplin, Bitterkeit und Unverständnis darüber, wie es so weit kommen konnte, dass ihr Land und ihre Mitbürger in diesen Krieg in den Irak gezogen sind.
Mutige Umkehr
Diese Soldaten gehören nach Auffassung von Friedensaktivisten zu den so genannten "Winter Soldaten", von denen Thomas Paine 1776 während des Unabhängigkeitskriegs der US-Kolonien gegen Großbritannien sprach. Mit Winter Soldaten meinte der US-Gründervater Männer, die auch in schwierigen Zeiten für ihr Land einstehen - anders als Sommer Soldaten, die nur an schönen Tagen kämpfen.
Nach Einschätzung der Friedensaktivistin Elsa Rassbach, die auch zu den Organisatoren von "Winter Soldier 2008" gehört, brauchen Soldaten enorm viel Mut und persönliche Überwindung, um sich um 180 Grad zu drehen und gegen das auszusprechen, was sie vorher taten. Gerade für die jungen Menschen sei es schwierig. Viele US-Soldaten sind kaum älter als 18 oder 19 Jahre, wenn sie in den Irak ziehen. Viele haben eine schlechte Schulbildung. Sie kommen oft aus Familien, in denen sie schon als Kind Patriotismus gelernt haben. Und sie glaubten lange an das, was ihnen ihre Regierung über die Gründe des Krieges erzählte, meint Rassbach. Selbst wenn diese jungen Soldaten im Irak mit eigenen Augen sehen, wie unmenschlich und sinnlos dieser Krieg sei, so sei es immer noch ein schwieriger Schritt, auf einer Veranstaltung wie "Winter Soldier" von eigenen Untaten und von denen der Kameraden zu berichten. Vor allem für diejenigen gehöre dazu viel Mut, die noch im Dienst der Armee stehen. Denn sie müssten fürchten, danach unter Druck ihrer Dienststellen zu geraten oder gar verhaftet zu werden.
Ihr Zeugnis wollen diese "Winter Soldaten" auch im Internet ablegen. Die Veranstaltung wird komplett übertragen auf der Internetseite www.ivaw.org.