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"Wir alle sind Deutschland"

Sabine Kinkartz, Berlin30. August 2015

Wie können Toleranz und Vielfalt in Deutschland gefördert werden? Am Tag der offenen Tür der Bundesregierung diskutierte die DW darüber mit Prominenten.

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Gerald Asamoah, Katarina Witt, Enissa Amani, Abdelkarim und DW-Redakteur und Moderator Jaafar Abdul-Karim bei der DW-Aktion Wir sind Deutschland (Foto: DW/Müller)
Gerald Asamoah, Katarina Witt, Enissa Amani, Abdelkarim und DW-Redakteur und Moderator Jaafar Abdul-Karim (v.l.) bei der DW-Aktion "Wir sind Deutschland"Bild: DW/Müller

Einmal im Cockpit eines Kampfjets sitzen, einen Blick ins Kanzleramt werfen oder einem Bundesminister eine Frage stellen – diese Möglichkeit ließen sich am Wochenende viele Bürger nicht entgehen. Rund 150.000 Besucher nutzten den Tag der offenen Tür der Bundesregierung in Berlin, um bei sommerlichen Temperaturen einen Blick hinter die Kulissen des Regierungsviertels zu werfen.

Groß war der Andrang auch im Auswärtigen Amt. An vielen Ständen gab es Einblick in den diplomatischen Alltag, in die Außenpolitik und die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Eine gute Gelegenheit für die Deutsche Welle, ihre Mediakampagne "Wir sind Deutschland" vorzustellen. Im zentral gelegenen Welt-Saal diskutierte DW-Moderator Jaafar Abdul Karim mit Katarina Witt, Gerald Asamoah, Abdelkarim Zemhoute und Enissa Amani über ihre Erfahrungen und ihren Einsatz für Toleranz und Vielfalt. Mit anderen Prominenten aus Kultur, Sport und Gesellschaft unterstützen sie die DW-Kampagne und zeigen Gesicht.

Erinnerungen an schlechte Gefühle

Was können die Deutschen tun, was müssen sie tun, um in diesem Jahr rund 800.000 Flüchtlingen ein neues Zuhause zu geben? Comedian und Moderatorin Enissa Amani fühlt sich derzeit an ihre ersten Jahre in Deutschland erinnert. 1985 floh sie mit ihren Eltern vor politischer Verfolgung aus dem Iran und erlebte Anfang der 90er Jahre die Welle der Gewalt gegen Asylbewerber. "Ich habe damals mitbekommen, dass ein Haus in Solingen in Brand gesetzt wurde, in dem Türken wohnten und das hat mir damals als kleines Mädchen große Angst gemacht." Monatelang litt die kleine Enissa unter Alpträumen und fragte sich in kindlicher Naivität, ob nur Türken bedroht seien oder auch Iraner.

Statement Enissa Amani

Heute ist die 31-Jährige deutsche Staatsbürgerin und setzt sich so oft sie kann für Flüchtlinge ein, organisiert Spendenaktionen und ruft über soziale Netzwerke zur Hilfe auf. Wenn sie Bilder von gewalttätigen Rechtsextremisten sieht, die vor Flüchtlingsheimen randalieren, dann kommen die, wie sie sagt, "schlechten Gefühle von damals" wieder hoch. Noch mehr als die Radikalen würden ihr aber die latenten Rassisten Angst machen. "Es gibt eine Menge Menschen, die sagen, ich bin kein Rassist, aber wenn die Ausländer ….. und wenn ich schon diesen Begriff Ausländer höre, dann ist das für mich wie ein Messerstich."

Deutsche sind nicht schwarz

Gerald Asamoah kann das gut nachempfinden. Als 12-Jähriger kam der gebürtige Ghanaer 1990 nach Deutschland und machte in der Fußball-Bundesliga Karriere. Nach seiner Einbürgerung 2001 wurde er als erster gebürtiger Afrikaner in die Fußball-Nationalmannschaft berufen. "Ich habe mir damals viele Gedanken gemacht, ob ich überhaupt akzeptiert und als Deutscher angenommen werde." 2005 unterstützte Asamoah die Medienkampagne "Du bist Deutschland". Anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 wurde er unter Anspielung auf diese Kampagne von einer rechtsextremistischen Vereinigung aus Pritzwalk mit einem Plakat verunglimpft, das die Aufschrift trug: "Nein, Gerald, Du bist nicht Deutschland. Du bist BRD!"

Statement Gerald Asamoah

Er fühle sich trotz dieser negativen Erfahrungen in Deutschland sehr heimisch, sagt Gerald Asamoah. "Ich wurde angegriffen, aber für mich war klar, dass meine Mitmenschen, die Leute, die mir wichtig sind, mich so akzeptieren, wie ich bin." Deswegen sei er seinen Weg weitergegangen, setze sich aktiv gegen Rassismus ein und freue sich darüber, ein Vorbild zu sein. "Weil ich diesen Weg gewagt habe, trauen sich jetzt sehr viele zu sagen, ich fühle mich heimisch, das ist mein Land und deswegen tue ich auch was dafür."

Weg vom Schubladen-Denken

Deutschland heute, das ist für Enissa Amani, aber auch für ihren Comedy-Kollegen Abdelkarim, für Gerald Asamoah und die zweimalige Olympiasiegerin im Eiskunstlauf, Katarina Witt, die Heimat von Menschen mit allen Haut- und Haarfarben. 16 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund – oder ist es ein Migrationsvordergrund, fragt Abdelkarim lachend? Er wehrt sich gegen die Einteilung in Schubladen. "Warum muss es für jeden Menschen, der anders aussieht, eine Bezeichnung geben? Das ist albern."

Statement Abdelkarim

Direkten Rassismus erlebt der gebürtige Marokkaner Abdelkarim im Alltag nur selten, aber er merke schon, dass sich im Zug nur selten jemand neben ihn setzen würde. "Und wenn dann jemand kommt und sich setzt, dann ist es meistens ein aufgeschlossener Student, der noch an das Gute glaubt, oder es ist ein Ausländer, der nichts zu verlieren hat." Die rassistischen Gewaltexzesse, die in Deutschland derzeit zu beobachten sind, machen Abdelkarim wütend. "Wenn jemand auf ein Kind uriniert, dann darf der nicht am Abend wieder aus dem Gefängnis entlassen werden."

Null Toleranz gegenüber Rassismus

Was in Heidenau und vor anderen Flüchtlingsunterkünften passiert ist, findet auch Katarina Witt erschreckend. "Dinge, die für mich und andere selbstverständlich sind, sind für andere ein Fragezeichen." Gegenüber Rassismus dürfe es keinerlei Toleranz geben, fordert sie. Auf der anderen Seite müssten aber auch diejenigen unterstützt werden, die sich für die Flüchtlinge einsetzen und Befürworter sollten sich in größerem Umfang zusammenschließen. "Die müssen zeigen, diese Selbstverständlichkeit gehört zu unserem Land."

Statement Katharina Witt

Die Menschen würden viel zu wenig aufeinander zugehen. "Man muss miteinander reden und versuchen, Gemeinsamkeiten zu finden", fordert Witt. Im Übrigen könne jeder auch im Kleinen seinen Beitrag gegen Rassismus leisten, indem er seine Mitmenschen so akzeptiere, wie sie sind. "Du bist schwarz, aber mich interessiert viel mehr, was du denkst." Abdelkarim kann das nur unterstützen und formuliert es auf seine humoristische Art: "Welcher Ur-Deutsche hat in seinem Bekanntenkreis schon einen Migranten, das sind viel weniger, als man denkt. Umkehrt ist es aber genauso. Welcher Migranten-Deutsche hat wirklich einen Werner in seinem Bekanntenkreis? Meistens ist das doch nur der Anwalt."